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Social Media
"Die Zeit der wenigen großen Plattformen ist vorbei": Wohin steuert Social Media?
Dem Twitter-Nachfolger X laufen die User davon, Facebook entlässt Mitarbeiter, neue Plattformen profitieren. Erleben wir gerade das Ende von Social Media, wie wir es kannten? Eine Zeitreise durch das Social Web.
Es klang alles mal so harmlos. Damals, in den frühen Jahren der sozialen Medien. Neue Freunde finden, alte wiederentdecken, chatten, teilen, posten, liken. Die ganze Welt vernetzt, die ganze Welt ein großer Freundeskreis. Dass die Plattformen diesem Anspruch nur bedingt gerecht wurden, ist lange bekannt. Trotzdem sah es zumindest wirtschaftlich so aus, als gebe es für sie nur eine Richtung: bergauf.
Doch im vergangenen Jahr hat auch dieses Bild Risse bekommen. Facebook musste 11.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen, Twitter verlor nach der Übernahme durch Elon Musk über 80 Prozent an Wert, das US-Magazin The Atlantic schrieb gar vom Ende der sozialen Medien. Wohin also steuern die Plattformen? Und wie konnte aus einer idealistischen Idee, die Freunde verbinden und Meinungsfreiheit fördern sollte, eine Branche entstehen, die täglich Hassrede und Desinformation in die Welt schleudert?
Zeit für einen Streifzug durch das Social Web der vergangenen 20 Jahre. Das ist im Netz glücklicherweise ganz einfach: Jeder Post ist archiviert und auffindbar, die Vergangenheit immer nur einen Klick entfernt.
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Die Frühphase der sozialen Netzwerke
Datum: 17. Juli 2009
Beitrag von: Mark Zuckerberg
Plattform: Facebook
Text: "Möchte irgendwer heute Abend Harry Potter sehen?"
18 Likes, fünf Kommentare, 154 Mal geteilt
Mark Zuckerberg, der an einem beliebigen Tag vor 14 Jahren Harry Potter sehen wollte. Völlig zu Recht, werden Sie sagen: "Was soll mir das über die Entwicklung der sozialen Medien verraten? Das ist doch irrelevant!" Aber das ist der Punkt. Denn so waren die Netzwerke in ihren Anfangsjahren: beliebig und irrelevant.
Nun war Facebook längst nicht die erste oder einzige dieser Plattformen. Mark Zuckerberg gründete das Unternehmen mit drei Studienfreunden im Jahr 2004. Zuvor ging MySpace an den Start, Twitter folgte 2006, rudimentäre Online-Communitys wie "The Well" existierten seit Mitte der 80er-Jahre. Auch in Deutschland gründeten sich solche Netzwerke. Im Jahr 2005 gingen die Seiten lokalisten.de und studiVZ online.
Wir beobachten schon seit einigen Jahren, dass die Nutzerinnen und Nutzer Social Media nicht mehr als Tor zu ihren Freundinnen und Freunden begreifen, sondern eher als Tor zur Welt"
Eines einte diese Netzwerke: Die Menschen nutzten sie, um sich mit ihren Freundinnen und Freunden zu vernetzen. Anders als heute ging es nicht darum, sich möglichst vielen Menschen mitzuteilen oder stundenlang Videos von Influencerinnen und Influencern zu gucken. Man schrieb zwar das meiste öffentlich auf die Plattform. Doch die Öffentlichkeit, die diese Beiträge lesen konnte, war klein. Die meisten Nutzerinnen und Nutzer hatten eine überschaubare Zahl an Kontakten. Die Gespräche drehten sich um ein neues Lied, das man entdeckt hatte; Schulaufgaben, die zu erledigen waren; oder eben den Harry-Potter-Film, der im Kino lief. Und wahrscheinlich waren die Plattformen ihrem ursprünglichen Ziel, Freundinnen und Freunde in Kontakt zu bringen, nie so nah wie zu dieser Zeit.
Heute nutzen die meisten Menschen die Seiten anders. "Wir beobachten schon seit einigen Jahren, dass die Nutzerinnen und Nutzer Social Media nicht mehr als Tor zu ihren Freundinnen und Freunden begreifen, sondern eher als Tor zur Welt", sagt Anna Sophie Kümpel. Sie arbeitet als Juniorprofessorin an der Technischen Universität Dresden und untersucht dort unter anderem den Wandel der digitalen Medien. "Damals lasen sie hauptsächlich Beiträge ihrer Freunde. Heute interagieren sie eher mit Beiträgen und Videos von Menschen, die sie nicht persönlich kennen", sagt sie. "Der Netzwerk-Aspekt war damals viel präsenter auf den Plattformen."
Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Sprache. Bezeichnete man Facebook und MySpace damals noch als "soziale Netzwerke", sprechen die meisten heute von "sozialen Medien". Manche Plattformen, darunter die aus China stammende App TikTok, gehen noch einen Schritt weiter. Sie wollen sich als "Content Plattform" verstanden wissen. Eine Seite also, die in erster Linie dazu gedacht ist, Videos hochzuladen oder anzusehen – ähnlich wie YouTube.
Die Bezeichnung passt zum Aufbau der App. Auch wenn TikTok gemeinhin zu den sozialen Medien gerechnet wird, die Interaktion mit Freunden gerät dort in den Hintergrund. Auf der Plattform regiert allein der Algorithmus. Basierend auf den bisheringen Nutzungsdaten wählt er für jeden, der die App öffnet, personalisierte Videos aus – kurze Comedy-Sketche beispielsweise, mehr oder weniger seriöse Finanztipps und besonders häufig: Tanzvideos. TikTok funktioniert weniger wie ein Netzwerk, eher wie eine Weiterentwicklung des Fernsehens. Mit dem Unterschied, dass jedem Nutzer ein für ihn zugeschnittenes Programm angezeigt wird. Der soziale Aspekt spielt vordergründig kaum noch eine Rolle.
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Vom sozialen Netzwerk zum Medienimperium
Datum: 7. November 2012
Beitrag von: Barack Obama
Plattform: Twitter
Text: "Vier weitere Jahre."
508.325 Likes, 50.743 Kommentare, 772.843 Mal geteilt
Mit den Jahren entwickelten sich die sozialen Medien immer mehr zu unerlässlichen Agitationsinstrumenten. Einer der ersten, der das für sich zu nutzen wusste, war der ehemalige US-Präsident Barack Obama. Schon 2008 setzte er auf Plattformen wie Facebook, um für sich zu werben. Im Wahlkampf 2012 intensivierte er diese Strategie. Sein Sieges-Tweet in der Wahlnacht 2012 wurde innerhalb kürzester Zeit so häufig weitergeleitet wie kein Beitrag zuvor. Auch im Arabischen Frühling 2011 waren Facebook und Twitter wichtige Kanäle der Opposition, um Versammlungen zu organisieren und ihrem Ärger über die Regierungen Luft zu machen.
Es ist schwer zu bestimmen, wann genau die sozialen Netzwerke sich zu sozialen Medien wandelten. Mitunter hängt das auch von der Plattform ab. Auf Twitter gab es nie geschlossene Freundeskreise. Die App war immer so ausgelegt, dass prinzipiell jeder Nutzer die Kurznachrichten lesen konnte.
Bei Facebook nahm Mark Zuckerberg ab 2009 einige Änderungen an der Architektur der Plattform vor, die diesen Wandel begünstigten. Das Unternehmen entfernte sich mehr und mehr von einem rein chronologischen Newsfeed. Stattdessen spülte ein Algorithmus den Nutzerinnen und Nutzern Beiträge in die Timeline, mit denen besonders viele Menschen interagierten. Der Freundeskreis verlor zunehmend an Bedeutung, die Interaktion mit Fremden nahm zu.
"Die Quantität der sozialen Bindungen nimmt zu, die Qualität ab. Dadurch ändert sich auch die Art des Kommunizierens."
Das hat Folgen für die Art der Beziehungen, die die Nutzerinnen und Nutzer auf Social Media eingehen. In den 70er-Jahren stellte der Psychologe Robin Dunbar die These auf, dass Menschen mit maximal 150 anderen Personen eine wesentliche Beziehung eingehen können. Die Zahl der Kontakte in den sozialen Medien übersteigt diese Zahl aber bei Weitem. Die Folge: Der Anteil der starken Bindungen – wie sie in der Soziologie genannt werden – nimmt ab, die Zahl der schwachen Bindungen steigt an. Oder anders formuliert: Die Quantität der sozialen Bindungen nimmt zu, die Qualität ab. Dadurch ändert sich auch die Art des Kommunizierens. Denn mit engen Freunden sprechen wir anders als mit Arbeitskollegen, mit Verwandten anders als mit flüchtigen Bekanntschaften. Es kommt schneller zu Missverständnissen und Reibungen.
"Auch die Inhalte der Konversation verlagern sich", sagt die Medienwissenschaftlerin Anna Sophie Kümpel. "Von rein privaten Gesprächen zwischen Freunden, hin zum gesellschaftlichen Austausch über verschiedene Inhalte." Nicht nur die Umstellung der Timeline bei Facebook hat zu dieser Entwicklung beigetragen. "Verstärkt wurde das zum Beispiel auch durch die Funktion, Beiträge zu teilen und sie dadurch zu multiplizieren."
Für die Plattformen hat sich der Schritt gelohnt. Mehr Kommunikation heißt mehr Zeit auf der Seite heißt mehr Werbegelder. Gleichzeitig begünstigten diese Schritte die Verbreitung von Falschinformationen und Hatespeech. Vier Jahre nach Obamas Sieges-Tweet wusste das vor allem ein Präsidentschaftskandidat für sich zu nutzen: Donald Trump.
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Die Politik erhöht den Druck, die Konkurrenz wächst
Datum: 9. Juni 2016
Beitrag von: Hillary Clinton zu Donald Trump
Plattform: Twitter
Text: "Löschen Sie Ihren Account."
611.229 Likes, 24.444 Kommentare, 435.957 Mal geteilt
Wie schnell sich Falschinformationen und Hassrede in den sozialen Medien verbreiten können, wie häufig sie aufgerufen und geglaubt werden, zeigte sich spätestens im US-Wahlkampf 2016. Es war nicht nur Donald Trump, der auf Twitter mit teils ausländerfeindlichen Kommentaren und offenkundigen Unwahrheiten auffiel. Zunehmend fluteten Bots die Plattform mit automatisierten Nachrichten und machten so Stimmung im Wahlkampf.
Kurze Zeit später wurde bei Facebook ein Skandal publik, der das Unternehmen noch einige Jahre beschäftigen würde. Der Konzern soll persönliche Daten von Millionen von Nutzern an die Beratungsfirma Cambridge Analytica weitergegeben haben. Ein Unternehmen, das Donald Trump bei dessen Präsidentschaftswahlkampf unterstützte. Später sorgten Aussagen der früheren Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen für Aufsehen, die dem Unternehmen vorwirft, sich mehr für Profite als für das Wohlergehen seiner Nutzer zu interessieren.
Auch wegen dieser Skandale erhöhte die Politik in den Folgejahren den Druck auf die Plattform-Betreiber. Mark Zuckerberg musste sich einer Anhörung im US-Kongress stellen, in Deutschland wurde das Netzwerkdurchsetzungsgesetz erlassen, mit dem Hassrede im Netz bekämpft werden sollte, und nach dem Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 sperrte Twitter den Account von Donald Trump.
Wirtschaftlich aber war es weniger der Druck aus der Politik, der den Plattformen zusetzte. Sondern Konkurrenzprodukte, die Ende der 2010er-Jahre auf den Markt kamen. Vor allem junge Menschen wanderten von den großen Plattformen ab. Davon profitiert in erster Linie TikTok. Lag der Anteil der Nutzerschaft unter den 16- bis 18-Jährigen 2020 noch bei 25 Prozent, waren es zwei Jahre später schon 63 Prozent.
"Diese sozialen Aspekte gehen nicht völlig verloren. Sie treten nur in den Hintergrund."
Die amerikanischen Plattformbetreiber versuchten sich anzupassen. Meta, der Mutterkonzern von Facebook und Instagram, versuchte TikTok zu kopieren und führte auf seinen Plattformen Hochkant-Videos und einen zusätzlichen Feed ein, der an die algorithmische Ausspielung von TikTok erinnert. Mit der Folge, dass sich die sozialen Medien weiter Richtung Content Plattformen entwickeln.
Das ist ein Grund, warum einige Beobachter das Ende der sozialen Medien beschwören. Ihr Argument: Die Plattformen bleiben erhalten, das soziale aber schwindet. Anna Sophie Kümpel lässt das nur bedingt gelten. "Diese sozialen Aspekte gehen nicht völlig verloren. Sie treten nur in den Hintergrund." Die Konversation mit Freunden findet heute über andere Kanäle statt. "In Messengerdiensten beispielsweise. Man diskutiert also über ein TikTok-Video nicht unbedingt auf TikTok, sondern schickt es seinen Freunden auf WhatsApp." In der Forschung spricht man auch von "Dark Social": Privates wird nicht mehr öffentlich geteilt, sondern bleibt in geschlossenen Kanälen.
Kümpel beobachtet noch einen zweiten Trend, der dem Ende der Social Media Ära widerspricht. "Die Plattformen führen gezielt Features ein, die stärker für den privaten Austausch mit Freunden gedacht sind", sagt sie. "So gibt es bei Instagram beispielsweise die Möglichkeit, Stories nur für ausgewählte Freunde auszuspielen." Das sind Erweiterungen, die dem soziologischen Konzept der starken und schwachen Bindungen gerecht werden. Wer zu einer breiten Öffentlichkeit sprechen will, postet öffentlich. Wer sich an einen kleinen Kreis wenden möchte – ähnlich wie in den frühen Facebook-Jahren – postet nur für enge Freunde.
Neben solchen Erweiterungen bilden sich auch neue Plattformen, die sich ausschließlich an einen engen Freundeskreis richten. Ein Beispiel: Bereal. Die App fordert ihre Nutzer einmal pro Tag auf, ein Foto zu schießen und mit den engsten Freunden zu teilen. Nach einem Tag verschwinden die Bilder. Auch sonst macht die Plattform einiges anders als ihre großen Konkurrenten. Im Profil wird beispielsweise nicht ersichtlich, wie viele Freundinnen und Freunde ein Nutzer oder eine Nutzerin hat. Weniger Beliebtheitsdruck also. Auch wird in der App keine Werbung angezeigt. Das verspricht weniger Datenmissbrauch zu kommerziellen Zwecken – bisher zumindest.
Die Plattform-Landschaft diversifiziert sich zunehmend. Neue Produkte bilden sich heraus, die Nischen bedienen und sich an den Bedürfnissen ihrer Nutzerinnen und Nutzer orientieren wollen. Und diese Entwicklung geht letztlich zulasten der großen Plattformen.
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Die Kehrseite der radikalen Meinungsfreiheit
Datum: 16. Mai 2023
Beitrag von: Elon Musk
Plattform: Twitter/X
Text: "Soros erinnert mich an Magneto."
309.410 Likes, 30.144 Kommentare, 31.811 Mal geteilt
Es sind vor allem Facebook und Twitter, die aktive Nutzer verlieren. Twitter nimmt in dieser Entwicklung eine Sonderrolle ein. Die Probleme, mit denen das Netzwerk zu kämpfen hat, lassen sich in einem Namen zusammenfassen: Elon Musk. Seit er das Unternehmen übernahm, fiel der Wert von 44 Milliarden auf geschätzt acht Milliarden ab.
Musk wird nicht müde, langjährige Nutzerinnen und Nutzer zu verprellen. Er änderte den Namen von Twitter zu X, tauschte das beliebte Vogel-Logo und kurzzeitig gab es gar eine Grenze von Tweets, die an einem Tag gelesen werden konnten.
Vor allem aber warnen Forscherinnen und Forscher vor einem Anstieg an Lügen und Hassrede auf der Plattform. Ein Grund: Nachdem Musk Twitter übernommen hatte, ließ er Moderatorinnen und Moderatoren feuern, die genau solche Inhalte aufspüren und löschen sollten. Noch dazu teilt er selbst regelmäßig diffamierende und unwahre Aussagen. Den jüdischen Investor George Soros, der häufig zur Zielscheibe von Hass und Verschörungstheorien wird, verglich er mit dem Superschurken Magneto aus dem Marvel-Universium.
Musk teilte Wahlaufrufe für die AfD und nach dem Angriff der Hamas auf Israel warb er in einem Beitrag für Konten, die zuvor durch antisemitische Beleidigungen und Falschinformationen zu einem vermeintlichen Angriff auf das Pentagon aufgefallen waren. Zwar löschte er den Post nach einigen Stunden. Zu diesem Zeitpunkt war der aber bereits mehrere Millionen Mal angesehen worden. Die Forscherinnen und Forscher, die auf solche Probleme hinwiesen, ließ Musk im Übrigen verklagen.
"Die letzten 15 Jahre und jede Forschung zu sozialen Medien hat gezeigt: Eine Plattform mit maximaler Redefreiheit und ohne jede Moderation, das funktioniert nicht"
Erst diese Woche kursierten außerdem Gerüchte, Musk wolle sich mit seiner Plattform X aus Europa zurückziehen. Der Grund: Er soll mit dem Digitalgesetz der EU unzufrieden sein. Dieses verpflichtet große Onlineplattformen, schnell und konsequent gegen Hassrede vorzugehen. Musk wies die Spekulationen allerdings am Donnerstag zurück.
All das führt dazu, dass immer mehr Menschen die Plattform verlassen. Häufig liest man auf Twitter Nachrichten wie: "Ihr findet mich drüben". Mit drüben sind Konkurrenz-Medien gemeint. Bluesky beispielsweise, die Twitter-Alternative, die ausgerechnet der Twitter-Erfinder Jack Dorsey gegründet hat. Oder die deutsche Plattform Mastodon.
Diese Wanderung beobachtet auch Simon Hurtz. Er ist Journalist und Herausgeber des Social Media Watchblogs. Das Team verfolgt aktuelle Debatten rund um die sozialen Medien und ordnet sie in einem zweiwöchigen Newsletter ein. "Die letzten 15 Jahre und jede Forschung zu sozialen Medien hat gezeigt: Eine Plattform mit maximaler Redefreiheit und ohne jede Moderation, das funktioniert nicht", sagt Hurtz. "Musk dachte, er weiß es besser. Aber die aktuelle Entwicklung macht deutlich: Er ist im Unrecht." Das zeigt sich zum Beispiel an den Werbeeinnahmen. Nach Musks Twitter-Übernahme zogen sich viele Werbekunden aus Sorge um ihr Image von der Plattform zurück. Die Anzeigenerlöse – die wichtigste Geldquelle von X – sind nur noch halb so hoch wie vor der Übernahme.
Bei Facebook ist die Lage eine andere. Vor allem die Konkurrenz mit TikTok sorgte für Einbußen bei Werbeeinnahmen. Außerdem implementierte Apple neue Funktionen zum Datenschutz auf dem iPhone. Weil Facebook aber diese Daten benötigt, um möglichst effizient Werbung zu schalten, ging der Umsatz zurück. "Trotzdem finde ich dieses ‚Facebook ist tot‘-Topos mehr als überstrapaziert", sagt Hurtz. "Facebook ist die größte Plattform mit den meisten Menschen und vor allem die, die am meisten Geld abwirft." Die Plattform werde aber weniger relevant – vor allem bei den Jüngeren. "Irgendwann trat eben das ein, was irgendwann eintreten musste: Nämlich, dass das, was mal neu und aufregend erschien, plötzlich normal wurde", sagt Hurtz. Ein Trend, dem Facebook nur bedingt entgegenwirken kann. "Nichts auf der Welt kann zehn Jahre lang cool bleiben. Cool ist ja eine Sache gerade deshalb, weil sie neu ist."
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Quo vadis, Social Media?
Datum: 11. Oktober 2023
Beitrag von: Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Plattform: Twitter/X
Text: "Wir haben beschlossen, X zu verlassen"
621 Likes, 172 Mal geteilt, 182 Mal zitiert
Wohin aber steuern die Plattformen nun? Gerade in den Anfangsjahren war Social Media geprägt von einer immer stärkeren Zentralisierung auf wenige Plattformen. Der sogenannte Netzwerk-Effekt schlug mit voller Härte zu. Sprich: Nutzerinnen und Nutzer entschieden sich für die Plattformen, auf denen die meisten Menschen zu finden waren. Mehr Accounts hieß mehr Content und das versprach schlussendlich das bessere Produkt zu sein. Netzwerke wie lokalisten.de in Deutschland, MySpace in den USA oder auch neuere Produkte wie Google+ blieben dabei auf der Strecke.
"Ich sehe eine Zukunft, wo wir für unterschiedliche Bedürfnisse eben auch unterschiedliche Plattformen verwenden."
Jetzt scheint sich dieser Trend ein Stückweit umzukehren. Die Bedürfnisse der Nutzer differenzieren sich. "Wenn ich eine absolute Aussage über die Zukunft der sozialen Medien treffen möchte, dann wahrscheinlich die: Die Zeit der wenigen großen Plattformen ist vorbei", sagt Hurtz. Diese Plattformen, das waren bisher Facebook und Twitter. "Ich sehe eine Zukunft, wo wir für unterschiedliche Bedürfnisse eben auch unterschiedliche Plattformen verwenden."
In der Forschung spricht man vom "Nutzen- und Belohnungsansatz". Menschen wählen Medien gezielt nach ihren Bedürfnissen aus. Für die Kommunikation mit engen Freunden, wie sie früher auf Facebook stattfand, könnten sich Plattformen wie BeReal etablieren. TikTok und Instagram bleiben relevant für leichte Unterhaltung und Berieselung. Bluesky und Mastodon werden Twitter vielleicht nicht ersetzen, aber zumindest ergänzen. "Bei der Übernahme versprach Musk, den digitalen Dorfplatz der Welt zu erschaffen. Das war schon damals aussichtslos", schreibt Hurtz in seinem Newsletter. Aber dass Plattformen wie Bluesky diese Rolle einnehmen, scheint vorerst ebenso unwahrscheinlich. Denn die Massen sind träge. Auch wenn viele Accounts Twitter verlassen, wird es weiterhin als Breaking-News-Plattform relevant bleiben. "Bluesky könnte stattdessen eine gemütliche Kneipe sein: ein Ort, an dem man sich gepflegt mit netten Menschen unterhalten kann, ohne fürchten zu müssen, dass man beleidigt und bedroht wird."
Das entspräche auch eher der Art, wie Menschen seit Jahrhunderten kommunizieren. Sie haben sich immer schon in kleinen Gruppen zusammengefunden. So gelingt überhaupt erst ein produktiver Austausch. Die verhältnismäßig kurze Zeit der großen Plattformen war nie die Regel, sondern die Ausnahme.
Für die Zukunft von Social Media heißt das: Nutzerinnen und Nutzer müssten sich nicht zwangsläufig auf Twitter, Facebook oder Instagram anmelden, weil dort alle sind. Stattdessen können sie sich ein Netzwerk suchen, dass zu ihren Bedürfnissen passt. Wer beispielsweise Plattformen mit wenig Moderation nutzen möchte, kann weiterhin auf Musks X posten. Mit einem größeren Angebot ist aber niemand mehr gezwungen, dessen laxe Regeln zu akzeptieren.
Die ursprüngliche Idee von Social Media, die ganze Welt zu vernetzen und jedem eine Stimme zu geben, ist deshalb lange nicht begraben. Der Diskurs zentralisiert sich aber nicht mehr auf eine oder zwei große Plattformen – und damit auch nicht auf einen oder zwei Unternehmer, die über die Regeln dieses Diskurses entscheiden können. Mehr Auswahl heißt auch mehr Souveränität für die Nutzerinnen und Nutzer. Das wiederum klingt nach einer vielversprechenden Zukunft für die sozialen Medien.
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