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Aichach-Friedberg: Schattenwebseiten: Nutzt Lieferando die Gastronomie in Aichach-Friedberg aus?

Aichach-Friedberg

Schattenwebseiten: Nutzt Lieferando die Gastronomie in Aichach-Friedberg aus?

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    Lieferando ist in die Kritik geraten. Der Vorwurf: Der Lieferservice-Dienstleister grabe Gastronomie-Betrieben über Schattenwebsites das Geschäft ab.
    Lieferando ist in die Kritik geraten. Der Vorwurf: Der Lieferservice-Dienstleister grabe Gastronomie-Betrieben über Schattenwebsites das Geschäft ab. Foto: Peter Fastl (Symbolbild)

    Die Pizzeria Da Arturo e Violeta ist ein Restaurant in Pöttmes, klassisch-italienisch, beliebt. Eine kleine Existenz, die momentan um selbige kämpfen muss. Corona hat Inhaberin Violeta Bodolica zum Schließen gezwungen, erlaubt sind nur noch Abholung und Lieferung außer Haus. Wer im Restaurant etwas bestellen will und keine Telefonnummer zur Hand hat, fragt Online-Suchmaschinen wie Google. Über die Anfrage "Pizzeria Da Arturo e Violeta Pöttmes" erscheinen dort jedoch zwei Internetseiten, zum Verwechseln ähnlich. Hinter einer stehen die Inhaber. Hinter der anderen steht Lieferando, Deutschlands bekanntester Lieferdienst. Und hier beginnt der Ärger.

    Lieferdienste boomen - vor allem seit Corona

    Lieferando gehört zum niederländischen Konzern "Just Eat Takeaway" - ein europaweit agierender Lieferdienst-Anbieter, der seinen Umsatz im vergangenen Jahr auf weit über zwei Milliarden Euro Umsatz hochgeschraubt hat. Wie, ist offensichtlich: Das Geschäftsmodell der Lieferdienste ist nicht erst durch Corona beliebt geworden, seit Beginn der Pandemie aber besonders gefragt. Für viele Restaurant-Betreiber sind Lieferando und Co. ein Strohhalm, auf den sie angewiesen sind. Und das scheint der Marktführer massiv auszunutzen - mit einer ausgeklügelten Masche, die Recherchen des Bayerischen Rundfunks (BR) offen gelegt haben.

    Sie funktioniert so: Grundlage dafür, dass Lieferando das Essen eines Gastronomie-Betriebs ausliefert, ist ein Kooperationsvertrag. Für das jeweilige Restaurant registriert der Lieferdienst dann eine Schattenwebseite. So werden Internetseiten bezeichnet, die nicht auf den eigentlichen Inhaber eines Geschäfts zurückgehen oder einer bereits existierenden Seite sehr ähneln - in Inhalt und Internet-Adresse ("Domain"). Im Fall der Pizzeria Da Arturo e Violeta aus Pöttmes bedeutet das: Die Inhaber betreiben die Seite "www.pizzeria-da-arturo-e-violeta.de". Gleichzeitig existiert auch die Seite "www.ristorante-da-arturo-e-violeta-poettmes.de", hinter der jedoch Lieferando steht - mit demselben Angebot, nur teurer. Der Preisunterschied liegt teilweise bei mehr als 40 Prozent.

    Die Startseite der Pizzeria Da Arturo e Violeta, betrieben von den Inhabern ...
    Die Startseite der Pizzeria Da Arturo e Violeta, betrieben von den Inhabern ... Foto: Screenshot
    ... und die Schattenwebseite, betrieben von Lieferando.
    ... und die Schattenwebseite, betrieben von Lieferando. Foto: Screenshot

    Lieferando schaltet Schattenwebseiten ohne Wissen von Gastronomen

    Das Kalkül hinter den Schattenwebseiten: Wer online nach einem Restaurant sucht, soll nicht auf der Seite der eigentlichen Inhaber landen, sondern - ohne es zu ahnen - auf der von Lieferando. Wird die Bestellung tatsächlich über den Lieferdienst abgewickelt, bekommt er vom Gastronomie-Betrieb eine Provision. Sie liegt bei 13 Prozent, wenn die Bestellung über die Schattenwebseite eingeht, jedoch vom Restaurant ausgeliefert wird. Übernimmt Lieferando zusätzlich die Auslieferung, steigt die Provision auf 30 Prozent.

    In Europa betreibt "Just Eat Takeaway" rund 120.000 Schattenwebseiten - davon 50.000 in Deutschland und mindestens 20 im Landkreis Aichach-Friedberg. Das zeigt eine Auswertung von Daten des IT-Sicherheitsunternehmens Domaintools durch den BR. Sie liegt unserer Redaktion vor. Nicht immer wissen die betroffenen Gastronomie-Betriebe davon - so wie Violeta Bodolica. Dass ihre Pizzeria in Pöttmes davon auch betroffen sei, sei "natürlich sch***e", schreibt sie unserer Redaktion. In welchem Ausmaß sich diese Praxis auf ihr Geschäft auswirke, sei ihr noch nicht bekannt. Die Hälfte des Geschäfts laufe derzeit jedoch bereits über Lieferando. Die Situation sei allgemein "ganz schwierig".

    Dehoga in Aichach-Friedberg: Lieferando-Praxis "ein Schlag ins Gesicht"

    Fritz Kühner, Kreisvorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) in Aichach-Friedberg.
    Fritz Kühner, Kreisvorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) in Aichach-Friedberg. Foto: Anton Schlickenrieder (Archivbild)

    Fritz Kühner ist Kreisvorsitzender des Deutschen Gastronomie- und Gaststättenverbands (Dehoga) in Aichach-Friedberg. Er bewertet die Praxis von Lieferando als "zusätzlichen Schlag ins Gesicht von Gastronomen. Es ist bedauerlich, unbefriedigend und auch moralisch anrüchig, dass solche Plattformen die Schwäche der Betriebe so ausnutzen." Kunden seien gut beraten, immer direkt bei Gastronomie-Betrieben zu bestellen. Diese wiederum seien jedoch auch gefordert, sich der Zeit anzupassen. "Es reicht nicht mehr, nur eine gute Schweins-Hax'n im Angebot zu haben. Heute läuft viel über den eigenen Internet-Auftritt, über soziale Medien, über die Dienstleistung insgesamt." Viele Gastronomen würden sich mit diesen Themen auch beschäftigen, um sich von Lieferdiensten weniger abhängig zu machen. Die Bemühungen würden durch die Praxis der Schattenwebseiten jedoch "konterkariert".

    Lieferando wiederum betont gegenüber dem BR, die Praxis sei im Kooperationsvertrag geregelt und ein Service, der "unseren kleinen Restaurantpartnern zusätzliche Umsätze" verschaffe. Weiter heißt es: "Die meisten Gastronomen freuen sich über diesen inbegriffenen Zusatzservice, zumal er ihnen nicht nur entsprechende Mediabudgets spart." Ein Lieferando-Sprecher erklärt gegenüber unserer Redaktion schriftlich, die "Restaurantpartner"könnten den "Service" bereits "bei Anmeldung abwählen oder die Seite auch nachträglich abschalten lassen". Er werde sowohl im Anmeldeformular, in den AGBs als auch im Vertrag angeführt. Dennoch gibt es Zweifel daran, dass die Praxis rechtlich einwandfrei ist. Das Bundeskartellamt führt derzeit kein Verfahren gegen den Lieferservice, will die Marktentwicklung aber weiter "sehr aufmerksam" beobachten.

    Ristorante Seestern in Kissing profitiert von Lieferando

    Natürlich gibt es im Landkreis auch Gastronomie-Betriebe, die von der Zusammenarbeit mit Lieferando profitieren - so wie das Ristorante Seestern am Kissinger Weitmannsee. Auch hier betreibt Lieferando eine eigene Webseite - allerdings ohne, dass Inhaberin Catalina Crisan derzeit gleichzeitig eine eigene Seite registriert hätte. Für ihr Restaurant lohne sich die Zusammenarbeit grundsätzlich, sagt sie: „Das läuft gut. Ohne Lieferando hätten wir sicher weniger Bestellungen.“ Von der Lieferando-Internetseite habe auch sie jedoch nicht gewusst.

    Das Ristorante Seestern am Kissinger Weitmannsee.
    Das Ristorante Seestern am Kissinger Weitmannsee. Foto: Gönül Frey (Archivbild)

    Dennoch reiche das Geld hinten und vorne nicht, erklärt Crisan. Sie steht alleine in der Küche, wird lediglich von einem Pizzabäcker unterstützt. „Pizza geht zum Liefern am besten. Ansonsten vielleicht noch Nudeln.“ Die staatlichen Hilfen angesichts der Corona-Krise könnten die Kosten für Strom und Miete nicht im Ansatz decken. Deshalb hofft Crisan, dass die Gastronomie möglichst bald wieder öffnen darf - und zwar ohne große Einschränkungen: „Ich will keine Insolvenz anmelden müssen, aber es wird immer schwieriger." Im Gegensatz zum ersten Lockdown laufe es seit November "schlecht". Aus ihrer Sicht sei nun die Politik gefordert.

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