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Aichach-Friedberg: Kein Notarzt an Weihnachten: Mediziner schlagen Alarm

Aichach-Friedberg

Kein Notarzt an Weihnachten: Mediziner schlagen Alarm

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    Immer weniger Mediziner melden sich zum Dienst als Notarzt. Immer öfter bleiben daher Schichten unbesetzt. So zuletzt an Weihnachten.
    Immer weniger Mediziner melden sich zum Dienst als Notarzt. Immer öfter bleiben daher Schichten unbesetzt. So zuletzt an Weihnachten. Foto: Alexander Kaya (Symbol)

    Wer den Notruf wählt, hofft vor allem eines: dass er schnell Hilfe bekommt. Doch wer im Landkreis Aichach-Friedberg einen Notarzt braucht, muss unter Umständen lange warten. Denn immer wieder können die Notarzt-Standorte in Aichach und Friedberg nicht besetzt werden, sprich: Es ist kein Notarzt vor Ort.

    So zuletzt geschehen an Weihnachten. In der Nacht von Heiligabend zum ersten Weihnachtsfeiertag war dem Bayerischen Roten Kreuz (BRK) zufolge an beiden Standorten kein Notarzt verfügbar, am zweiten Weihnachtsfeiertag war in Aichach auch tagsüber kein Notarzt da, in der Nacht vom zweiten Weihnachtsfeiertag zum Freitag war das Notarzteinsatzfahrzeug in Friedberg abgemeldet. Zudem war am Standort in Schrobenhausen zeitweise kein Notarzt da.

    BRK-Rettungsdienstleiter: „Hat nichts mehr mit Versorgungssicherheit zu tun“

    In den Augen von Thomas Winter, Leiter des Rettungsdienstes beim BRK Aichach-Friedberg, von dem die Zahlen stammen, untragbar: „Wenn man in Aichach, Friedberg und Schrobenhausen keinen Notarzt mehr hat, hat das nichts mehr mit Versorgungssicherheit zu tun.“ Das sei ein großes Defizit für die Patienten. Winter: „Wir haben bisher nur Glück gehabt, dass wir immer zu Schuss kamen.“

    Schon in den vergangenen Jahren konnten immer wieder Schichten an Feiertagen wie Weihnachten nicht besetzt werden. Inzwischen wird es Winter zufolge auch mit den Nachtschichten unter der Woche schwieriger. An Silvester und Neujahr waren diesmal beide Standorte besetzt – anders als im Jahr zuvor. Das BRK stellt Fahrzeug, Material, Fahrer und Unterkunft. In der Regel sind es Klinikärzte oder beispielsweise angestellte Ärzte, die in ihrer Freizeit gegen Entgelt Notarzt fahren.

    Hilfsfrist gilt für das erste Rettungsfahrzeug, aber nicht für den Notarzt

    Zwölf Minuten beträgt die sogenannte Hilfsfrist auf dem Land: So lange sollte die Fahrt zum Einsatzort höchstens dauern. Doch was viele nicht wissen: Diese Frist gilt nur für das erste Rettungsdienstfahrzeug. Wann der Notarzt nachkommt, steht auf einem anderen Blatt. Fristen gibt es dafür in Bayern nicht. Bis also der Notarzt eintrifft, sind die Sanitäter auf sich alleine gestellt.

    Die Notfallsanitäter sind laut Winter gut ausgebildet und können Zeit überbrücken, bis der Notarzt da ist. Doch dabei arbeiteten sie oft in einer rechtlichen Grauzone, beklagt er. Denn im Gegensatz zu anderen Bundesländern dürften Notfallsanitäter in Bayern weniger machen, ohne dass ein Notarzt dabei ist. Nur in einem „rechtfertigenden Notstand“ dürfen sie beispielsweise Medikamente geben, was sonst Notärzten vorbehalten ist. „Aber es gibt Krankheitsbilder, bei denen Notfallsanitäter an ihre Grenzen kommen“, weiß Winter. „Dann geht dir die Düse, wenn kein Notarzt da ist.“

    Youtube-Hit als Krankenwagenbelademeister

    Im Internetkanal Youtube landete Notfallsanitäter Felix Peter Haehne einen Hit, in dem er seinen Beruf spöttisch als „Krankenwagenbelademeister“ besingt, der des Öfteren lange warten muss und nicht ausreichend helfen kann, bis der Notarzt eintrifft. Viele Sanitäter und Ärzte erklärten sich solidarisch, antworteten teils mit eigenen Liedern.

    Dr. Christian Mack ist Gruppensprecher der Notärzte in Aichach. Mit seiner Frau erstellt er die Dienstpläne für den Standort. Doch er kann nur Notärzte einteilen, die sich freiwillig melden. Der Dienst ist nicht verpflichtend. „Es bleiben in jedem Monat Lücken“, sagt der 52-Jährige. Wenn er die Dienstpläne an die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) weiterleitet, die den Sicherstellungsauftrag hat, versucht sie ebenfalls, Lücken zu füllen. Nicht immer mit Erfolg.

    Bereitschaft zum Dienst als Notarzt sank seit Honorarreform

    Auf die Frage, wie es an Weihnachten um die Besetzung der Notarzt-Standorte im Landkreis bestellt war, antwortet Mack: „Gruselig.“ Er selbst sei an Heiligabend im Rettungshubschrauber in Ingolstadt tätig gewesen. „Ab 16 Uhr wären wir nicht mehr Richtung Aichach gekommen.“ Ab circa 15.30 Uhr war das Wetter zu schlecht. Bei Dunkelheit dürfe der Hubschrauber zudem nicht mehr auf Außenlandeplätzen landen. Auch der Hubschrauber aus Augsburg fliegt nachts nicht. Dann sind lediglich die Rettungshubschrauber aus München, Regensburg und Nürnberg verfügbar.

    Seit knapp zehn Jahren ist Mack Gruppensprecher der Notärzte in Aichach. Über 30 Notärzte umfasst die Gruppe, zehn bis 15 davon sind tatsächlich aktiv. Vor allem seit der Honorarreform durch die KVB sei die Bereitschaft, Dienst als Notarzt zu tun, zurückgegangen, sagt Mack.20 Euro pro Stunde erhalte ein Notarzt, hinzu kämen 60 Euro pro Einsatz. Zum Jahresbeginn wurden die Sätze leicht angehoben. Doch in mancher Schicht sei die Einsatzzahl gering, der Dienst wenig lukrativ.

    Notarzt fordert: Wenigstens Feiertage besser vergüten

    Seit 1992 ist Eberhardt Binhammer Gruppensprecher am Notarzt-Standort Friedberg. Bis 2014 habe er keine einzige Fehlschicht in seinen Dienstplänen gehabt, sagt er. Seit der Honorarreform 2015 seien circa 40 von rund 730 Schichten im Jahr nicht besetzt – obwohl Friedberg einer der einst so beliebten „Hochfrequenzstandorte“ sei. Ohne Springer der KVB sähe es noch schlimmer aus, so Binhammer.

    Dr. Richard Leberle stammt aus Kissing, arbeitet als Facharzt für Anästhesiologie am Uniklinikum Regensburg und fährt nach eigenen Angaben rund 300 Notarzt-Einsätze pro Jahr in Regensburg, Friedberg und ab und zu in Aichach. Nicht aus finanziellen Gründen, sondern aus Überzeugung und weil es ihm Spaß macht. Der 39-Jährige ist der Ansicht: Mit einer besseren Honorierung könnten ländliche Gegenden notärztlich besser versorgt werden. „Mir würde es ja schon reichen, wenn wenigstens die Feiertage besser honoriert wären.“

    An Weihnachten zeitweise auf über 70 Kilometer Entfernung kein Notarzt

    So aber komme es immer wieder vor, dass wie an Weihnachten zeitweise auf über 70 Kilometer Entfernung zwischen Ingolstadt und Augsburg kein Notarzt verfügbar sei. Wenn er in Regensburg mitbekomme, dass die Standorte in Aichach und/oder Friedberg nicht besetzt seien, werde ihm mulmig. „Und Aichach fehlt regelmäßig“, ergänzt er. Binhammer ergänzt: Der Standort Aichach umfasse ein großes Gebiet. Wenn er nicht besetzt sei, habe ein Notarzt von den nächstgelegenen Standorten etwa in Dachau oder Wertingen eine lange Anfahrt. „Für Patienten wird es dann zumindest risikoreicher“, sagt Binhammer hörbar diplomatisch. Auch wenn „zeitkritische Patienten“ selten seien. Auf die Frage nach der notärztlichen Versorgung an den Weihnachtsfeiertagen im Landkreis antwortet er: „Ungenügend.“

    Gut ausgebildete Notfallsanitäter können nicht alles abfangen

    Notarzt Leberle formuliert ein klares Anliegen: „Die Landbevölkerung soll die gleiche Versorgung haben wie in der Stadt. Das ist momentan nicht der Fall.“ Gut ausgebildete Notfallsanitäter könnten in vielen Notfällen helfen, betont auch er. Aber bei Herz-Rhythmus-Störungen, einem Polytrauma nach einem Unfall oder Neugeborenen seien sogar sie „schnell am Limit“.

    Die Pressestelle der KVB teilt auf Anfrage mit, dass „die notärztliche Versorgung der Menschen vor Ort stets sichergestellt werden“ könne. Sei ein Standort nicht besetzt, würden der Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung und die Integrierte Leitstelle informiert. So könne bei Bedarf der nächstliegende Notarzt oder tagsüber der Rettungshubschrauber alarmiert werden.

    Notarzt: Versorgung auf dem Land ist einfach schlechter

    Die Ärzte vor Ort sehen das weniger entspannt. Zwischen den Zeilen äußert mancher von ihnen Kritik daran, dass die KVB den Sicherstellungsauftrag für die notärztliche Versorgung hat. Thomas Winter vom BRK spricht sie offen aus: „Sie erfüllen als Dienstleister ihren öffentlichen Auftrag nicht.“ Er sagt: „Die Notfallversorgung ist nicht gesichert.“ Das sieht Notarzt Leberle ähnlich: Wenn es „Knopf auf Auge“ gehe, sei die Versorgung auf dem Land „einfach schlechter“. Gruppensprecher Binhammer übt sich in Galgenhumor: „Nachts vorsichtig Auto fahren, wäre ein guter Tipp.“

    Lesen Sie dazu auch: Woran krankt die notärztliche Versorgung im Landkreis?

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