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Aichach: Ex-Gesundheitsamtschef Pürner wird bei Corona-Demo als Held gefeiert

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Ex-Gesundheitsamtschef Pürner wird bei Corona-Demo als Held gefeiert

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    800 Teilnehmer demonstrierten auf der Corona-Demo am 14. November auf dem Volksfestplatz in Aichach gegen Corona-Maßnahmen. Parallel fand eine Gegendemonstration statt mit rund 30 Teilnehmern statt.
    800 Teilnehmer demonstrierten auf der Corona-Demo am 14. November auf dem Volksfestplatz in Aichach gegen Corona-Maßnahmen. Parallel fand eine Gegendemonstration statt mit rund 30 Teilnehmern statt. Foto: Erich Echter

    Auf dem Aichacher Volksfestplatz brandet tosender Applaus auf, als die Rede auf Friedrich Pürner kommt. Die Versetzung des früheren Aichacher Gesundheitsamtsleiters ist Auslöser für die Augsburger Querdenker, am Samstagnachmittag nach Aichach zu einer Demonstration zu bitten. Dort wird der Mediziner in Abwesenheit von rund 800 Menschen phasenweise als Held gefeiert: auf Plakaten und in Rednerbeiträgen. Aufmerksam macht aber ein anderer Mann, der in Aichach Verantwortung trägt: Dieter Geßler tritt als Redner auf - als Privatperson, wie er ausdrücklich betont. Geßler, momentan im Krankenstand, fungiert in Aichach als Leiter des Seniorenheimes der Arbeiterwohlfahrt (AWO).

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    Die Polizei vom Präsidium Schwaben-Nord hat sich gut vorbereitet auf diese Demonstration mit 1000 zugelassenen Teilnehmern. Es ist eine für Aichach unbekannte Größenordnung. Die Devise der Beamten lautet: Deeskalation. Eigene Kommunikationsbeamte haben die Aufgabe, die Versammlungsteilnehmer dazu zu bewegen, Masken zu tragen. Viele halten sich zunächst mit offenem Gesicht auf dem Volksfestplatz auf. Die Intervention der Beamten und die Appelle der Veranstalter tragen Früchte: Fast alle streifen sich mit der Zeit Mund-Nase-Bedeckungen über - wenn es manchmal auch nicht mehr ist als ein Feigenblatt in Gestalt eines äußerst durchlässigen Spitzen-Damenslips.

    Nach und nach stellen sich immer mehr Leute ein. Etwa 800 werden es am Ende sein, wie die Polizei schätzt. Auf dem Gelände an der Schrobenhausener Straße geht es ruhig zu, es herrscht kein Gedränge. Viele sitzen gemütlich auf den Baumstämmen, die zur Parkplatzmarkierung im Landesausstellungsjahr dienen. Die Sonne scheint frühlingshaft mild. Manche haben Friedensfahnen in Regenbogenstreifen umgehängt, andere sitzen auf Picknickdecken oder tragen Herz-Ballons. Es kommen Alte und Junge, Familien mit Kindern, Frauen mit Babys. Phasenweise hat die Demo Festivalcharakter, zumal es auch Live-Musik gibt. Eine lokale Begrüßung erhalten sie nicht. Patrick Kügle, jüngst als FDP-Stadtrat zurückgetreten, verzichtet auf sein zunächst geplantes Grußwort.

    Die Plakate und die Redner, darunter auch der Kripobeamte Wolfgang Kauth, aber lassen keinen Zweifel am Grund, warum die Menschen nach Aichach gekommen sind. "Maskenpflicht ist Kindesmisshandlung" prangt auf einem Radanhänger, auf einem Plakat steht "Einen dreckigen Lappen auf dem Mund nennen sie Hygieneschutzmaßnahme". Auf der Bühne heißt es "Wir haben keine pandemische Lage", wenn auch Covid-19 ernst zu nehmen sei, wie sich Rechtsanwalt Edgar Krein ausdrückt. Doch das sei noch kein Grund, die Wirtschaft an die Wand zu fahren und das Land zu spalten. Moderatorin Michaela Königsberger betont, "hier sind keine Extremisten, keine Verschwörungstheoretiker", allein die Politik halte das Land seit März in einer Verschwörung.

    Das Publikum ist genau dieser Meinung. Es reagiert mit großer Zustimmung auf solche Aussagen. Den größten Applaus aber erhält einer, der nicht da ist: Friedrich Pürner. Königsberger bezeichnet ihn als "den besten Gesundheitsamtsleiter von ganz Deutschland" und lobt seinen Mut und seine Geradlinigkeit. Pürner, der sich wie er in einem Interview mit unserer Redaktion sagte, in keine Ecke drängen lassen will, wird regelrecht gefeiert, als Stefanie Ulmer ihm zu Ehren ein selbst gemachtes Lied anstimmt, basierend auf den Song "Mogli unser Held". Sie singt von "Pürner unser Held", das Publikum jubelt.

    Pürner hat auch Willi Christoph aus dem Aindlinger Ortsteil Weichenberg zur Demonstration motiviert. Auf seinem Plakat steht: Respekt Dr. Pürner, Freimut, Zivilcourage, Freiheit." Es ist die erste Corona-Demo des Mit-70ers. Er sagt: "Corona gibt's, aber die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen passt nicht." Der ehemalige Gesundheitsamtschef ist für ihn ein Vorbild, "er lässt sich nicht verbiegen", seine Versetzung versteht Christoph nicht.

    Katrin Hildebrand von den „Corona-Skeptikern Wittelsbacher Land“ sammelt Unterschriften für ein Volksbegehren „Landtag abberufen“. Sie will, „dass wir unsere Freiheit wieder haben“. Judith Mercer aus Dasing warnt vor dem dritten Bevölkerungsschutzgesetz, das der Bundestag am Mittwoch verabschieden soll. Es zementiere dauerhaft, „dass unsere Grundrechte wegkommen“, glaubt sie. Der umstrittene Kauferinger Mediziner Rolf Kron, von dem ein Hitlergruß-Video im Internet kursiert, warnt vor einer totalen Überwachung wie in China. Dass die Maßnahmen im Wesentlichen bis März 2021 beschränkt werden, bleibt unerwähnt.

    Die große Sorge, es könnten sich Rechte, womöglich auch noch gewaltbereit, in Aichach einfinden, ist unbegründet. Offene Zeichen sind nicht auszumachen. Erst bei der Recherche fällt auf, dass die Tigers Arena vertreten ist, eine Kampfsportschule aus Augsburg, der Verbindungen in die rechtsextreme Szene nachgesagt werden. Auch die Veranstalter wollen nicht in die Nähe von Rechten gerückt werden. Sie seien weder links noch rechts sondern in der Mitte, betont Moderatorin Königsberger. Rolf Kron sagt ausdrücklich, er sei kein Nazi. Er wolle sich nur schützend vor Menschen stellen, denn "das Tragen von Masken kann ihrer Gesundheit schaden". Kron behauptet, es seien weltweit vier Kinder in Folge von Maskentragen gestorben. Einen Beleg dafür gibt es nicht. Dann wird er doch politisch, die AfD sei ihm "sympathischer als alle anderen Parteien", sagt er um später zu versichern, er habe keine Werbung für diese Partei gemacht

    Weniger Aufmerksamkeit bekommt Dieter Geßler, angekündigt als Mitarbeiter eines Altenheimes. Geßler ist Leiter des Seniorenheimes der Aichacher Arbeiterwohlfahrt im Krankenstand. Dort hat die Pandemie im Frühjahr gewütet. 17 Bewohner sind an oder mit Covid-19 gestorben. Auf der Bühne steht Geßler ausdrücklich als Privatmann. Er spricht von "Merkel-Söder-Pampers" von einer "Plandemie" und nicht von einer Pandemie. Zum Thema Corona und Seniorenheime kommt er nicht mehr, er hat seine Redezeit überschritten. Im Gespräch mit unserer Redaktion zeigt sich Geßler zwiegespalten. Der Schutz der Senioren vor Covid-19 sei wichtig, er befürchte aber Kollateralschäden durch die soziale Vereinsamung der Menschen. Noch in der frühen Sonntagnacht distanziert sich die Arbeiterwohlfahrt Schwaben (Awo) in einer Pressemitteilung von Geßlers Auftritt und generell von der Veranstaltung.

    Das Publikum schenkt Geßler wenig Beachtung. Auch nicht die etwa 30 Anti-Demonstranten, die sich im Randbereich postiert haben. Sie tragen Plakate wie "Nazis raus" und "Hass ist keine Meinung". Von der Bühne werden sie als "liebe Antifa" begrüßt. Die Polizei ordnet sie allerdings nicht in dieser Ecke ein. Ein junger Mann aus der Region will "keine Unterwanderung von rechts durch solche Demos". Aus Aichach erklärt Willi Artmeier: "Die Querdenker verbreiten absichtlich falsche Behauptungen, dagegen will ich mich wehren."

    Die Polizei schirmt die Gegendemonstranten in Aichach ab

    Die Polizei schirmt die Gegendemonstranten ab. Eingreifen muss sie nicht. Die Rechnung der Deeskalation geht auf. Es kommt nicht zu unschönen Szenen oder gar zu Zusammenstößen; weder mit der Polizei noch mit den Gegendemonstranten. Einsatzleiter Peter Trippmacher vom Polizeipräsidium Schwaben spricht am Ende zufrieden von kooperativen Veranstaltern und davon, dass das Konzept aufgegangen sei. Abgesehen von konsequenten Maskenverweigerern in zweistelliger Höhe gibt es nur zwei weitere aktenkundige Fälle, die ein Polizeisprecher auf Nachfrage konkretisiert: ein Besucher schreit der Polizei ein "Heil Hitler" entgegen und ein Plakat mit der Aufschrift "Söder-Diktatur" wird als Beleidigung gewertet. Es hat der AfD-Kreisrat Josef Settele getragen.

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar:

    Corona-Demo: Aichach hält das aus

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