In der Nacht zum ersten Weihnachtsfeiertag waren die Notarztstandorte in Aichach und Friedberg nicht besetzt,sprich: Von dort aus hätte kein Notarzt mit dem Bayerischen Roten Kreuz (BRK) zum Einsatzort fahren können. Dass ein Standort nicht besetzt ist, kommt inzwischen häufiger vor als früher – aus mehreren Gründen.
Die Vergütung ist zu niedrig
Ein Grund, den alle Gesprächspartner unserer Redaktion nannten, ist die Vergütungsreform durch die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) 2015. Eberhardt Binhammer, Gruppensprecher am Notarzt-Standort Friedberg, sagt: „Damals wurde im Prinzip das Gehalt halbiert.“ Die Notärzte hätten das erst Ende 2014 erfahren. „Zumindest an meinem Standort hat das damals den Teamgedanken vernichtet.“ Viele sagten seither öfter Nein als vorher.
Bekommt ein Arzt, der nach seiner langen Ausbildung entsprechend verdient, als Notarzt weniger Geld als in seinem „Hauptjob“, ist dieser Dienst nicht attraktiv. Auch Dr. Richard Leberle, regelmäßig als Notarzt im Landkreis im Einsatz, glaubt, mit einer „vernünftigen Honorierung“ würden viele Mediziner mehr Dienste übernehmen. Hinzu kommt: Wenn Ärzte sich etwa für den Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst melden, verdienen sie laut Leberle „für Husten, Schnupfen, Heiserkeit“ mehr Geld als ein Notarzt.
Es kann nur eingeteilt werden, wer sich freiwillig meldet
Als Notarzt kann nur eingeteilt werden, wer sich freiwillig meldet. Wo es möglich ist, versucht die KVB, Springer einzusetzen. Bewährt sich das System der Freiwilligkeit? Binhammer meint: Nein. „Es wird irgendwann auf ein Pflichtsystem rauslaufen.“ Leberle dagegen hält nichts davon: Das demotiviere nur die Mitarbeiter.
Es werden zu wenig neue Notärzte ausgebildet
Eberhardt Binhammer ist überzeugt: „Wir laufen in einen drastischen Nachwuchsmangel rein.“ Es würden zu wenig Notärzte ausgebildet. Am Standort Friedberg sei von 28 Notärzten inzwischen circa die Hälfte über 60 Jahre alt.
Arbeitsbelastung in Praxen und Kliniken steigt
Dr. Christian Mack, Gruppensprecher am Notarzt-Standort Aichach, zufolge sind viele Ärzte in ihren Kliniken so eingetaktet, dass keine Zeit für den Dienst als Notarzt bleibt.
Spielt die Arbeitseinstellung der Ärzte eine Rolle?
Die KVB sieht in der Arbeitsverdichtung in Praxis und Klinik ein Motiv für den „berechtigten Wunsch, Arbeits- und Privatleben miteinander in ein gesundes Gleichgewicht zu bringen“. Auch Mack sagt: „Es gibt eine neue Generation von Leuten, die nicht mehr bereit sind, sich totzuarbeiten.“ Mancher Notarzt weist jedoch Kritik an der Arbeitseinstellung junger Mediziner zurück. Zu ihnen gehört Richard Leberle, 39. Er sei Notarzt aus Überzeugung.
Einsatzzahlen für Notärzte steigen massiv an
Die Einsatzzahlen sind massiv gestiegen. Waren es am Standort Friedberg laut Binhammer 1992 rund 800 Einsätze, gab es 2019 rund 5500 – obwohl mit Haunstetten und Gersthofen in den 1990er Jahren zwei Standorte hinzukamen, die ebenfalls viel beschäftigt sind, und ein Rettungshubschrauber in Augsburg stationiert wurde. Die Gründe sind vielfältig: Früher war der Hausarzt die zentrale Anlaufstelle. Das ist laut Binhammer nicht mehr so. Auch die Anspruchshaltung der Patienten steige: Oft werde der Notarzt gerufen, obwohl er nicht nötig wäre. Und manchmal muss er laut Thomas Winter, Rettungsdienst-Leiter beim BRK Aichach-Friedberg, nur aus rechtlichen Gründen alarmiert werden.
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