96 Mitarbeiter wurden auf einem Spargelhof in Inchenhofen positiv auf Covid-19 getestet. Das brachte dem Landkreis vorübergehend bundesweit die rote Laterne ein, weil er über dem Sieben-Tage-Grenzwert von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen lag. In der Bevölkerung wurde Kritik an der Aufarbeitung durch das Gesundheitsamt und dessen Leiter immer lauter. Zu den wichtigsten Kritikpunkten, die in Leserbriefen, Anrufen in unserer Redaktion und Facebook-Kommentaren geäußert wurden, befragten wir Dr. Friedrich Pürner, Leiter des Gesundheitsamts.
Vielfach wurde die von Pürner selbst so bezeichnete „Arbeitshypothese“ angezweifelt, wonach die 96 Mitarbeiter zwar positiv getestet wurden, aber die Erkrankung schon hinter sich hatten – möglicherweise bereits vor ihrer Einreise. Pürner zufolge zeigte keiner der 525 getesteten Mitarbeiter typische Symptome wie Fieber, Husten oder Atembeschwerden. Eine mögliche Erklärung sei, dass der Abstrichtest auch auf Virenreste anschlage, die nicht mehr aktiv seien.
Pürner zufolge ist derzeit wissenschaftlich noch nicht restlos geklärt, wie lange jemand Virusträger ist. „Es gibt keine einfachen Erklärungen bei so einer neuen Erkrankung.“ Er könne nur mit dem arbeiten, „was wir haben“. Vermutungen anzustellen, sei in der Wissenschaft völlig normal. Seine Kritiker stellten schließlich auch Vermutungen an. Für das Vorgehen des Gesundheitsamtes habe es keinen Unterschied gemacht, ob seine Vermutung stimme. Selbst wenn sich die Arbeiter auf dem Hof angesteckt hätten, hätte das Gesundheitsamt – wie jetzt auch – die positiv Getesteten unter Quarantäne gestellt und die Kontaktpersonen ermittelt.
Seine Hypothese beruhe auf seinem Allgemeinwissen als Mediziner, den Gegebenheiten vor Ort und zahlreichen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Pürner beruft sich zum Beispiel auf eine Studie aus Südkorea, die am 29. Mai im Deutschen Ärzteblatt besprochen wurde: Demnach wurden in Südkorea einige Patienten zum Teil Wochen nach ihrer Covid-19-Erkrankung erneut positiv getestet, waren aber nicht mehr infektiös. Auch Virologe Prof. Christian Drosten von der Berliner Charité berichtet in einem Interview mit dem NDR vom 14. April von Patienten, bei denen sich tote Viren ansammelten und den Test positiv ausfallen lassen könnten, obwohl es den Patienten gut gehe. Beda M. Stadler, emeritierter Professor für Immunologie und ehemaliger Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern, schreibt in einem Beitrag auf Achgut.com, der am 10. Juni auch in der Schweizer Weltwoche erschien: Der Abstrich-Test (PCR-Test) „wird so lange positiv sein, bis keine Trümmer des Virus mehr vorhanden sind. Richtig, auch wenn längst keine infektiösen Viren mehr vorhanden sind, kann ein Corona-Test also noch positiv ausfallen“. Der Test könne „aber nicht feststellen, ob die Viren (...) noch ansteckend sind“.
Warum wurden erst im Juni alle Mitarbeiter des Spargelhofs getestet?
Nachdem Ende Mai erste positive Testergebnisse von zwei Mitarbeitern des Spargelhofes vorgelegen hatten, testete das Gesundheitsamt Pürner zufolge „großzügig alle Kontaktpersonen“. Diese Tests fanden zu Beginn der zweiten Juniwoche statt. Denn nach bisherigen medizinischen Erkenntnissen ist der Erregernachweis nach Tag fünf bis sieben am höchsten. „Ein Reihentest aller Mitarbeiter wäre zu diesem Zeitpunkt völlig übers Ziel hinausgeschossen“, so Pürner. Zumal die Kontaktpersonen aufgrund der Schutzmaßnahmen des Unternehmens genau nachvollziehbar gewesen seien. Als dann bei 19 von 47 Kontaktpersonen der Test ebenfall positiv ausfiel, sei ein Reihentest aller Mitarbeiter angezeigt gewesen.
Corona-Test der Inchenhofener Arbeiter war bei Einreise keine Pflicht
Als Erntearbeiter einreisten – was politischer Wille der Bundesregierung war –, habe es keine Pflicht gegeben, sie zu testen. Pürner war bei der Einreise der Inchenhofener Arbeiter nicht dabei. Doch seines Wissens nach seien sie medizinisch in Augenschein genommen worden, ehe es in den Betrieb ging. Dort seien sie in „Arbeitsquarantäne“ gekommen: Sie durften also arbeiten, waren aber – aufgeteilt auf ihre Container – in Quarantäne und wurden nach Gruppen getrennt auf die Felder gefahren.
Warum wurde kein Antikörpertest gemacht, um die Ergebnisse der Abstrichtests abzusichern?
Solche Tests wären Pürner zufolge „eher akademischer Natur“ gewesen. Derzeit sagten die verfügbaren Tests nur, ob jemand Kontakt mit dem Virus hatte, aber nicht, ob eine gewisse Immunität oder eine Infektiosität besteht. Das Gesundheitsamt habe sich außerdem an die Vorgaben übergeordneter Stellen wie des Gesundheitsministeriums gehalten. „Für unsere Ermittlung hätten solche Tests nichts gebracht. Da steht auch kein Datum drauf, wann die Erkrankung war.“ Das Robert-Koch-Institut empfehle nach wie vor Abstrichtests als Mittel der Wahl.
Gesundheitsamtsleiter: "Spargelhof ist kein Gefängnis"
Was ist mit Arbeitern, die den Spargelhof schon verlassen hatten, ehe der Reihentest stattfand? Stellten sie ein Risiko für ihr neues Umfeld dar?
Pürner sagt: „Das sind freie Menschen.“ Es sei ihr gutes Recht, den Spargelhof zu verlassen. Dass sie, wie manche Kritiker unterstellten, hochinfektiös gewesen seien, sei „reine Spekulation“. Das Gesundheitsamt wisse nicht, wohin sie gegangen seien. Das nachzuverfolgen, sei nicht Aufgabe des Amtes und auch nicht notwendig gewesen. Auch nach den ersten beiden positiven Testergebnissen seien noch Arbeiter abgereist – „weil aus unserer Sicht keine Gefahr bestand, dass sie Kontakt zu den positiv Getesteten hatten“. „Was anderes würde das Infektionsschutzgesetz nicht abdecken.“ Der Spargelhof sei kein Gefängnis. In der normalen Bevölkerung würde das Gesundheitsamt auch nicht anders vorgehen. Als später klar wurde, dass von 47 Kontaktpersonen 19 positiv waren, sei mit dem Unternehmen vereinbart worden, dass kein Arbeiter mehr abreise. Das Unternehmen habe das sofort geregelt. Bei den Arbeitern sei zunächst etwas Überzeugungsarbeit nötig gewesen.
Wie schwierig und wie verlässlich war die Kommunikation mit den überwiegend rumänischen Arbeitern über ihren Gesundheitszustand? Pürner hatte zuletzt berichtet, dass bei den Gesprächen zum Teil die Vorarbeiter dolmetschten.
Pürner dazu: „Ich habe mich bei den Abstrichen vor Ort persönlich davon überzeugt, ob die Leute gesund sind.“ Ihm sei klar, dass bei den Arbeitern womöglich ein gewisser wirtschaftlicher oder sozialer Druck bestehe, eventuelle Krankheitssymptome nicht zuzugeben. „Aber wie wollen Sie das erzwingen?“ Auch mit einem amtlich bestätigten Dolmetscher sei nicht gesichert, dass die Menschen die Wahrheit sagten. Pürner: „Ich kann nicht bei jedem alles infrage stellen, weil er in einer sozialen Abhängigkeit steht. Das kann nicht die Grundannahme sein.“ Bei den Abstrichen vor Ort sei genau darauf geachtet worden, ob die Mitarbeiter Symptome hatten. Es habe „keine komplette Untersuchung wie in einem Krankenhaus“ stattgefunden. „Aber als Arzt habe ich die nötige Erfahrung, um zu sehen, ob jemand krank ist, ob er Fieber hat oder ob der Rachen gerötet ist.“ Das Gesundheitsamt habe die Mitarbeiter extra in einer Schlange anstehen lassen, um sie längere Zeit im Blick zu haben und zu beobachten, ob jemand körperliche Probleme habe.
Erste Kontrolle auf Inchenhofener Spargelhof war unangemeldet
Inwieweit hat das Gesundheitsamt die Einhaltung der Schutzmaßnahmen vor Ort kontrolliert? Und wie passt das mit Schilderungen von Anwohnern zusammen, die auf Facebook von großen, dicht sitzenden Arbeitergruppen in Bussen Hofes berichten?
Die erste Kontrolle fand Pürner zufolge unangemeldet am 12. Mai statt. „Da ist sofort aufgefallen: Die Leute waren in Gruppen unterwegs und trugen Masken.“ Er sei mit den Geschäftsführern mehrere Stunden durch den Betrieb gelaufen, habe sich stichpunktartig die Wohn- und Quarantänecontainer, Essens- und Waschräume zeigen lassen – bis zu dem Punkt, an dem die Busse zu den Feldern abfahren. Auch die Busse habe er sich zeigen lassen. Das Unternehmen habe heuer mehr Busse gekauft, um die Arbeiter zu transportieren. Er habe die Busse nicht gezählt, aber aus seiner Sicht ist es durchaus einleuchtend, dass mit dieser Menge an Bussen die Arbeiter – in Gruppen von etwa 20 bis 40 Personen – zur Arbeit gebracht und geholt wurden. In den großen Bussen, die er gesehen habe, seien die Arbeiter mit großem Abstand gesessen. Aber natürlich könne er nicht 24 Stunden vor Ort sein.
Auch an anderen Tagen sei er persönlich dort gewesen, mit den Unternehmern den Betrieb abgelaufen und habe sich den Verarbeitungsprozess vom Waschen und Wiegen bis hin zum Verpacken und Kühlen zeigen lassen. „Es gab überhaupt keinen Grund zur Beanstandung.“ An den Laufbändern habe das Unternehmen immer einen Platz herausgenommen, damit die Mitarbeiter die nötigen Abstände einhielten. Selbstverständlich könne er nicht ausschließen, dass mal ein Mitarbeiter einem anderen kurzzeitig nahe gekommen sei. „Aber das Unternehmen hat sich wirklich viele Gedanken gemacht.“
Inchenhofener Betrieb hatte Supermarkt und Wäscherei für Mitarbeiter
Es habe einen eigenen Supermarkt, eine Wäscherei und einen Sicherheitsdienst vor Ort gegeben. Die Arbeiter seien nach Gruppen getrennt zum Essen gegangen und dort in Dreiergruppen mit Sicherheitsabständen am Tisch gesessen. Für positiv Getestete und enge Kontaktpersonen seien jeweils eigene Quarantänestationen eingerichtet worden – mit genauen Angaben an der Außenseite für den Sicherheitsdienst, dass sich dort eine Quarantänestation befindet und für wie lange.
Auf den Feldern sei er nicht gewesen, sagt Pürner. Doch bei der Spargelernte stünden die Arbeiter in der Regel nicht eng an eng. Außerdem finde die Arbeit im Freien statt, wo die Ansteckungsgefahr niedriger sei als in geschlossenen Räumen. Manche Beobachter hatten moniert, dass die Arbeiter auf den Feldern keine Masken trügen. Pürner zufolge bestand dazu keine Pflicht. Bei der anstrengenden Arbeit unter der Sonne seien Masken unzumutbar.
Was sagen Sie zu dem in Leserbriefen und Facebook-Kommentaren geäußerten Vorwurf, die Spargelhof-Betreiber geschont zu haben, da sie ein großes Unternehmen führen? Im Gegensatz dazu haben Sie ja die AWO als Betreiber eines Aichacher Altenheims nach dem Tod von 17 mit Covid-19 infizierten Bewohnern mehrfach öffentlich scharf dafür kritisiert,elementare Hygieneregeln nicht eingehalten zu haben.
Gesundheitsamtsleiter: "Muss sagen können, dass jemand was gut macht"
Pürner weist den Vorwurf, die Spargelhof-Betreiber geschont zu haben, kategorisch zurück: „Die Leute dürfen mir glauben, dass ich die Betreiber nicht einfach davonkommen hätte lassen. Wenn ich irgendwas gefunden hätte, was nicht rund gewesen wäre, hätte ich sie mir gekauft. Ich kann da sehr unangenehm werden.“ Was das Aichacher AWO-Heim anbelangt, habe er klipp und klar Missstände angesprochen. Er habe eine Aufsichtspflicht und die übe er aus – und zwar neutral. „Man muss auch sagen können, dass jemand was richtig macht.“ Sogar, wenn es um einen „Agrarindustriellen“ gehe, wie es in einem Leserbrief zum Spargelhof hieß. Außerdem wendet Pürner ein: Wenn es auf dem Spargelhof tatsächlich, wie von Kritikern vermutet, einen Ausbruch von Covid-19 gegeben hätte und die Schutzmaßnahmen dort nicht gut gewesen wären, hätte es angesichts des vermutlich hochinfektiösen Virus viel mehr Infizierte geben müssen. Dass das nicht der Fall war, spreche erst recht für die Qualität der Schutzmaßnahmen.
Fühlen Sie sich als Prügelknabe mancher Kritiker, die eigentlich das Unternehmen meinen?
Pürner: „Nein. Das muss man aushalten in meiner Position.“
Gesundheitsamtsleiter: "Wir haben gute Arbeit gemacht"
Wie bewerten Sie im Rückblick die Arbeit des Gesundheitsamtes?
Pürner betont: Anders, als von vielen befürchtet, habe es nach den 96 positiven Testergebnissen von Spargelhof-Mitarbeitern keine Verschärfung von Ausgangsbeschränkungen gegeben – zu Recht, denn es habe sich um ein punktuelles Geschehen auf dem Spargelhof gehandelt. Es sei nach derzeitigem Stand kein Eintrag in die Bevölkerung erfolgt. „Die Infektionszahlen sind entgegen aller Hysterie nicht in die Höhe geschnellt“ – von den wenigen Tagen abgesehen, an denen der Landkreis aufgrund der Testergebnisse vom Spargelhof über dem bundes- und dem bayernweiten Sieben-Tage-Grenzwert lag. „Wir haben gute Arbeit gemacht.“
Wie steht der Landkreis insgesamt da?
Das Wittelsbacher Land ist bisher relativ gut durch die Corona-Pandemie gekommen. Im Vergleich: In Aichach-Friedberg gibt es bei 133000 Einwohnern bislang 389 Infizierte (inklusive 96 Mitarbeiter auf dem Spargelhof sowie 51 Bewohner und im Landkreis gemeldete Mitarbeiter des AWO-Heims), im Kreis Neuburg-Schrobenhausen bei 97000 Einwohnern laut Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit 333 Infizierte, im Kreis Dachau bei 155000 Einwohnern 922 Infizierte, im Kreis Donau-Ries bei 134000 Einwohnern 354 Infizierte, im Kreis Augsburg bei 254000 Einwohnern 388 Infizierte (Stand: Freitag).
Gesundheitsamtsleiter sieht Corona-App kritisch
Wie stehen Sie zur Corona-App?
Pürner sagt: „Ich lade die App nicht herunter und werde sie auch nicht empfehlen.“ Er halte ihren fachlichen Nutzen für fraglich. Kritik mancher Bürger daran, dass er als Leiter des staatlichen Gesundheitsamtes die vom Bund massiv beworbene App nicht empfiehlt, weist er zurück. Er stehe zu seiner Meinung.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Wo bleibt die Debatte über die Corona-Toten im AWO-Heim?
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