Mehrfach hat Friedrich Pürner, Epidemiologe und Leiter des Gesundheitsamts Aichach-Friedberg, Teile der Corona-Strategie der Bayerischen Staatsregierung öffentlich kritisiert. Vor einer Woche musste er deshalb zum Rapport ins Gesundheitsministerium, offiziell als "fachlicher Austausch" betitelt. Seitdem herrschte Stillschweigen von beiden Seiten. Am Dienstag teilte die Regierung von Schwaben mit, dass Pürner ab nächster Woche ans Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) "abgeordnet" wird. Dort werde ein neues Sachgebiet für den Öffentlichen Gesundheitsdienst aufgebaut. "Ziel ist, die Prozessqualität und die Digitalisierung an den Gesundheitsämtern in Bayern voranzubringen."
Zu einem möglichen Zusammenhang der Versetzung mit Pürners wiederholter Kritik am bayerischen Vorgehen in der Corona-Pandemie wollte sich das Gesundheitsministerium nicht äußern. Pürner hatte unter anderem die in seinen Augen verfehlte Teststrategie, die seiner Ansicht nach nicht sinnvolle Maskenpflicht in Schulen und Kindergärten sowie die Schließung von Klassen oder Schulen wegen positiver Testergebnisse kritisiert.
Friedrich Pürner: "Da wird ein Exempel an mir statuiert"
In einer Antwort des LGL auf Anfrage unserer Redaktion heißt es zu seinen neuen Aufgaben: "Dr. Friedrich Pürner als erfahrener Amtsarzt, der sowohl die Arbeit eines Gesundheitsamts als auch das LGL kennt, soll mit seiner fachlichen Expertise und seiner Erfahrung im Aufbaustab zentrale Themen übernehmen." Welche das sein sollen, war Pürner am Dienstagmittag aber selbst noch nicht bekannt.
Der 53-Jährige, seit Februar 2018 Leiter des Gesundheitsamts in Aichach, empfindet seinen Wechsel nach eigener Aussage als "Strafversetzung". Pürner: "Da wird ein Exempel an mir statuiert, damit ja kein anderer Amtsarzt auf die Idee kommt zu widersprechen." Von seiner Versetzung habe er am Dienstagmorgen "völlig überraschend" telefonisch erfahren. Er habe "explizit gesagt", dass er mit dem Wechsel "nicht einverstanden" sei. Pürner weiter: "Ich bin überrascht, dass man angesichts der Zahlen gerade (gemeint ist die Entwicklung der Corona-Fallzahlen, Anm. d. Redaktion) und der Arbeitsbelastung tatsächlich einen erfahrenen Leiter des Gesundheitsamts wegtut."
Gesundheitsamtsleiter stand seit Pandemie im Fokus der Öffentlichkeit
Der Landkreis Aichach-Friedberg liegt seit Mittwoch vergangener Woche über einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern. Wie in vielen Regionen Deutschlands hat das Gesundheitsamt alle Hände voll mit der Kontaktnachverfolgung positiv Getesteter zu tun.
Pürner stand seit der Corona-Pandemie mehrfach im Fokus der Öffentlichkeit. Zunächst, als im Aichacher AWO-Heim 17 Menschen an oder mit Covid-19 starben. Pürner kritisierte die AWO scharf für Hygienemängel in ihrem Heim; die AWO warf ihm zu späte Reihentests vor. Im Sommer wurden auf dem Spargelhof der Lohner Agrar GmbH in Inchenhofen 96 von 525 Mitarbeitern positiv getestet. Keiner von ihnen zeigte Symptome. Pürner führte die positiven Testergebnisse daher auf bereits in der Vergangenheit durchgemachte Erkrankungen zurück und lobte wiederholt das Hygienekonzept des größten Spargelanbauers in der Region.
Friedrich Pürner distanziert sich von Verschwörungstheorien
Das brachte ihm viel Kritik ein – genauso wie seine Aktivitäten auf Twitter, wo er neben renommierten Virologen wie Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit auch Verschwörungstheoretikern folgt – etwa Anhängern des US-amerikanischen QAnon-Mythos. Er selbst distanziert sich von jedweder Verschwörungstheorie und erklärt sein Verhalten damit, dass er Menschen mit anderen Ansichten im Gespräch überzeugen wolle, statt sie auszugrenzen.
Der Augsburger SPD-Landtagsabgeordnete Harald Güller sagte auf Anfrage: "Die "Abordnung" Pürners ist ein fataler Fehler der Staatsregierung und insbesondere des Ministerpräsidenten." Sie sei "natürlich eine Strafversetzung und der Versuch, [...] Pürner mundtot zu machen und dafür zu sorgen, dass kein anderer solche Kritik an Söder wagt". Güller sprach von einem völlig überzogenen Akt. "Man muss nicht jede Äußerung von Dr. Friedrich Pürner teilen, gerade was die Masken betrifft, bin ich anderer Meinung." Pürner leugne aber nicht die Gefahr oder die Existenz des Virus. "Allerdings besteht jetzt mit seiner "Abordnung" die große Gefahr, dass die (...) Aussagen von ihm von irren Corona-Leugnern, Aluhutträgern und Verhetzern aus der AfD (...) missbraucht werden."
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