Startseite
Icon Pfeil nach unten
Aichach
Icon Pfeil nach unten

Kabarett: Augsburg – eine „reine Nervensache“

Kabarett

Augsburg – eine „reine Nervensache“

    • |
    Der Augsburger Kabarettist Silvano Tuiach zeigt mit dem Finger auf das, was ihm nicht passt, und das ist oft zum Lachen.
    Der Augsburger Kabarettist Silvano Tuiach zeigt mit dem Finger auf das, was ihm nicht passt, und das ist oft zum Lachen.

    Aichach Der Mann braucht keine Requisiten. Die Stühle im Warteraum seines Neurologen bleiben unbesetzt, lediglich die herumliegenden Zeitungen nimmt er gelegentlich zur Hand. Nur ganz am Schluss steht er in Hut und Mantel da, als „Walter Ranzmayr“, der notorische Augsburger Stammtisch-Grantler. Silvano Tuiachs Kabarettprogramm „Reine Nervensache“ zog am Sonntagabend knapp 100 Zuhörer ins

    Tuiachs kabarettistischer Ausflug führte bereits im „Prolog“ mitten hinein in die Skurrilitäten unserer lieben Mitmenschen. Der als eine Art Aufwärmgeplauder gedachte Vorspann biss sich jedoch sofort in Tuiachs Lieblingsthema fest: Die schwäbisch-bayerische Metropole Augsburg mit seinen Baustellen, Vororten, Politikern, und, ganz wichtig, der „Augschburger“ an sich und dessen unsägliche, um nicht zu sagen, unsagbare Sprache.

    Tuiach mag sie nicht und spricht sie doch astrein, diese Sprache mit den sieben Vokalen, dem mehrfach gerollten R im „Plärrer“, dem Zischlaut in „woascht“ und dem 456 mal am Tag geäußerten „hoi“. Im Redeschwall – „da fällt mir noch was ein“ – wird seine Heimatstadt zu einer Art Epizentrum vielfältigster Unzulänglichkeiten, auf die er ironisch, satirisch, witzig und denunziatorisch mit dem Finger zeigt.

    Der Augsburger, ein geiziger, ängstlicher, unfreundlicher, unkommunikativer, umständlicher und humorloser Zeitgenosse. Ein Bürgermeister Kurt Gribl, der voll im emanzipatorischen Trend den Namen seiner künftigen Frau anzunehmen plant und dann „Kurt Einfalt“ hieße. Relikte diverser Baustellenorgien, über die sich jeder Archäologe in Terra X in 1000 Jahren kopfschüttelnd die Finger lecken wird. „Das Leben in Augsburg greift die Nerven an“, so Tuiach, der sich mit dieser „Reinen Nervensache“ im Wartezimmer des Neurologen Dr. Pieks in bester Gesellschaft befindet. Hier läuft der Kabarettist zur Hochform auf und durchläuft eine multiple Persönlichkeitsspaltung. Allein durch seine Worte, sein Augenrollen und der passenden Mimik ist er Arzt, Patient, Freund, Mitmensch. Auch hier wird gelästert, angeprangert und gekalauert, gern und wiederholt auch unter der Gürtellinie. Hier stößt AOK auf Privatpatient, der eine auf offenem Kollisionskurs mit seiner randvollen Urinprobe in der Urologenpraxis, der andere im privaten Privatpatientenwarteraum mit Wellness-Bereich und Duty-Free-Shop.

    Beim Blättern in der Wartezimmerlektüre kommt Tuiach vom Hundersten ins Tausendste, entwickelt eine neue Ötzi-Todesursache und wundert sich, warum indianische Naturvölker nur nackt dargestellt werden. „Gallenbach und Sielenbach sind auch Naturvölker. Die hätten sich schee gefreut“. Dafür gab’s Applaus.

    „Die Seele baumeln lassen“, viel- und nichtssagend klingt die ärztliche Rezeptur für den nervengebeutelten Patienten. Weder in der Oper noch beim Wellness-Wochenende, und schon gar nicht beim Fernsehzappen findet er Linderung. Im Gegenteil, natürlich. Für Tuiach ein gefundenes kabarettistisches Fressen, etwa die Programmauswahl durch den Kakao zu ziehen. So wie er kurz zuvor in einem apokalyptischen Traum ganz nah am Jenseits war, um angesichts der unverändert nervigen diesseitigen Zeitgenossen entsetzt Reißaus zu nehmen.

    Er selbst verabschiedete sich erst nach einer „Ranzmayr“-Episode, eine Stammtisch-Grantlerfigur mit allen nur erdenklichen – und undenkbaren – sprachlichen und sonstigen Störungen. Viel Applaus und am Ende ein mit dem Publikum doch noch sehr zufriedener Kabarettist.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden