Massiven Vorwürfen vom Gesundheitsamt sieht sich die Arbeiterwohlfahrt (AWO) ausgesetzt, nachdem 17 Bewohner des Aichacher AWO-Heims an oder mit dem Coronavirus gestorben sind. Zu den Todesfällen hatte Heinz Münzenrieder, Vorsitzender der AWO Schwaben als Trägerin des Heims, bereits am Mittwoch Stellung genommen. Jetzt gehen er und Vorstandsvorsitzender Dieter Egger in einer Pressemitteilung auf die einzelnen Vorwürfe ein und kritisieren ihrerseits das Gesundheitsamt.
Wegen der „uns sehr nahegehenden Todesfälle“ seien umgehend die gesamten Betriebsabläufe im Hause vom Zeitpunkt der ersten Verdachtsmomente an gründlich untersucht worden, schreiben sie. Das Ergebnis: Es seien keine gravierenden Fehler im Bereich der Infektionshygiene aufgetreten. „Einzelne, eher untergeordnete Kritikpunkte sind der noch nie so aufgetretenen Belastungssituation geschuldet“, heißt es. Teilweise seien über 30 Mitarbeiter in Quarantäne oder virusbedingt arbeitsunfähig gewesen.
Aus den AWO-Einrichtungen in Aindling, Bobingen, Friedberg, Haunstetten und Neuburg hätten schnellstens 15 Aushilfen eingesetzt werden müssen. Um Risiken auszuschließen, seien teilweise noch bis zu sieben Leiharbeitnehmer zusätzlich verpflichtet worden. „Dies alles vor dem Hintergrund der systembedingt schon in Normalzeiten auf Kante genähten personellen Ausstattung der Heime.“
Ansteckungsgefahr beim Treffen der Pandemiebeauftragten in Aichach-Friedberg
Dass die AWO bei einem Treffen der Pandemiebeauftragten aller Heime im Landkreis gefehlt hat, wie das Gesundheitsamt gerügt hatte, begründen Egger und Münzenrieder mit der „latenten Ansteckungsgefahr“. Zudem sei die AWO zu der Zeit in ständigem Kontakt mit dem Gesundheitsamt und mit dem AWO-Landesverband gewesen. Die „Verärgerung“ des Amtes darüber sei eher im atmosphärischen Sinne anzusiedeln, schreiben sie.
„Noch offen und ungeklärt sind bei der Aufarbeitung der uns sehr belastenden Vorkommnisse in unserem Aichacher Haus zwei Aspekte“, schreiben Egger und Münzenrieder. So sei das Gesundheitsamt der nachhaltigen, erstmals am 4. April geäußerten Bitte der AWO auf Reihentestungen von Bewohnern und Personal erst am 22. und 23. April nachgekommen. Dabei ist nach Informationen der AWO das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit bereit gewesen, diese unmittelbar nach dem „Hilferuf“ der AWO zu realisieren.
So hat sich Corona in Aichach-Friedberg ausgebreitet
Wie mehrfach berichtet, hat Gesundheitsamtsleiter Dr. Friedrich Pürner mehrfach betont, konsequenter Infektionsschutz sei wichtiger, Tests seien stets nur eine Momentaufnahme. Selbst nach früheren Tests von 40 Bewohnern und 30 Mitarbeitern habe es immer weitere Erkrankte gegeben. Die Ergebnisse der Reihentests im AWO-Heim sollen demnächst vorgestellt werden.
Um die wegen des evidenten Personalmangels entstandene Lage zu stabilisieren, habe die AWO sich außerdem ab 7. April mehrfach um Verstärkung aus dem Personalpool gebeten, den das Gesundheitsministerium installiert hat, „leider erfolglos“, schreiben Münzenrieder und Egger. Offensichtlich habe das Gesundheitsamt auch insoweit keinen Handlungsbedarf gesehen. Diesen Fragen bleibt nachzugehen.“
AWO fordert unabhängige Expertenkommission
Katastrophal wäre es laut AWO, wenn Heime allgemein so betroffen wären wie das Aichacher. Auch aus diesem Grunde halte sie – „nicht um Schuldzuweisungen zu konzipieren“ – eine fundierte und fachlich ausgerichtete Analyse für zwingend, die in ein Handlungs- beziehungsweise Vorsorgekonzept für Heimeinrichtungen führen sollte. In Schwaben seien neben dem Aichacher AWO-Heim die ebenfalls hart betroffenen Häuser anderer Träger in Harburg und Waal sozusagen der Handlungsrahmen.
Dazu sollte laut AWO, eventuell für ganz Bayern, über die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission nachgedacht werden. Sie müsste das Phänomen der Altenheime als „Hotspots“ der Pandemie untersuchen und Empfehlungen erarbeiten, wie gerade den besonders betroffenen und bedrohten Bewohnern von Heimen künftig mehr Schutz gewährt werden kann. (mit nsi)
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