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Aichach: 17 Todesfälle: Gesundheitsamt erhebt schwere Vorwürfe gegen AWO-Heim

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17 Todesfälle: Gesundheitsamt erhebt schwere Vorwürfe gegen AWO-Heim

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    Im AWO-Heim in Aichach starben in den vergangenen Wochen 17 Bewohner, die mit dem Coronavirus infiziert waren. Elf Bewohner starben laut Gesundheitsamt am Coronavirus. Das Amt erhebt nun schwere Vorwürfe gegen die Arbeiterwohlfahrt.
    Im AWO-Heim in Aichach starben in den vergangenen Wochen 17 Bewohner, die mit dem Coronavirus infiziert waren. Elf Bewohner starben laut Gesundheitsamt am Coronavirus. Das Amt erhebt nun schwere Vorwürfe gegen die Arbeiterwohlfahrt. Foto: Erich Echter

    17 Bewohner des Aichacher AWO-Heims, die mit dem Coronavirus infiziert waren, sind tot. Sie starben in weniger als einem Monat. Mittlerweile ist nach einer Auswertung der Todesbescheinigungen für das Gesundheitsamt weitgehend klar: Elf Bewohner starben am Coronavirus, die sechs weiteren mit Covid-19. Das teilte Gesundheitsamtsleiter Dr. Friedrich Pürner am Freitag bei einem Pressegespräch mit. Wobei er einräumt, dass die Statistik „etwas unscharf“ sei: Nicht in allen Fällen von am Coronavirus Verstorbenen sei restlos klar, ob das Virus tatsächlich der Auslöser für den Tod war. Doch wie konnte es zu der Todeswelle in dem Heim kommen?

    Reihentestung im Aichacher AWO-Heim ist abgeschlossen

    Auch um das aufzuarbeiten, wurden am Mittwoch und Donnerstag 61 Bewohner und 92 Mitarbeiter getestet. Die Ergebnisse sollen nächste Woche ausgewertet werden. Vor der Reihentestung waren schon einmal 40 Bewohner und 30 Mitarbeiter getestet worden. Doch es habe immer neue Erkrankte gegeben, so Pürner. Deshalb wolle man nun das Geschehen im Heim aufarbeiten. „Wir hoffen auf Erkenntnisse, dass so etwas nicht mehr passiert.“

    In der Öffentlichkeit hatte es Kritik an dem späten Test gegeben. Pürner verweist auf die Inkubationszeit von circa zwei Wochen, weshalb ein Test nur eine Momentaufnahme sei. Und darauf, dass die Ergebnisse nicht hundertprozentig zuverlässig seien. Guter Infektionsschutz sei wirksamer.

    Gesundheitsamt: Heim verschwendete anfangs wertvolle Zeit

    Doch gerade, was den Infektionsschutz angeht, wirft Pürner dem Heim und insbesondere dessen Leitung zum Teil massive Versäumnisse vor. Der schwerste Vorwurf: Vor allem am Anfang sei „wertvolle Zeit verschwendet“ worden. Auch deshalb hätten sich weitere Bewohner beziehungsweise Mitarbeiter infiziert. So sei das Heim seiner Meldepflicht nicht nachgekommen, als die ersten vier Verdachtsfälle vorlagen. Das Gesundheitsamt habe nicht – wie vorgeschrieben – durch das Heim, sondern über Labore erfahren, dass es positive Testergebnisse gab. Auf Nachfrage sagte Pürner: „Das wäre Sache der Heimleitung gewesen.“ Die liegt derzeit in einem Fachreferat der AWO Schwaben, da Heimleiter Dieter Geßler vor einiger Zeit selbst positiv auf Corona getestet wurde und noch unter Quarantäne steht.

    Pürner zufolge war das Gesundheitsamt am selben Tag, an dem es von den ersten Verdachtsfällen erfuhr, im Heim. Doch auch bei späteren Besuchen „gab es immer noch einige Dinge nachzubessern“. Täglich habe es telefonischen Kontakt gegeben und insgesamt vier Besuche vor Ort. Beim vierten Besuch am Donnerstag habe alles „sehr gut gepasst“. Den Bewohnern gehe es gut. Seit Montag habe es keine weiteren Verdachtsfälle, Erkrankten oder Todesfälle mehr gegeben. Pürner führt das auf die verstärkten Infektionsschutzmaßnahmen unter Begleitung des Gesundheitsamtes zurück.

    Gesundheitsamt: Heim missachtete „Einmaleins der Infektionshygiene“

    Er warf dem Heim vor, das „Einmaleins der Infektionshygiene“ zunächst nicht ausreichend beachtet zu haben, wozu neben Händewaschen auch gehöre, dass kranke Mitarbeiter – auch solche ohne eindeutige Corona-Symptome – strikt daheim bleiben. „Wenn man so banale Dinge nicht einhält, habe ich dafür kein Verständnis“, so Pürner. Kopfschüttelnd berichtete er, dass zu einem Treffen der Pandemiebeauftragten aller Einrichtungen im Landkreis, bei dem es um die Corona-Prävention und die Maßnahmen bei einem Ausbruch ging, ausgerechnet der Vertreter des Aichacher AWO-Heims nicht kam.

    Letzteres bestätigt Dieter Egger, Vorstandsvorsitzender der AWO Schwaben, auf Nachfrage unserer Redaktion. Auch die Vertreter der AWO-Heime Aindling und Friedberg seien in Absprache mit dem Bezirksverband nicht gekommen. Egger nannte die Präsenzveranstaltung „unverhältnismäßig“. Eine Videokonferenz hätte genügt. „Der Informationsgehalt stand in keinem Verhältnis zum Infektionsrisiko.“ Das Treffen fand übrigens im großen Sitzungssaal des Landratsamtes statt. Auch danach habe er nicht den Eindruck gehabt, dass es dort Informationen gegeben hätte, die der AWO nicht schon vorlagen. Zudem sei man „mitten in den Pandemieaktivitäten“ in Aichach gewesen.

    AWO hätte sich frühere Reihentestung im Heim in Aichach gewünscht

    Egger sagte, er sei verwundert über die „Form der Kritik“ des Gesundheitsamts. Die tägliche Zusammenarbeit mit dem Amt sei „ausgesprochen positiv, hervorragend“. Dennoch lässt er durchblicken, dass es ab und zu Meinungsverschiedenheiten gab: „Wir waren einen längeren Zeitraum unterschiedlicher Auffassung über die Sinnhaftigkeit der Reihentestung.“ Egger deutet an, dass er sich diese früher gewünscht hätte. Das AWO-Seniorenheim in Göggingen sei in drei Tagen durchgetestet worden. Danach habe man den Infektionsbereich abschotten können. Ob das den völlig anderen Verlauf in Aichach erkläre, dazu wollte er sich nicht festlegen.

    Er wies Pürners Vorwürfe größtenteils zurück. Sie seien ihm nicht bekannt. In den Begehungsberichten des Amtes tauchten sie nicht auf. Er kenne nur einen Bericht, in dem zwei Auffälligkeiten genannt wurden. Eine könne er nachvollziehen: Darin wurde kritisiert, dass die Essensausgabe zwar mit Mundschutz, aber ohne Overall stattfand.

    AWO: Personalausstattung im Heim mehr als ausreichend

    Die verbandsinternen Meldewege hätten funktioniert, so Egger. Eine Verletzung der Meldepflicht bei erkrankten Bewohnern könne er sich nicht vorstellen. „Da wäre das ein echtes Problem.“ Bei Beschäftigten sei anfangs der Informationsfluss zwischen ihnen, ihren Hausärzten, Gesundheitsamt und Arbeitgeber „mit Lücken versehen“ gewesen.

    Alle Mitarbeiter seien angesprochen worden, daheim zu bleiben, sobald sie ansatzweise Symptome hätten. Er glaube nicht, dass in der Pflege Beschäftigte das missachteten. „Das wäre ein hochgradig unverantwortliches Handeln.“ Allerdings, so räumte er ein, seien die oft niederschwelligen Symptome einer Corona-Erkrankung von Mitarbeitern anfangs „eher bagatellisiert“ worden. Personalmangel habe es dank der Hilfe anderer AWO-Heime nicht gegeben: „Die Personalausstattung war in den ganzen letzten Wochen mehr als ausreichend – beim Fach- wie Hilfspersonal.“

    AWO: „Haben Interesse, Problem in Griff zu kriegen“

    Wie erklärt er sich die massive Ausbreitung des Coronavirus in dem Aichacher Heim? „Ich habe noch kein klares Bild.“ Noch befinde man sich in der Akutphase. Parallel müsse die Aufarbeitung laufen, was es zu verbessern gebe. Gesundheitsamt und Arbeiterwohlfahrt hätten „ein gemeinsames Interesse, das Problem in den Griff zu kriegen“.

    Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels war von 16 Toten im Zusammenhang mit dem Coronavirus im AWO-Heim die Rede. Mittlerweile ist die Zahl der Todesfälle auf 17 gestiegen.

    Über alle aktuellen Entwicklungen informieren wir Sie in unserem Liveblog.

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