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Aichach: Nach Zugunglück: Sohn einer Getöteten kritisiert Aufarbeitung der Bahn

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Nach Zugunglück: Sohn einer Getöteten kritisiert Aufarbeitung der Bahn

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    Beim Zugunglück in Aichach starben im Mai zwei Menschen.
    Beim Zugunglück in Aichach starben im Mai zwei Menschen. Foto: Matthias Balk, dpa

    Am 7. Mai hat er seine Mutter verloren. Auf tragische Weise. Die 73-Jährige ist von einer Zugfahrt nicht mehr zurückgekehrt. Sie kommt, ebenso wie der 37-jährige Lokführer, ums Leben, als unweit des Aichacher Bahnhofes ein Passagierzug auf einen Güterzug prallt. Ihr Sohn zeigt schon kurz danach eine versöhnliche Haltung. Ihm ist allerdings die Aufarbeitung wichtig und die ist aus seiner Sicht bislang „absolut enttäuschend“ gelaufen.

    Daniel S., der seinen vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, geht es nicht darum, dass jemand zur Verantwortung gezogen wird. „Die strafrechtliche Aufarbeitung verfolge ich nicht“, sagt der 50-Jährige. Die konzentriert sich auf den 24-jährigen Fahrdienstleiter im Aichacher Bahnhof. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft Augsburg wegen fahrlässiger Tötung. Das dauert noch, wie Pressesprecher Matthias Nickolai signalisiert. Inzwischen liegt zwar das unfallanalytische Gutachten vor. Es seien aber weitere Ermittlungen nötig, so Nickolai. Einblicke in die Erkenntnisse des Sachverständigen will er deshalb noch nicht geben.

    Für Daniel S. ist all das zweitrangig. Wenige Tage nach dem Unglück äußerte er auf Facebook Mitgefühl mit dem Fahrdienstleiter: „Wir alle machen andauernd Fehler. Wenn sie solche tragische Konsequenzen haben, können wir sie uns nur schwer verzeihen. Dass ihm dies gelingt, wünsche ich dem jungen Mann ebenfalls von Herzen.“

    Weil der Aichacher Bahnhof noch über ein mechanisches Stellwerk verfügt, muss der Fahrdienstleiter dort wie vor 100 Jahren auf Sicht arbeiten. Er trägt die Verantwortung, auf welchen Gleisen die Züge einfahren. Am 7. Mai ist es das falsche. Dem Personenzug wird um 21.15 Uhr die Einfahrt auf Gleis zwei ermöglicht, obwohl dort ein Güterzug steht. Neben den Todesopfern werden bei dem Aufprall drei Menschen schwer und zwölf leicht verletzt.

    Das mechanische Stellwerk in Aichach ist noch nicht ausgetauscht

    Daniel S. findet, dass sich etwas im Bahnbetrieb ändern muss. Er bedauert: „Einziges Anzeichen einer bahnseitigen Aufarbeitung ist die halbherzige Ankündigung vom 7. Juli 2018.“ Damals hatte die Deutsche Bahn angekündigt, ab 2019 innerhalb von fünf Jahren 600 der deutschlandweit 1200 mechanischen Stellwerke für 90 Millionen Euro mit elektronischen Warnanlagen auszustatten.

    Das fordert seit dem Unglück auch die Bayerische Regiobahn (BRB), Betreiber der Paartalbahn. Ihre Hoffnung, der Aichacher Bahnhof könnte zu den ersten gehören, die nachgerüstet werden, hat sich bislang nicht erfüllt. Von der Deutschen Bahn ist dazu wenig zu hören. Sie arbeite an einem Konzept zur Nachrüstung der Stellwerke, so ein Sprecher, könne aber noch keine konkreten Termine nennen.

    Daniel S. findet zwar, dass es bei der Aufarbeitung viele gibt, „die gute Arbeit leisten“, doch nach seiner Ansicht ist die Bahn „unter den derzeit politisch gegebenen Rahmenbedingungen gar nicht in der Lage, die Unglücksursachen effektiv aufzuarbeiten“. Als Aktiengesellschaft müsse sie profitabel sein und sei damit in einem Dilemma. Dieses sieht er als Hauptursache für den Tod des Zugführers und seiner Mutter.

    Die Bundesregierung müsse die Rahmenbedingungen ändern, um die Situation bei der Bahn nachhaltig zu verbessern, fordert er und ergänzt: „Untersuchungen, Schuldzuweisungen, technische und moralische Debatten könnten das nicht bewirken.“ Für Daniel S. hilft deshalb nur eines: Der Schritt in die Aktiengesellschaft muss zumindest für die DB Netz rückgängig gemacht werden.

    Technische Anlage hätte Zugunglück in Aichach womöglich verhindert

    Einen Anstoß für eine Veränderung könnte die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) in Bonn liefern. Sie beschäftigt sich mit der Frage, ob nach Aichach Konsequenzen nötig sind. Ergebnisse liegen laut Pressesprecher Gerd Münnich „vermutlich erst Anfang nächsten Jahres“ vor. Vorläufig aber stellt er bereits fest: „Bisherige Erkenntnisse werden untermauert.“ Die bittere Erkenntnis also, dass das Unglück vermutlich durch menschliches Versagen verursacht wurde.

    Die BEU kann allerdings nur Empfehlungen aussprechen. Im Fall Aichach werden sie vermutlich nicht neu sein. Münnich erinnert an einen Zugunfall im Juni 2017 in Leese-Stolzenau an der westfälisch-niedersächsischen Grenze. Es gibt viele Parallelen zu Aichach. Auch dort trug ein Fahrdienstleiter die Verantwortung. Auch dort gab es ein mechanisches Stellwerk und auch dort wurde ein Zug auf ein Gleis geschickt, das besetzt war.

    Dort waren die Folgen nicht so schwerwiegend: Beim Zusammenstoß zweier Güterzüge wurden die beiden Triebfahrzeugführer schwer verletzt. Im Untersuchungsbericht resümiert die BEU: „Bahnhöfe, die bisher über keine selbsttätige Gleisfreimeldenlage verfügen, sollten dahingehend einer Risikobetrachtung unterzogen werden. Im Ergebnis dessen sollten die Hauptgleise dieser Bahnhöfe (...) sukzessive (...) nachgerüstet werden.“

    Eine solche Anlage hätte das Unglück in Aichach womöglich verhindert. Daniel S. will sich weiter dafür einsetzen, dass sich eine solche Tragödie nicht wiederholen kann.

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