Im Dissens zwischen Gesundheitsamt und Arbeiterwohlfahrt zur Ausbreitung des Coronavirus im Aichacher AWO-Heim ist keine Annäherung in Sicht. Im Gegenteil: Am Montag bekräftigten beide Seiten auf Nachfrage ihre Kritik an der jeweils anderen. Am Wochenende starb ein weiterer Bewohner des Heims. Eine vor einigen Wochen nachgewiesene Covid-19-Erkrankung war laut Landratsamt aber nicht die Todesursache. Bisher starben im Landkreis 20 Menschen, die infiziert waren.
Elf Bewohner des AWO-Heims in Aichach starben am Coronavirus
17 davon waren Bewohner des AWO-Heims. Wie das Gesundheitsamt am Freitag mitgeteilt hatte, sind elf Bewohner am Coronavirus gestorben, die übrigen mit dem Coronavirus. Das Gesundheitsamt hatte dem Heim, besonders dessen Leitung, schwere Versäumnisse vorgeworfen. So seien nicht nur Grundregeln der Infektionshygiene, sondern anfangs auch die Meldepflicht bei Verdachtsfällen nicht eingehalten worden.
Amtsleiter Dr. Friedrich Pürner erneuerte am Montag die Kritik. Am 31. März hätten Labore dem Gesundheitsamt die positiven Testergebnisse von ersten vier Heimbewohnern übermittelt. Dem Robert-Koch-Institut zufolge seien Heimleiter bereits zu einer Meldung verpflichtet, wenn zum Beispiel zwei oder mehr Lungenentzündungen auftreten, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist – bevor ein Erregernachweis vorliegt. Laut Pürner hatten alle vier Bewohner eine Lungenentzündung, doch in keinem der Fälle sei eine Meldung des Heims eingegangen.
Gesundheitsamt: Heim versäumte grundsätzliche Infektionshygiene
Als Mitarbeiter des Amtes am selben Tag ins Heim fuhren, seien weder die Bewohnerzimmer noch der Wohnbereich mit den Verdachtsfällen isoliert gewesen, die Zimmertüren hätten offen gestanden. Pürner: „Grundsätzlich wurden am Anfang wesentliche Umsetzungen der Infektionshygiene versäumt.“
Dieter Egger, Vorstandsvorsitzender der AWO Schwaben, weist das weiter zurück. Er könne anhand seiner Unterlagen nicht nachvollziehen, dass die Meldepflicht verletzt wurde. Die Station mit den Verdachtsfällen sei nicht isolierbar gewesen – das gehe im Krankenhaus leichter –, die betreffenden Bewohnerzimmer seien aber gekennzeichnet und isoliert worden. Die Zimmertüren seien geschlossen, nur eine Zugangstür vom Treppenhaus zur Station versehentlich offen gewesen. Egger: „Der Vorwurf, dass auf die Verdachtsfälle hin nicht die nötigen Hygienemaßnahmen eingeleitet wurden, stimmt sicher nicht.“
AWO bekräftigt Kritik an später Testung im Heim durch Gesundheitsamt
Er erneuerte seine Kritik am „Geschäftsgebaren des Gesundheitsamts“: Selbst wenn, wofür er keinen Nachweis habe, eine Meldung über Verdachtsfälle verspätet erfolgt sei, müsse man das ins Verhältnis setzen zur „verspätet erfolgten Reihentestung“ im Heim und „kucken, was schwerer wiegt“. Die AWO vier Mal dringend um einen solchen Test gebeten, wie er vergangene Woche bei 61 Bewohnern und 92 Mitarbeitern erfolgte. Die Begründung des Amts, warum sie nicht eher stattfand, „überzeugt mich nicht“, so Egger. Wie berichtet, vertritt das Gesundheitsamt den Standpunkt, Tests seien wegen der zweiwöchigen Inkubationszeit nur eine Momentaufnahme, guter Infektionsschutz viel wichtiger.
Zu den Vorwürfen des Amtes hatte Egger am Freitag gesagt, sie seien ihm nicht bekannt, in den Begehungsberichten des Amtes tauchten sie nicht auf. Auf nochmalige Nachfrage sagte er nun, die Mails lägen im Heim vor. Dem Amt zufolge ist es Standard, dass solche Berichte mit festgestellten Mängeln und Empfehlungen an die Heime geschickt werden.
AWO-Bezirksverband wendet sich in Brief an Aichacher Heimpersonal
Egger kritisierte, das Amt solle solche Mails auch mal dem Bezirksverband senden und bemängelte, sie seien „undetailliert, unspezifisch“ und nicht als Prüfberichte erkennbar. „Elementare Inhalte [...] sind zum Teil nicht enthalten.“ Egger: „Ein normaler Prüfbericht schaut anders aus.“ Der in einer Mail enthaltene „Vorwurf des Personalmangels geht vollkommen ins Leere“.
Am Montag wandte sich der AWO-Bezirksverband in einem Brief, der unserer Redaktion vorliegt, an das Heimpersonal. Unterzeichnet von Egger, Verwaltungsrats-Vorsitzendem Heinz Münzenrieder und Altenhilfereferentin Sabine Polzer, heißt es darin zu den Vorwürfen: „Wir werden uns mit guten Argumenten gegenüber dem Gesundheitsamt hiergegen wehren. Dem Ernst der Lage entsprechend, halten wir es aber derzeit nicht für zielführend, darüber eine öffentliche Diskussion zu führen.“ Das Personal leiste großartige Arbeit. Mit den Behörden müsse man „an der Bewältigung dieser über uns gekommenen Krise arbeiten“.
56 Menschen in Aichach-Friedberg sind derzeit am Coronavirus erkrankt
Aktuell sind dem Gesundheitsamt 56 an Covid-19 Erkrankte im Kreis bekannt. Seit Beginn wurden 288 Menschen positiv getestet, 212 sind wieder gesund. In den Kliniken an der Paar werden sieben positiv Getestete behandelt, vier werden beatmet.
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