Bevor Sonja Falkner das Jugendzentrum in Aichach verlässt, packt sie sich warm ein. Ihren Wollmantel knöpft sie sich bis unters Kinn zu, eine Mütze bedeckt ihre kurzen Haare. Einen dicken Schal hat sie auch immer dabei. Im Winter kommen noch Handschuhe und wenn es richtig kalt wird, Handwärmer dazu. "Der erste Winter war hart", sagt Falkner. Aber inzwischen sei sie es gewohnt, bei jedem Wetter draußen zu sein. Seit 2019 arbeitet Falkner als Streetworkerin. Nach einem Jahr in Neuburg hat sie im April in Aichach angefangen. Als Streetworkerin, wörtlich übersetzt Straßenarbeiterin, ist die 24-jährige Sozialarbeiterin ständig draußen unterwegs.
Normalerweise beginnen ihre Streifzüge durch Aichach erst um 17 Uhr, manchmal auch um 22 Uhr. Heute ist es vormittags, sie zeigt ihre Runde zwar unserer Redaktion, will aber nicht Gefahr laufen, Jugendliche unfreiwillig in die Zeitung zu bringen. Eigentlich gibt es auch keine feste Runde. Falkner kennt verschiedene Ecken Aichachs, an denen sich Teenager häufig aufhalten. Die läuft sie bei ihrer Arbeit ab. Die 24-Jährige versucht nicht zu oft in einer Woche die gleiche Gruppe zu treffen. Deswegen geht sie jeden Tag entweder an andere Orte oder zu anderen Zeiten raus. "Man muss aber immer ein bisschen Glück haben", sagt Falkner. Die Jugendlichen seien nicht immer an festen Plätzen.
Der Aichacher Stadtplatz ist als Treffpunkt beliebt
Manchmal beginnt die Arbeit direkt vor der Haustüre, erzählt Falkner: "Bei uns im Juze-Garten sind ab und zu Leute." Seit es im Juze WLAN gibt, kommen noch mehr junge Menschen zu ihnen. Diesmal geht sie vom Jugendzentrum aus die Bahnhofsstraße entlang bis zum Hit. Am Parkplatz des Supermarktes oder an Spielplätzen in der Gegend seien abends häufig Teenager. Laut Falkner sitzen sie dann zusammen, quatschen, rauchen oder trinken. "Eigentlich ist so ein Ort wie ein erweitertes Wohnzimmer", erklärt sie. Wenn sie zu Hause nicht die Möglichkeit hätten zu "chillen", dann würden sie es halt im öffentlichen Raum machen. Die Gegend um den Hit sei beliebt, weil es Einkaufsmöglichkeiten gibt. "Wichtig ist auch, dass Plätze nicht so gut einsehbar von der Straße sind", sagt die 24-Jährige. Genauso beliebt sei die Gegend um den Bahnhof, wo die Jugendlichen sich ebenfalls Essen kaufen können. Oder der Stadtplatz, weil es da WLAN gibt.
Falkner erzählt, wenn sie eine Gruppe trifft, bleibt sie oft einfach in der Nähe stehen. Dann wartet sie ab, ob die Jugendlichen sie ansprechen. Wenn sie die Gruppe nicht kennt, stellt sie sich vor. Wenn die Teenager Lust auf ein Gespräch haben, bleibt sie da und redet mit ihnen, wenn nicht, dann geht sie wieder. "Das ganze Angebot ist freiwillig", betont Falkner. Das findet sie an ihrer Arbeit als Streetworkerin besonders gut. Es gibt keine Regeln, wenn sie mit den jungen Menschen auf der Straße spricht. "Ich bin Gast in ihrer Lebenswelt", so Falkner. Da sei es okay, wenn sie Schimpfwörter benutzen und rauchen. "Sie machen die Regeln."
Falkner: Zu wenig Streetwork in Aichach
Falkner arbeitet wöchentlich 15 Stunden als Streetworkerin. Auch während des aktuellen Lockdowns darf sie ihre Arbeit machen. Weitere 15 Stunden ist sie im Jugendzentrum. Um auf eine Vollzeitstelle zu kommen, ist sie noch zehn Stunden die Woche in Kissing als Streetworkerin unterwegs. Die Sozialarbeiterin findet, 15 Stunden Streetwork sind für eine Stadt in der Größe von Aichach zu wenig. Die Arbeit lebe davon, sich kontinuierlich zu zeigen. "Keiner erzählt dir gleich von Anfang an, was bei ihm abgeht", so Falkner.
Sie unterhält sich mit den Teenagern über das, was sie gerade beschäftigt. "Es gibt Jugendliche, die verschiedene Probleme gleichzeitig haben", erzählt Falkner. Wegen Schwierigkeiten im Freundeskreis bekämen sie zum Beispiel Probleme in der Schule. Das führe wiederum zu Ärger in der Familie. "Es ist dann ein Teufelskreis, und man muss es schaffen, an einem Punkt anzusetzen", sagt Falkner. Sie motiviert es, "sobald ein Jugendlicher sagt, er kommt ein bisschen mit seinem Leben klar". Wenn zum Beispiel jemand, der lange keinen Job hatte, Arbeit findet. "Kleine Dinge, die einen großen Unterschied machen", nennt die 24-Jährige das.
Streetwork: Hilfe bei Jobsuche oder vor Gericht
Falkners Arbeit ist bunt gemischt. Sie hilft jungen Menschen bei der Jobsuche oder unterstützt sie während einer Gerichtsverhandlung. Sie berät, wo sie bei Drogenproblemen Hilfe finden. Sie geht ins Jugendamt, wenn ein Jugendlicher von Gewalt oder Vernachlässigung in der Familie erzählt. In ihrer Zeit in Neuburg hat sie mit Jugendlichen gearbeitet, die auf der Straße lebten. In Aichach sei ihr das noch nicht begegnet. "Das heißt aber nicht, dass es das hier nicht gibt", so Falkner. "Menschen, die durch alle Netze fallen, gibt es immer."
Es fängt an zu nieseln, die Vorzeigerunde neigt sich nach einem kurzen Spaziergang über den Bahnhof dem Ende zu. Auch wenn es kalt ist, sind abends Jugendliche draußen unterwegs, erzählt Falkner und fügt hinzu: "Leider." Es gebe außer dem Jugendzentrum in Aichach keine Plätze für sie, "und die Öffnungszeiten im Juze sind begrenzt". Nicht jeder habe die Möglichkeit, Freunde mit nach Hause zu nehmen. Deswegen, findet Falkner, braucht es mehr Angebote für sinnvolle Freizeitbeschäftigungen in Aichach. Auch mehr Jugendarbeit wäre hilfreich, sagt sie.
Steetworkerin aus Aichach: Stadt hat kein Problem mit jugendlicher Gewalt
Während sie an dem grauen Herbsttag zurück zum Jugendzentrum geht, sagt Falkner: "Ich könnte mir keinen anderen Beruf vorstellen." Wenn sie nachts in Aichach unterwegs sei, habe sie noch nie Angst gehabt oder sich unwohl gefühlt. Auch wenn in diesem Jahr immer mal wieder Jugendliche in den Polizeimeldungen aufgetaucht sind. Falkner ist es wichtig, dass Aichachs Einwohner wissen: "Die Stadt hat kein Problem mit jugendlicher Gewalt." Sie sei hier vielen freundlichen und höflichen jungen Menschen begegnet. "Sie sind nicht gewalttätig, aber sie brauchen Unterstützung", so die Sozialarbeiterin. Und dafür lohnt es sich für Falkner unterwegs zu sein – auch im Regen.
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