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Aichach: Aichach: Erschöpfte Hebammen und frustrierte Politiker

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Aichach: Erschöpfte Hebammen und frustrierte Politiker

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    Hebammenmangel: Die Geburtsstation im neuen Aichacher Krankenhaus schließt, bevor sie überhaupt eröffnet hat.
    Hebammenmangel: Die Geburtsstation im neuen Aichacher Krankenhaus schließt, bevor sie überhaupt eröffnet hat. Foto: Symbolfoto: Arno Burgi/dpa

    Wehmut und Erschöpfung bei den Hebammen, Generalanalyse und Zahlen vom Klinik-Geschäftsführer, Frust und Trotz bei den Kommunalpolitikern. Die Stimmung bei der Pressekonferenz zum (vorläufigen) Aus der Geburtenstation im Krankenhaus-Neubau in Aichach war logischerweise gedrückt, dabei wussten die Beteiligten natürlich schon ein paar Tage länger Bescheid, dass im nagelneuen und eben erst eingeräumten Kreißsaal auf absehbare Zeit kein Leben herrschen wird. Der Grund: Von zuletzt vier Beleg-Hebammen steht im neuen Jahr nur noch eine zur Verfügung und Ersatz ist weit und breit nicht in Sicht.

    Die Betroffenheit am Tisch war auch nach ein paar Tagen Abstand zur internen Entscheidung greifbar. Bürgermeister Klaus Habermann, immerhin schon 22 Jahre im Amt, bekannte, dass er wohl kaum so schlecht geschlafen habe wie nach dieser Nachricht Anfang der Woche. Und der Aichacher Rathauschef will sich auch nicht damit abfinden: Nicht weil es dann keine „Aichacher“ mehr gebe, sagt Habermann. Das sei zweitrangig und Nostalgie. Es gehe ihm um die jungen Familien in der Region Aichach/Schrobenhausen, im Vordergrund die schwangeren Frauen, die jetzt weite Anfahrten zu einer Geburtsklinik in Kauf nehmen müssten – bei jedem Wetter. Beim Tag der offenen Tür in der topmodernen Klinik vor wenigen Wochen sei das neue Haus und die Geburtenstation besonders gut bei den jungen Leuten angekommen. Ein wichtiger Fortschritt für eine familienfreundliche Stadt. Und jetzt? Der Bürgermeister nennt es geradeheraus ein „Debakel“. Seine Reaktion: „Ich kann das nicht akzeptieren. Für mich ist das wirklich eine persönliche Angelegenheit und ich sage auch ganz klar: Friedberg ist nicht die Alternative.“ Er werde alles unternehmen, um das zu ändern und will jetzt insbesondere die Landespolitiker in die Pflicht nehmen. Die Freien Wähler hatten ja eine Stärkung der kleinen Kliniken versprochen. Im Koalitionsvertrag mit der CSU ist das hinterlegt. Da heißt es: Die wohnortnahe Versorgung mit Hebammen und Geburtshilfeeinrichtungen soll gesichert werden.

    Landrat Klaus Metzger ist gleicher Ansicht, aber er formuliert vorsichtiger: „Wir geben nicht auf, und werden alles tun, was wir können.“ Sein Erfahrungsschatz in Sachen Hebammen-Versorgung ist – zurückhaltend formuliert – genauso umfangreich wie ernüchternd. Zur Pressekonferenz hat er eine vierseitige Liste über die Aktivitäten in seinem Haus seit August 2017 in der Angelegenheit mitgebracht. Überschrift: „Chronologie zum Thema Sicherung der Geburtshilfestationen an den Kliniken an der Paar.“ Aufgeführt sind rund achtzig Punkte – vom Schreiben zum Förderprogramm an Gesundheitsministerin Melanie Huml bis zur Besprechung im Werkausschuss. Die Ankündigung der Kündigungen der Hebammen hat ihn laut Auflistung übrigens am Sonntag per E-Mail erreicht. Für den Landrat sind die Hebammen aber keineswegs „schuld“, dass die Station schließt, bevor sie überhaupt erst mal öffnet: „Die Hebammen haben über Jahre hinweg in einem schlecht organisierten und finanzierten System großartige Leistungen für werdende Mütter und Kinder erbracht.“ Auch den Gynäkologen könne die höchst unbefriedigende Situation nicht angelastet werden. Und auch der Landkreis habe wirklich alles versucht. Metzger spricht von einem „bundespolitischen Versagen in einem Gesundheitssystem, das erbrachte Leistungen nicht angemessen honoriert.“ Das bringe in ländlichen Regionen die Kommunen an den Rand nicht nur des finanziell Möglichen. Diese Rahmenbedingungen machten es selbst bei größten finanziellen Anstrengungen kleinen Standorten unmöglich, für Hebammen und Gynäkologen attraktiv zu sein. Das Maßnahmenpaket des Werkausschusses, der aus der Kreiskasse jährlich 250000 Euro für die Sicherung der Geburtshilfe drauflegen wollte, sei letztlich zu spät gekommen: Der Kreis habe nicht die Zeit bekommen, die nötig gewesen wäre, damit die Maßnahmen wirken.

    Klinik-Geschäftsführer Krzysztof Kazmierczak beschreibt die Gesamtsituation so: „Die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die personelle Situation im Bereich der Geburtshilfe haben sich in den letzten zehn Jahren bundesweit massiv verschlechtert.“ Darunter würden vor allem kleinere Kliniken im ländlichen Raum leiden.

    Die Leidtragenden – neben den Schwangeren – sind vor allem die Hebammen. Zweimal musste die Geburtshilfe in diesem Jahr vorübergehend geschlossen werden, zuletzt für den Umzug, aber vor allem weil die Hebammen (zwischen vier und fünf waren es zuletzt) am Ende ihrer Kräfte angekommen sind: Das Team musste Krankheitsfälle und Weggänge verkraften und ja immer alles im Schichtbetrieb organisieren. Zuletzt kamen rund 370 Babys in Aichach zur Welt. Dagmar Schmaus und Selma Nuray haben jetzt ihre Verträge gekündigt. Schmaus: „Wir können nicht mehr.“ Die Probleme des Hebammenberufs in Geburtsstationen sind inzwischen weithin bekannt: Das reicht von den sehr hohen Versicherungsbeiträgen bis zu den Arbeitszeiten Rund-um-die-Uhr. Etwa die Hälfte aller Hebammen will deshalb nicht mehr in der Geburtshilfe tätig sein, sondern nur noch in der Vor- und Nachsorge. Es gebe eigentlich genug ausgebildete Hebammen, nur im Kreißsaal wollen viele von ihnen unter den gegebenen Bedingungen nicht arbeiten, beschreibt Pia Petrovic, die selbst Muter wird.

    Und wie geht es jetzt in Aichach weiter? Zumindest bis Jahresende kommen dort Kinder auf die Welt – aber nicht bei Spontangeburten: Die beiden Beleggynäkologen führen gemeinsam mit den Hebammen medizinisch notwendige und geplante Kaiserschnitte durch. Andere gynäkologische Eingriffe machen Sorin Turcu-Reiz und Ronald Goerner weiterhin. Entscheidende Frage ist, ob die Geburtshilfestation mittelfristig, also in ein bis zwei Jahren, wiederbelebt werden kann. Landrat Metzger setzt darauf, in Kooperation mit der zukünftigen Uniklinik Augsburg in Friedberg eine Hauptabteilung für Geburtshilfe zu gründen. Dazu würden Sondierungsgespräche geführt. Sollte dieses Projekt erfolgreich umgesetzt werden können und eine ausreichende Anzahl an Gynäkologen und Hebammen vorhanden sein, könnte man in einem nächsten Schritt die Zusammenarbeit auch auf das Krankenhaus Aichach ausweiten. Das heißt: Eine Geburtshilfe als Außenstelle der Friedberger Abteilung. Auch die geplante Hebammenschule in Aichach wird nicht abgeschrieben, auch wenn der Standort zunächst nicht davon profitiere, sagt der Landrat: Wenn jeder nur seinen direkten Vorteil denke, dann komme das System nicht mehr ins Laufen und Kinder irgendwann nur noch in Großkliniken zur Welt . . . .

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