Es scheint widersinnig: Während sich die Corona-Lage in den Kliniken an der Paar immer mehr zuspitzt, werden die Regeln im Landkreis Aichach-Friedberg gelockert. Der Grund: Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Freitag für das Wittelsbacher Land den Sieben-Tages-Inzidenzwert 93,6. Er bewegt sich damit nun drei Tage infolge unterhalb der 100er-Schwelle - was bedeutet, dass die Corona-Notbremse wieder aufgehoben wird. Im Landkreis stehen nun einige weitreichende Veränderungen bevor. Betroffen sind private Kontakte genauso wie der Einzelhandel, Kultureinrichtungen oder Schulen. Nur: Wie lange bleibt das so?
Inzidenzwert in Aichach-Friedberg unter 100: Notbremse wird aufgehoben
Die Lockerungen treten am Sonntag, 0 Uhr, in Kraft. Ab dann dürfen sich wieder maximal fünf Personen aus zwei Haushalten treffen, Kinder unter 14 Jahren nicht eingerechnet. Bislang waren nur Zusammenkünfte mit einer weiteren Person eines anderen Haushalts erlaubt. Auch in den Bereichen Kultur und Sport erweitern sich die Spielräume: Unter anderem Museen, Galerien und Gedenkstätten dürfen für Besucher mit vorheriger Terminbuchung und Kontaktnachverfolgung wieder öffnen. Kontaktloser Individualsport ist nun mit maximal fünf Personen aus zwei Haushalten gestattet - ebenso wie Sport in Gruppen von bis zu 20 Kindern bis 14 Jahren im Außenbereich. Diese neuen Regeln gelten mindestens bis einschließlich Dienstag. Erst wenn die Inzidenzwerte drei Tage in Folge über 100 liegen, greift die Notbremse wieder.
Bereits zuvor hatte sich abgezeichnet, dass der Einzelhandel im Landkreis ab Montag wieder öffnen darf - und sich nicht mehr nur mit dem eher mageren Abholgeschäft ("Click and Collect") abfinden muss. Waren Einkäufe mit vorheriger Terminvereinbarung ("Click and Meet") bislang ausschließlich unter einer Inzidenz von 100 erlaubt, muss der Wert nach Beschluss der Bayerischen Staatsregierung jetzt nur noch unter 200 liegen. Bewegt sich die Inzidenz zwischen 100 und 200, müssen Kunden einen negativen Corona-Test vorlegen: entweder einen maximal 48 Stunden alten PCR-Test oder einen maximal 24 Stunden alten Schnelltest. Zwischen 50 und 100, also auch ab Montag, ist "Click and Meet" ohne negativen Test möglich.
Einzelhandel im Landkreis darf mit "Click and Meet" öffnen
Robert Burkhard blickt den kommenden Wochen mit gemischten Gefühlen entgegen. Er ist Vorstandsmitglied der Aktionsgemeinschaft Aichach (Aga), einem Zusammenschluss lokaler Einzelhändler, und sagt im Gespräch mit unserer Redaktion: "Grundsätzlich ist 'Click and Meet' gerade für die kleineren Einzelhändler mit hohem Stammkunden-Anteil eine sehr gute Option, Umsätze aufzufangen. Wenn man dafür aber einen aktuellen Test vorlegen muss, habe ich meine Zweifel, ob das angenommen wird." Die Maßnahmen seien gewissermaßen "weder Fisch noch Fleisch. Vielleicht wäre es doch richtig, jetzt noch einmal zwei oder drei Wochen komplett herunterzufahren, um anschließend wieder geordnet und umfassend öffnen zu können."
Was sich ab Montag im Handel außerdem ändert: Bau- und Gartenmärkte, Buchhandlungen, Blumenläden, Gärtnereien und auch bislang geöffnete Schuhläden werden in ganz Bayern nicht mehr als Geschäfte des täglichen Bedarfs gesehen. Ob sie Kunden empfangen dürfen, richtet sich fortan ebenfalls nach den aktuellen Inzidenzstufen. Bislang durften sie auch über 100 öffnen.
Diese Corona-Regeln gelten an Schulen und Kitas im Wittelsbacher Land
Vor einem besonderen Neustart stehen die Bildungseinrichtungen im Landkreis. Der Inzidenzwert am Freitag entscheidet jeweils, welche Regeln in der darauffolgenden Woche in Schulen und Kitas gelten. Da er an diesem 9. April nun unter 100 lag, findet ab Montag in Kitas eingeschränkter Regelbetrieb (Voraussetzung ist Betreuung in festen Gruppen) statt - und an allen Schularten und in allen Jahrgangsstufen Unterricht im Klassenzimmer. Kompletter Präsenzunterricht ist möglich, wenn dort ein Mindestabstand von eineinhalb Metern eingehalten werden kann. Andernfalls gibt es Wechselunterricht.
Was an Schulen neu ist: Am Präsenzunterricht dürfen nur Schüler teilnehmen, die in der Schule unter Aufsicht einen Selbsttest mit negativem Ergebnis gemacht haben oder einen negativen PCR-Test vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden ist. Ein zu Hause durchgeführter Selbsttest reicht nicht aus. Getestet wird mindestens zweimal pro Woche.
So weit die Theorie. Und die Praxis? Martina Ritzel, Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), ist skeptisch. Sie sagt mit Blick auf Montag: "Man merkt schon eine gewisse Unruhe, gerade was die Selbsttests betrifft. Wie die Umsetzung funktioniert, kann man nur sehr schwer einschätzen, vor allem bei den Jüngeren." Darüber hinaus gebe es selbst kurz vor dem Neustart weitere ungeklärte Fragen: "Was, wenn Eltern ihre Kinder auf keinen Fall testen lassen wollen? Wie geht es mit der Notengebung weiter, gerade in den Abschlussklassen? Und so weiter", sagt Ritzel. "In den Schulen laufen die Telefone heiß, aber auf vieles können wir leider keine Antwort geben."
Gesundheitsamt Aichach-Friedberg rechnet mit steigenden Corona-Zahlen
Dass der Inzidenzwert im Landkreis auch am nächsten Stichtag, also am kommenden Freitag, noch unter 100 liegt, ist eher unwahrscheinlich. Denn viel deutet darauf hin, dass die aktuellen Zahlen auf äußerst wackeligen Füßen stehen. Dr. Kirsten Höper, Leiterin des Gesundheitsamts Aichach-Friedberg, erklärt gegenüber unserer Redaktion, sie rechne demnächst wieder mit steigenden Inzidenzwerten. Sie glaube, dass nötige oder gewünschte Testungen am langen Osterwochenende nicht stattfinden konnten und zumindest ein Teil davon erst allmählich nachgeholt werde. "Als Folge dessen wäre Mitte der nächsten Woche mit einem Anstieg zu rechnen", sagt Höper. "Sollte ich mich täuschen, wäre mir das aber sehr recht.“
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