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Interview: Kinderarzt Dr. Sturm: Gefahr, dass kranke Kinder nicht versorgt werden

Interview

Kinderarzt Dr. Sturm: Gefahr, dass kranke Kinder nicht versorgt werden

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    Die Vorsorgeuntersuchungen von Babys und Kleinkindern kosten oft viel Zeit. Doch Zeit ist gerade Mangelware für Ärzte wie Dr. Raphael Sturm aus Affing.
    Die Vorsorgeuntersuchungen von Babys und Kleinkindern kosten oft viel Zeit. Doch Zeit ist gerade Mangelware für Ärzte wie Dr. Raphael Sturm aus Affing. Foto: Bernd Wüstneck, dpa (Symbolbild)

    Impfen, Testen, Corona-Infizierte, herbstliche Erkältungswelle: Wie dramatisch ist die Lage für einen Kinder- und Jugendarzt in diesen Zeiten?

    Dr. Raphael Sturm: Ich möchte nicht sagen, dass die Lage "dramatisch" ist, sie ist aber doch stark angespannt. Mein kleines Team und ich arbeiten am Limit. Natürlich ist dies vor allem durch die aktuelle Corona-Situation begründet.

    Wie genau wirkt sich die aktuelle Situation auf Ihren Arbeitsalltag aus?

    Sturm: Ich habe alleine an diesem Montag 17 PCR-Tests bei begründetem SARS-CoV-2-Verdacht bei Kindern und Jugendlichen, also bei einem positiven Schnelltest aus Schule oder bei bereits erkrankten und bestätigten Fällen im engsten Familienkreis, auf dem Parkplatz vor der Praxis durchgeführt. Dass ein Rachenabstrich gerade bei kleineren Kindern oft keine leichte Aufgabe ist, brauche ich nicht eigens zu erwähnen. Die weitere Woche sieht momentan nicht besser aus. Tendenz steigend.

    Der 44-jährige Affinger Kinder- und Jugendarzt Dr. Raphael Sturm kämpft wie so viele Berufskolleginnen und -kollegen mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie.
    Der 44-jährige Affinger Kinder- und Jugendarzt Dr. Raphael Sturm kämpft wie so viele Berufskolleginnen und -kollegen mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie. Foto: Elena Sturm (Archivbild)

    17 Tests klingen für den Laien erstmal gar nicht so extrem viel. Was hängt noch alles dran?

    Sturm: Weitere PCR-Tests habe ich im Rahmen der Krankenbehandlung bei Kindern und Jugendlichen mit fieberhaften Infekten in den Praxisräumen durchgeführt. Hinzu kommt etwa die gleiche Menge an Schnelltests, die zum Beispiel zur Wiederzulassung zu Schule oder Kindergarten nötig sind. Von meinem Labor werde ich mittlerweile angehalten, die PCR-Tests so sparsam wie möglich durchzuführen, weil es selbst dem Labor an Kapazitäten fehlt. Teilweise müssen die Patienten über 48 Stunden auf das Ergebnis warten. Reine Teststationen haben vermutlich andere Kooperationsverträge und können schneller ein Ergebnis liefern.

    Mit den Tests dürfte es nicht getan sein. Wie wird Ihre Praxis sonst noch beansprucht?

    Sturm: Außerdem gibt es eine Flut an telefonischen Anfragen zu Corona-Impfberatungen bei Kindern und Jugendlichen. Bisher habe ich in "Wochenblöcken" auch Jugendliche ab zwölf Jahren gegen SARS-CoV-2 geimpft. Diese Impfungen werde ich in den nächsten Wochen bei steigenden Zahlen an kranken Kindern nicht mehr durchführen können. Und dann gibt es ja auch noch den "Normalbetrieb" mit Vorsorgeuntersuchungen, Standard-Impfungen, Hyposensibilisierungen, Blutentnahmen und eben auch die Versorgung "wirklich" kranker Kinder mit zum Beispiel Lungenentzündungen oder einer RS-Virus-Infektion (sie löst Atemwegserkrankungen mit zum Teil schweren Verläufen aus; Anm. d. Red.).

    Können Sie und Ihre Mitarbeiter das alles überhaupt noch managen?

    Sturm: Bei all diesen Anliegen läuft das Praxistelefon wirklich heiß. Alle Anfragen können sicherlich von uns nicht mehr bewältigt werden. Und einige Patienteneltern werden sicherlich erfolglos in unserer Praxis anrufen. Zu allem Übel stehen dann einige verzweifelte Eltern mit ihren infektkranken Kindern ohne vorheriger Anmeldung und ohne Termin mitten in der (eigentlich "sauberen") Impf- und Vorsorgesprechstunde … Damit gestaltet sich eine Einhaltung der Corona-Hygieneregeln als kaum mehr machbar. So wird unsere Organisation und Terminplanung völlig zerstört.

    Das klingt nun aber doch ziemlich dramatisch.

    Sturm: Die Lage ist (noch) nicht dramatisch, weil die allermeisten kleinen Patienten im Rahmen einer SARS-CoV-2-Infektion nur sehr milde Symptome aufweisen. Aber aufgrund der "Patientenflut" besteht mittlerweile die Gefahr, dass einzelne eventuell auch schwer kranke Kinder (das muss dann auch nicht COVID-19 sein) nicht versorgt werden.

    Was könnte in dieser Situation eine Hilfe sein für Praxen wie die Ihre?

    Sturm: Eine große Hilfe wäre tatsächlich, wenn die Testzentren wieder ihre Arbeit aufnähmen, gerade wenn es um die Testung symptomloser Kinder oder wieder symptomfreier Kinder und Jugendlicher (zum Beispiel nach Quarantäne oder zum Wiedereintritt in die Schule) geht. In meinem Berufsbild sehe ich als Hauptaufgabe die Versorgung kranker Kinder. Leider fühle ich mich aktuell eher als Leiter einer Corona-Teststation mit angeschlossenem Impfzentrum (in Personalunion).

    Was raten Sie Eltern in dieser Situation?

    Sturm: Die Ruhe zu bewahren. Soweit es den Eltern möglich ist, abschätzen, wie schwer krank ihr Kind wirklich ist und ob es wirklich akut ärztliche Hilfe benötigt. Wenn ja, dann heißt es hartnäckig sein und weiterhin in der Praxis anrufen. Wir bemühen uns mit aller Kraft, um eine gute und adäquate medizinische Versorgung der kleinen Patienten. Bis auf Weiteres werden Vorsorgeuntersuchungen von uns durchgeführt, bestehende Termine dürfen und sollen auch wahrgenommen werden. Bei Testung asymptomatischer Patienten würde ich anraten, sich nach einem Testzentrum umzusehen. Das schafft in unserer Praxis mehr Freiräume für die Akutversorgung von kranken Kindern und Jugendlichen.

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