Es ist ein grauer Novembervormittag in Aichach. Eine kalte Brise zieht durch die Münchener Straße, vorbei am Landratsamt und den rund 100 Menschen, die sich davor versammelt haben. Viele Erwachsene sind da, einige bunt gekleidete Kinder. Unter den Augen der Polizei halten die meisten die Abstände ein, eine Mundschutzmaske trägt fast niemand. Am Mikrofon steht Alexander Denner, groß und schlank, gestutzter Bart, langes Haar. Er ruft: „Doktor Pürner!“ Die Gruppe antwortet: „Danke!“ So geht das einmal, zweimal, dreimal. Pürner hört all das nicht.
Er sitzt zeitgleich zu Hause und spricht in einer virtuellen Pressekonferenz unter anderem über den Grund, aus dem die Menschen vor dem Landratsamt demonstrieren: seine Versetzung ans Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL).
Das Landratsamt hat für die Pressekonferenz keinen Raum zur Verfügung gestellt. Sprecher Wolfgang Müller begründet später die Entscheidung damit, dass es sich um eine private und keine dienstliche Pressekonferenz gehandelt habe.
Demonstration in Aichach gegen auch gegen Corona-Regeln
Von der Protestaktion weiß Pürner zu diesem Zeitpunkt nichts. Die Demo ist eine der größeren, die es in den vergangenen Jahren in Aichach gab. Sie ist als „Spontanversammlung“ tituliert. Denner zufolge hat die Organisation erst am Morgen begonnen. Die Teilnehmer seien aus Augsburg, Mering, Mindelheim, Fürstenfeldbruck, Memmingen und Donauwörth angereist.
Man wolle vor allem Pürner unterstützen und ihn motivieren, mit seinem Konfrontationskurs zur Staatsregierung weiterzumachen. Einige Teilnehmer sehen in seiner Versetzung einen Beleg dafür, dass freie Meinungsäußerungen zu den Corona-Maßnahmen nicht erwünscht seien oder gar unterdrückt würden. Es ist die Rede von der „unterdrückenden Obrigkeit“, „angeblicher Demokratie“, gezieltem „Lächerlichmachen“ der Corona-Skeptiker als „Aluhutträger“.
Buhrufe und Trillerpfeifen vor dem Landratsamt in Aichach
Wirklich laut wird es selten - etwa, wenn es um die Maskenpflicht in Schulen geht. Sie gilt, wie das Landratsamt bestätigt, nach den nun endenden Herbstferien an allen Schulen im Landkreis. Sobald die Sprache darauf kommt, ertönen Buhrufe und Trillerpfeifen auf dem Gelände. Federführend ist die Initiative "Eltern stehen auf", die mit anderen Gruppen bereits Ende Oktober mit einer Protestaktion im Aichacher Stadtrat für Aufsehen gesorgt hat.
Ein Mann hält ein Schild mit der Aufschrift "Wir sehen Eure Taten" hoch. Darüber: zwei Symbole, die auch als "Auge der Vorsehung" oder "allsehendes Auge" bezeichnet werden und unter Verschwörungstheoretikern beliebt sind. Denner betont, von Leuten, die sich "außerhalb der Wahrheit" bewegten, distanziere man sich. Wer "Hass und Radikales" verbreiten wolle, sei nicht willkommen.
Gesundheitsamtsleiter Pürner bekräftigt Kritik an seiner "Strafversetzung"
Pürner bekräftigt währenddessen im Internet seine Kritik an seiner Abordnung durch die Regierung von Schwaben: "Ich gehe davon aus, dass das eine Strafversetzung ist." Gesundheitsstaatssekretär Klaus Holetschek (CSU) sagte am Mittwoch auf Anfrage unserer Redaktion, davon könne keine Rede sein. Pürner erklärt, er sei "zunächst ans LGL abgeordnet" worden - mit dem Ziel einer dauerhaften Versetzung. Der 53-Jährige ist der Ansicht: "Das soll ein Zeichen setzen, dass sich keine weiteren Amtsärzte mehr beschweren."
Pürners Nachfolge am Gesundheitsamt Aichach ist geklärt
Seine Nachfolge ist unterdessen geklärt: Der Regierung von Schwaben zufolge übernimmt am Montag Dr. Kirsten Höper, bislang am Gesundheitsamt des Landratsamts Augsburg tätig, vorübergehend die Leitung des Aichacher Gesundheitsamts. Landrat Klaus Metzger dankt seinem Amtskollegen Martin Sailer für die rasche Unterstützung.
Höpers Vorgänger hat mehrfach Teile der bayerischen Corona-Strategie bemängelt. Er hat seine fachliche Kritik nicht nur in den Medien, sondern auch intern geäußert, wie er am Freitag sagt. "Die wurde halt nicht so wahrgenommen." Er betreibe keine Fundamentalkritik. Doch der Lockdown light etwa sei lediglich aufgrund der Vielzahl positiv Getesteter entstanden und nicht verhältnismäßig.
Pürner plädiert für erweiterte Meldepflicht bei positiv Getesteten
Der Noch-Gesundheitsamtsleiter plädiert dafür, mehr auf die Erkrankten zu schauen und beispielsweise die Meldepflicht zu erweitern. Niedergelassene Ärzte könnten die Gesundheitsämter nicht nur über positive Testergebnisse, sondern auch über den Gesundheitszustand der Patienten informieren. Derzeit seien Labore, niedergelassene Ärzte und Gesundheitsämter völlig überlastet. "Der öffentliche Gesundheitsdienst ist momentan am Ertrinken." Zwar habe er mehr Personal bekommen. "Aber das ist kein Fachpersonal."
Auch die Zählweise der Corona-Toten hält er für falsch. Wenn jemand Corona habe und einige Wochen später an einer anderen Ursache sterbe, werde er in die Statistik aufgenommen. Pürner plädiert für eine Differenzierung zwischen an und mit Corona Gestorbenen.
Pürner warnt: "Die Bevölkerung ist erschöpft." Viele verstünden den Sinn mancher Maßnahmen nicht mehr. Als Beispiel nennt er die erneute Schließung von Gaststätten und des Kulturbereichs: Beide hätten im Infektionsgeschehen keine Rolle gespielt und "tolle Hygienekonzepte entwickelt".
Pürner dankt Mitarbeitern im Gesundheitsamt Aichach
Der Gesundheitsamtsleiter dankt seinen Mitarbeitern. Sie arbeiteten seit Langem bis spät in den Abend und auch an Wochenenden. Die Zahlen zeigen, warum. Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt am Freitag laut LGL auf den Rekordwert von 218. In den Kliniken an der Paar werden dem Landratsamt zufolge 19 Menschen behandelt, davon sechs auf der Intensivstation, fünf davon werden beatmet.
Um 12 Uhr, fast zeitgleich mit Pürners Pressekonferenz, endet die Demo vor dem Landratsamt. Welche weiteren Aktionen geplant sind? "Schauen wir mal", sagt Denner. "Wir machen das spontan."
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