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Aichach: Prozess in Aichach um einen „Pastor“, der keiner ist

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Prozess in Aichach um einen „Pastor“, der keiner ist

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    Priester oder Pastoren müssen vor ihrer Weihe eine umfassende Ausbildung durchlaufen. Ein Mann aus dem nördlichen Landkreis Aichach-Friedberg kann dies nicht nachweisen – und darf den Titel „Pastor“ daher nicht tragen.
    Priester oder Pastoren müssen vor ihrer Weihe eine umfassende Ausbildung durchlaufen. Ein Mann aus dem nördlichen Landkreis Aichach-Friedberg kann dies nicht nachweisen – und darf den Titel „Pastor“ daher nicht tragen. Foto: Rolf Haid, dpa

    Er hat seine persönliche Religionsgemeinschaft gegründet und bezeichnet sich als deren apostolischer Leiter. „Die Legitimation dazu erfolgt durch den Ruf Jesus Christus, wie seinerzeit bei den Aposteln“, sagt er. Das bewahrt einen 61-Jährigen aus dem nördlichen Landkreis nicht davor, vor ein irdisches Gericht zitiert zu werden. Am Mittwoch muss sich der Mann vor dem Aichacher Amtsrichter Walter Hell wegen Titelmissbrauchs und Verleumdung verantworten.

    Der 61-Jährige "Pastor" will vor Gericht seine Unschuld beweisen

    Der 61-Jährige trägt ein kariertes Sakko und Weste in Brauntönen, ein weißes Hemd mit grünen Streifen und eine gemusterte, blau geprägte Krawatte. Er hat keinen Anwalt und will seine Unschuld beweisen. Deshalb hat er Einspruch gegen einen Strafbefehl erhoben. Er sollte 8000 Euro (100 Tagessätze à 80 Euro) zahlen, weil er sich „Pastor“ nennt und er hat behauptet, ein früheres Gemeindemitglied missbrauche die eigenen Töchter. So lautet der Vorwurf der Anklage.

    Der 61-Jährige ist gelernter Automobilverkäufer, der unter anderem als Handelsvertreter und Computeradministrator gearbeitet hat. Bei einem Missionswerk hat er sich in den 90er-Jahren auf einen apostolischen Dienst vorbereitet, teilt er mit. 1996 gründete er die Religionsgemeinschaft und begann seinen „vollzeitlichen Dienst“, wie er sagt. Seit 2006 gibt es einen eingetragenen Verein gleichen Namens. Sitz ist das Privatwohnhaus des 61-Jährigen. Gottesdienste feiert die Gemeinschaft im gemieteten Saal einer Gaststätte in einer anderen Gemeinde im Landkreis . Studiert hat der Gemeindeleiter und Prediger nicht.

    Der Gemeindeleiter bezeichnet sich als Pastor

    Gleichwohl bezeichnet er sich als Pastor. Der 61-Jährige findet nichts dabei, „weil es Teil des apostolischen Rufes ist“. Bei Pastor handle es sich um eine „allgemein gebräuchliche Bezeichnung für Hirte“, die üblich sei in freikirchlichen Kreisen, begründet er. Mit der evangelischen Kirche habe das nichts zu tun. Zu seiner Verteidigung legt der Angeklagte das Schreiben eines Ehepaares aus seiner Gemeinde vor. Der Mann, ursprünglich katholischer Priester, betont darin, die Gemeinde habe den Angeklagten überredet, sich Pastor zu nennen. Das sei auch völlig zutreffend für seinen Dienst. Der Angeklagte zitiert aus dem Brief: „So ist er für uns ein gesegneter Hirte, so wie es ein Pastor sein sollte.“

    Den Vorwurf der Verleumdung weist der 61-Jährige als „völligen Blödsinn“ zurück. Die Behauptung beruhe „lediglich auf der Aussage einer Person“. Diese „Person“ ist die Tochter des Angeklagten. In der Beweisaufnahme zeigt sich, dass es nicht nur friedlich zugegangen ist in der Religionsgemeinschaft . Die 34-jährige Tochter hat mit dem Vater gebrochen. Sie bestätigt als Zeugin dessen Behauptung, ein früheres Gemeindemitglied, ein heute 67-Jähriger, habe seine eigenen Töchter sexuell missbraucht. Dieser ist sehr gefasst, aber auch sehr ernst im Zeugenstand. Seine Familie ist durch die Religionsgemeinschaft auseinandergebrochen. Eine seiner drei Töchter gehört noch dazu. Zu ihr hat die Familie keinen Kontakt mehr. Der Vater ist überzeugt davon, dass ihr der Angeklagte den Kontakt verboten hat und sie beeinflusst. Er hat den Gemeindeleiter wegen Verleumdung angezeigt. Denn nicht nur dessen Tochter erzählte ihm von der ungeheuren Behauptung. Auch der Nachbar des 67-Jährigen, ebenfalls früher Gemeindemitglied, wusste schon seit Jahren davon. Nicht zuletzt, so der Zeuge, habe ihm seine Frau weinend erzählt, dass ihr der Angeklagte weismachen wollte, er missbrauche ihre Töchter.

    Ein ehemaliges Mitglied berichtet von Spenden an den Gemeindeleiter

    Der 67-Jährige ist schon 2011 aus der Gemeinschaft ausgetreten und berichtet von erheblichen Differenzen mit dem Angeklagten, auch „weil ich gemerkt habe, dass finanzielle Ungereimtheiten da waren“. Die Spenden seiner „Schäfchen“ (Amtsrichter Hell ) sind nicht Gegenstand der Verhandlung, kommen aber zur Sprache. Der 67-Jährige berichtet, dass die Gemeindemitglieder jeweils den zehnten Teil ihres Einkommens an den Gemeindeleiter abtreten sollten. Wie viele das getan hätten, wisse er nicht. Manche hätten wie er Geld überwiesen, andere Kuverts überreicht. Fest steht: Der Angeklagte lebt von seiner Glaubensarbeit. Etwa 3000 Euro hat er nach eigenen Angaben monatlich zur Verfügung.

    Als Staatsanwältin Beate Schauer 8400 Euro Geldstrafe fordert, sagt der Angeklagte, es sei „geradezu lächerlich, mich auf die weltliche Ebene herunterzuziehen“ und spricht von einem Eingriff in seine Religionsfreiheit. Der Richter schließt sich im Urteil der Staatsanwältin an. Pastor sei eine eindeutige Amtsbezeichnung der evangelischen Kirche . Die gelte es zu schützen. „Im Prinzip sind’S nichts anderes als ein Autoverkäufer“, sagt der Richter zum Angeklagten. Für Hell wiegt die Verleumdung noch schwerer. Es sei heutzutage „extrem problematisch, solche Sachen zu verbreiten“.

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