Jetzt geht's los, und Edith Sayda ist die Erste. Die 84-Jährige sitzt ruhig in ihrem Rollstuhl, den Blick geradeaus Richtung Fenster. Ihr Oberarm ist frei, desinfiziert - und bereit für den historischen Stich. "Frau Sayda, jetzt gibt's einen kleinen Piks", sagt die Frau im weißen Kittel neben ihr, sie spricht laut und überdeutlich. Dann setzt die Mitarbeiterin des Impfteams die Spritze an, sticht ein und drückt ab. Für den Hauch eines Moments zuckt Frau Saydas rechtes Auge, dann ist es schon vorbei. "Ist alles okay?". Edith Sayda nickt leicht. Sie ist die erste Landkreis-Bewohnerin, durch deren Körper zum zweiten Mal Corona-Impfstoff fließt. In ein paar Tagen ist sie immun gegen das Virus. Endlich.
Seit dem 27. Dezember schwärmen mobile Impfteams durch den Landkreis Aichach-Friedberg, um Bewohner und Mitarbeiter von Senioren- und Pflegeeinrichtungen gegen Corona zu impfen. Den Auftakt machte das Aichacher Seniorenheim Haus an der Paar. Am Sonntagvormittag, genau drei Wochen nach der ersten Impfung, stand für gut 32 Bewohner und zehn Mitarbeiter die zweite an. Ein Termin, den viele Bewohner und Mitarbeiter herbeigesehnt haben - und mit der Hoffnung verbinden, dass bald wieder so etwas wie Normalität einkehren kann.
Impfungen im Haus an der Paar: Das Wort "Corona" ist kaum zu hören
Zweiter Stock, Esszimmer: Im Raum, der am Vormittag kurzerhand zur Impfstation umfunktioniert wurde, herrscht munteres Rollen und Gehen. Das Heimpersonal bringt einen Bewohner nach dem anderen, das Impfpersonal des Dienstleisters Vitolus eilt hin und her, in der Hand mal eine Liste, mal ein elektronisches Tablet, mal Impfstoff. In der wohlig-warmen Luft liegt der sterile Geruch von Desinfektionsspray. Die schneebedeckte Umgebung wirft von außen weißes Licht in das Zimmer, an dessen Fensterseite Bewohner und Mitarbeiter Platz nehmen, um sich impfen zu lassen. Das Wort "Corona" ist kaum zu hören. Jeder weiß hier, um was es geht.
Edith Sayda, seit einem Jahr im Haus an der Paar, sitzt in der Mitte des Raums. Eine Viertelstunde wird sie nach ihrer Impfung beobachtet - dass der Körper auf die Impfung heftig reagiert, ist äußerst selten, aber man weiß ja nie. Wie es ihr geht, jetzt, kurz danach? "Gut, gut. Kein Problem. Das war ja auch nichts Wildes, so empfindlich und ängstlich bin ich nicht." Sich impfen zu lassen, sei für sie von Anfang an klar gewesen. "Was man so hört, soll es einen besser schützen. Das braucht man jetzt halt, deshalb wird das gemacht, und fertig."
Erste Bewohnerin des Aichacher Seniorenheims: "Glück g'habt"
Vor gut zwei Jahren ist das Haus an der Paar an der Franz-Beck-Straße in Betrieb genommen worden. Die Erste, die damals einzog, war Magdalena Gaus. Jetzt hat auch sie die zweite Impfung in und hinter sich. "Ich bin erleichtert", sagt die gebürtige Ulmerin, die einst nach Aichach kam, um näher bei Tochter und Enkelin zu sein. Die beiden bald wieder unter normalen Umständen sehen zu können, sei ihre größte Motivation für eine Impfung gewesen, sagt Gaus. "Das fehlt mir schon sehr. Irgendwann muss diese Pandemie doch mal vorbei sein." Dass sie nun als eine der ersten im Landkreis zweifach geimpft ist, habe sie nicht gewusst. "Wirklich? Na hemma Glück g'habt."
Nicht alle lassen sich an diesem Sonntag zum zweiten Mal impfen. Katja Hammerl aus Ehekirchen und Andrea Briese aus Affing stehen im Gang und warten, wie 32 weitere Mitarbeiter und Bewohner, auf ihren ersten Corona-Piks. "Ein mulmiges Gefühl hat man schon", sagt Briese, die als Pflegerin im Heim arbeitet. "Das alles ist so neu, wir sind ja mehr oder weniger die Ersten. Aber wir müssen auch an unsere Familien denken. Es geht ja darum, die anderen zu schützen." Hammerl, ebenfalls Mitarbeiterin, stimmt zu. "Die Impfungen sind ein Licht am Ende des Tunnels. Jetzt dran zu sein, hat auch etwas Erleichterndes."
Hinter den Impfungen steckt viel Bürokratie und Logistik
Die Impfung, das wird auch an diesem Vormittag deutlich, ist weit mehr als ein simpler Piks. Sie ist verbunden mit einem gewaltigen bürokratischen und logistischen Aufwand, ein Sammelsurium aus Einverständniserklärungen, Aufklärungsbögen und Registrierungsunterlagen. Sehr viele Abläufe sind bereits eingespielt, manche noch nicht. Bis der oder die Einzelne geimpft ist, dauert es schon mal eine halbe Stunde. Ungeduld macht sich aber nicht breit. Im Gegenteil: Die Stimmung ist locker, es wird laut geredet, ab und an füllt ein Lachen den Raum.
Die Impfbereitschaft unter den Bewohnern, sagt Heimleiterin Lolita Höpflinger, liegt bei 95 Prozent. Was wohl auch daran liegt, dass das Virus gerade im Haus an der Paar mit voller Wucht zuschlug. Neun Bewohner starben im Zusammenhang mit Covid-19, allein sieben nach einem massiven Ausbruch in den vergangenen Wochen. "Umso besser ist es jetzt, dass die Impfungen voll laufen", sagt Höpflinger. Das gebe nun ein bisschen mehr Sicherheit. "Man hat jetzt das Gefühl, es geht ein Stück vorwärts." Trotzdem: An den Abläufen im Heim ändert sich vorerst nichts. "Man muss weiter Abstand halten, die Hygieneregeln gelten weiterhin." Mitarbeiter müssten weiterhin vor der Arbeit Schnelltests machen und im Heim FFP2-Maske tragen.
Durch Impfungen: Normalität kehrt langsam zurück
Der Mittag naht. Mitarbeiter fahren das Essen durch den Gang, um es in die Zimmer der Bewohner von Stock zwei zu bringen. Je nach Wunsch gibt es Hähnchen oder Roulade mit gekochtem Gemüse. Der Geruch ist stark, er verdrängt die Sterilität in der Luft. Die Normalität kämpft sich langsam wieder zurück.
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