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Baar/Brasilien: Ein Baarer lernt das Chaos lieben

Baar/Brasilien

Ein Baarer lernt das Chaos lieben

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    Peter Neff wanderte vor 15 Jahren von Baar nach Brasilien aus (links). Ein Zug, der voll beladen mit Eisenerz mitten durch Betim fährt, ohne Schranke. Dafür ist der Zug mit einer Hupe ausgestattet (Mitte). Die Reisegruppe aus Baar besuchte auch eine der zehn Kathedralen von Ouro Preto. Die Stadt im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist wegen ihrer barocken Altstadt, die UNESCO-Weltkulturerbe ist, ein Touristenmagnet (rechts). Eindrücke vom Weg nach Ouro Preto, die als eine der schönsten Städte Brasiliens gilt (oben). Fotos: Gemeinde Baar
    Peter Neff wanderte vor 15 Jahren von Baar nach Brasilien aus (links). Ein Zug, der voll beladen mit Eisenerz mitten durch Betim fährt, ohne Schranke. Dafür ist der Zug mit einer Hupe ausgestattet (Mitte). Die Reisegruppe aus Baar besuchte auch eine der zehn Kathedralen von Ouro Preto. Die Stadt im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist wegen ihrer barocken Altstadt, die UNESCO-Weltkulturerbe ist, ein Touristenmagnet (rechts). Eindrücke vom Weg nach Ouro Preto, die als eine der schönsten Städte Brasiliens gilt (oben). Fotos: Gemeinde Baar

    Baar/Brasilien. Weltenbummler - nein, dieses Attribut passt für Leonhard Kandler wirklich nicht.

    "Ich weiß nicht, was ich 14 Tage am Strand machen würde", sagt der Bürgermeister von Baar. Im Herbst aber machte er sich trotzdem mal auf zu einer großen Reise - es sollte einer der Höhepunkte seines Jahres werden. Brasilien war das Ziel; dort hat es ihm so gut gefallen, dass es nicht bei diesem einmaligen Abstecher bleiben soll: "Ich war das erste Mal dort, aber nicht das letzte Mal."

    Warum ausgerechnet dieses Land in Südamerika? Dort wanderte vor 15 Jahren mit Peter Neff ein Bürger aus der Gemeinde Baar aus. Der errichtete im Auftrag von Kuka Schweißroboter in Betim. Mittlerweile hat er sich beruflich verändert und ist nun in der Führungsebene für ein Unternehmen tätig, das von einem Italiener geleitet wird und Automobilbauer, speziell Fiat, mit wichtigen Komponenten wie Achsen und Karosserien beliefert.

    Als im Frühjahr erstmals Brasilien im Hause Kandler zur Debatte stand, erhielt der Bäcker- und Konditormeister sofort grünes Licht von seiner Gattin: "Da fährst du mit." Sie übernahm auch seine Arbeit in der Backstube. Via Lissabon ging es per Flugzeug über den großen Teich nach Belo Horizonte. Betim, das rund 250 000 Einwohner zählt, liegt nicht weit davon entfernt in der Mitte des großen Landes. Als bei uns der Herbst Einzug hielt, begann in Brasilien gerade das Frühjahr. Schnee ist dort ein Fremdwort, die Temperaturen fallen praktisch nie unter die Marke von zehn Grad - im Plusbereich wohlgemerkt.

    Unheimlich viel weiß der 61-Jährige zu erzählen von dieser knapp zweiwöchigen Reise. Mit ihren weniger erfreulichen Aspekten und erst recht mit ihren schönen Seiten, an die er sich zu gerne erinnert am Jahresende: "Ich kann den Peter schon verstehen, dass er das Chaos lieb gewinnt." Der Ex-Baarer hat vor, auf Dauer in seiner Wahlheimat zu leben. In absehbarer Zeit soll er mal wieder im Wittelsbacher Land aufkreuzen. So wie 2008, als man 22 Gäste aus Brasilien auf Feldbetten in der Mehrzweckhalle unterbrachte. Das Oktoberfest in München hatte es der Abordnung aus Brasilien angetan und ebenso die Allianz-Arena. Zum Besuch eines Spiels der Bayern aber hat es damals nicht gereicht.

    Kandler hat über Vieles gestaunt, was er beim Gegenbesuch erlebte. Etwa über die Fußballbegeisterung, die schier keine Grenzen kennt. Mag das Haus in Brasilien noch so ärmlich aussehen, an der Satellitenschüssel auf dem Dach und dem hochmodernen Fernseher mangelt es nicht. Fußball wird praktisch rund um die Uhr live angeboten.

    Besondere Ansprüche in puncto Hygiene durften die Gäste aus Deutschland nicht anmelden. An jeder Straßenecke wurde Rindfleisch gegrillt und dann mit einem Messer zerteilt, das - so Kandler - "noch nie gewaschen wurde". Auffällig waren auch die sozialen Unterschiede.

    Ein einfacher Arbeiter kann sich abends von seinem Lohn, den er untertags erarbeitet hat, nur ein Bier und eine einfache Mahlzeit leisten. Auf die hohe Kante vermag er nichts zu legen. Bier wird oft getrunken, stets eiskalt und nicht selten in Verbindung mit Zuckerrohrschnaps.

    Besonders gut gefallen hat Leonhard Kandler und seinen zehn Begleitern die Gastfreundschaft. Untergebracht waren sie in einer Finca, die sich in jeder Hinsicht sehen lassen konnte. Als Kommunalpolitiker mit langer Erfahrung fielen Kandler die gewaltigen Defizite bei der Infrastruktur auf. Beim Straßenbau, bei Wasserversorgung und Entwässerung werden seiner Aussage zufolge hierzulande wesentlich strengere Maßstäbe angelegt. Viel Geld werde von der Korruption aufgefressen. Die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern lässt zu wünschen übrig, das Land wird von seinen Rohstoffen her gnadenlos ausgebeutet. Dass nur noch wenige Männer mit 55 Jahren dazu in der Lage sind, einer Arbeit nachzugehen, scheint die Gewerkschaften nicht zu interessieren. Ebenfalls negativ ins Auge gestochen ist dem sechsfachen Familienvater, dass Ehescheidungen in Brasilien beinahe an der Tagesordnung sind.

    Bei aller Begeisterung für diesen fernen Kontinent, stellt Kandler im Nachhinein auch fest: "Ich war so froh, als es wieder heim ging." Nicht zuletzt auch deshalb, weil es hier nicht zum Alltag gehört, eine Schusswaffe mit sich zu führen.

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