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Aichach-Friedberg: Durch Corona in die Sucht? "Manche haben sich Einsamkeit erträglich getrunken"

Aichach-Friedberg

Durch Corona in die Sucht? "Manche haben sich Einsamkeit erträglich getrunken"

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    Die Corona-Pandemie belastet die Menschen auf vielfältige Weise. Experten gehen davon aus, dass die Menschen mehr Alkohol konsumiert haben - auch im Landkreis Aichach-Friedberg.
    Die Corona-Pandemie belastet die Menschen auf vielfältige Weise. Experten gehen davon aus, dass die Menschen mehr Alkohol konsumiert haben - auch im Landkreis Aichach-Friedberg. Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild)

    Er weiß, wie das ist. Das Verlangen, das Nicht-aufhören-Wollen, das Leugnen. Doch Robert Mayer*, der im Landkreis Aichach-Friedberg lebt, hat es geschafft. Er ist kein "nasser" Alkoholiker mehr, sondern trocken, und das seit über 20 Jahren. Was ihm dabei bis heute hilft, sind die Anonymen Alkoholiker in Aichach. Der Mann zählt sich selbst zum "Stammpersonal", er besucht die Treffen, so regelmäßig es geht. In den vergangenen Monaten, sagt er, seien etwas weniger Neue gekommen als sonst. Ein gutes Zeichen? Nicht unbedingt. "Wenn Corona vorbei ist, gibt es sicher einiges aufzuholen. In der Pandemie ist viel gesoffen worden. Vielleicht mehr, als man jetzt noch glaubt."

    Alkohol: Corona-Pandemie ein "idealer Nährboden für Suchtverhalten"

    Einem aktuellen Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge hatte Deutschland im Corona-Jahr 2020 einen der höchsten Alkoholkonsumwerte im internationalen Vergleich. Eine durchschnittliche deutsche Person trinkt demnach 12,9 Liter reinen Alkohol im Jahr (Männer: 19,9 Liter, Frauen: 6,2 Liter). Das entspricht etwa 2,6 Flaschen Wein oder fünf Liter Bier pro Woche pro Person ab 15 Jahren. Dem Bericht zufolge sind in Deutschland 3,5 Prozent der Erwachsenen alkoholabhängig. Werden es nun, während und wegen der Corona-Pandemie, mehr?

    Alkoholkonsum in der Pandemie

    Es fließt mehr Alkohol in der Pandemie: 37 Prozent geben an, während des Lockdowns mehr Bier und Schnaps als vorher getrunken zu haben. (Studie des Zentralinstitutes für Seelische Gesundheit in Mannheim und Klinikum Nürnberg).

    40 Prozent berichten auch von einem gesteigerten Zigaretten-Konsum. (Studie des Zentralinstitutes für Seelische Gesundheit in Mannheim und Klinikum Nürnberg).

    Auch Kaffee wurde mehr getrunken: 20 Tassen mehr als 2019, nun 168 Liter! (Dt. Kaffeeverband)

    Monika Heitzinger-Furchner ist Leiterin der Suchtfachambulanz der Caritas in Aichach mit Außenstellen in Friedberg und Mering. Betroffene bekamen dort auch in den vergangenen Monaten durchgehend Hilfe - wo möglich telefonisch, wo nötig in Präsenz. Heitzinger-Furchner geht davon aus, dass es demnächst "deutlich mehr zu tun" gibt. Die Corona-Pandemie sei ein "idealer Nährboden für Suchtverhalten. Die Menschen waren und sind erschöpft, müde, angefressen, über Wochen hinweg sind fast nur schlechte Nachrichten auf sie eingeprasselt." Am gravierendsten wirke sich aber das Wegfallen der sozialen Kontakte aus. "Darunter leiden die Menschen am meisten. Es gibt Menschen, die sehr einsam waren - und sich diese Einsamkeit erträglich getrunken haben." Gerade die Kombination aus allein sein und Alkohol sei gefährlich, weil dabei die soziale Kontrolle wegfalle. "So entstehen Verhaltensmuster, die anschließend nur schwer aufzubrechen sind."

    Suchtfachambulanz in Aichach: Was Warnsignale für Sucht sind

    Wie hoch der Anteil all jener liegt, die durch Corona tatsächlich in die Sucht gerutscht sind, vermag Heitzinger-Furchner noch nicht einzuschätzen. Viele Probleme seien noch nicht sichtbar geworden, es sei aber wahrscheinlich, dass die Menschen zuletzt häufiger zur Flasche gegriffen hätten. Dafür gebe es einige Anzeichen. Es habe "den ein oder anderen Rückfall" gegeben, der mit der Pandemie begründet worden sei. Gleichzeitig hätten sich jedoch auch Anfragen von Angehörigen gemehrt, die unter zunehmendem Konsumverhalten einer nahestehenden Person litten. "Wir haben den Eindruck, dass in manchen Haushalten der Leidensdruck gewachsen ist."

    Der Übergang von einem maßvollen Konsum in die Sucht geschieht nicht von heute auf morgen, sondern schleichend. "Viele Betroffene bekommen gar nicht mit, dass sie süchtig geworden sind", erklärt Heitzinger-Furchner. Es gebe jedoch verschiedene Warnzeichen und Fragen, die sich Betroffene stellen sollten: "Schaffe ich es nicht mehr, zwei Tage hintereinander nichts zu trinken? Reagiert mein Körper schon auf geringe Mengen mit katerartigen Symptomen? Macht sich mein Umfeld Sorgen? Wird der Alltag durch meinen Alkoholkonsum negativ beeinflusst? Wenn das zutrifft, sollten sich Betroffene überlegen, ob sie Hilfe in Anspruch nehmen sollten." Meist brauche es jedoch einen "unschönen Anlass" - Führerscheinverlust, Konsequenzen am Arbeitsplatz oder gesundheitliche Schäden -, damit Betroffene tatsächlich Hilfe annehmen würden.

    Viele Treffen der Anonymen Alkoholiker in Aichach-Friedberg fielen aus

    Für viele Betroffene sind die Anonymen Alkoholiker die erste Anlaufstelle. Während der ersten Corona-Welle waren ihre Treffen komplett untersagt. Das änderte sich danach zwar, dennoch fielen etliche Termine aus. Aus Sorge vor einer Ansteckung kamen außerdem viele Betroffene nicht mehr - Suchtkranke zählen zur Risikogruppe. Die Folgen könnten weitreichend sein, fürchtet Ex-Alkoholiker Robert Mayer. "Vor allem diejenigen, die noch nicht so gefestigt sind, brauchen die Treffen. Ich fürchte, dass da viele zurückgeworfen wurden." Online-Angebote hätten manches abgefedert und wegen der niedrigeren Hemmschwelle auch Vorteile. Der persönliche Kontakt und Austausch sei aber für viele elementar, um sich ihrer Sucht zu stellen.

    Alkohol ist nach Einschätzung von Expertin Monika Heitzinger-Furchner weiterhin die "Droge Nummer eins". Doch auch andere Süchte seien gefährlich und könnten sich durch Corona verstärkt haben. Die Menschen seien in den vergangenen Monaten außergewöhnlich viel zu Hause gewesen. "Da ist gut vorstellbar, dass viele Menschen in den vergangenen Monaten Medienkonsum-Gewohnheiten entwickelt haben, die nicht gesund sind. Auch Essstörungen könnten sich entwickelt haben." Im Bereich der illegalen Drogen geht Heitzinger-Furchner ebenfalls von "Steigerungen im Konsum" aus. "Wie sich das alles auswirkt, werden wir bald sehen."

    * Name von der Redaktion geändert.

    Die Suchtfachambulanz des Caritasverbands Aichach-Friedberg (Münchener Straße 19, 86551 Aichach) ist telefonisch unter 08251/8734–80 zu erreichen (Mo., Di., Mi. und Fr. von 9 bis 12 Uhr, zusätzlich Mo. 13 bis 15 Uhr und Do. 14 bis 17 Uhr) sowie per E-Mail unter suchtfachambulanz.aichach@caritas-augsburg.de. Termine, auch für die Außensprechstunden in Friedberg und Mering, sind nach Vereinbarung möglich. Mehr Informationen im Internet unter www.caritas-aichach-friedberg.de/suchtberatung.

    Die Anonymen Alkoholiker treffen sich mittwochs um 19.30 Uhr in Aichach (Martinstraße 9, 86551 Aichach). Mehr Informationen gibt es im Internet unter www.anonyme-alkoholiker.de.

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