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Musikermedizin: Wider das Lampenfieber

Musikermedizin

Wider das Lampenfieber

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    Professor Claudia Spahn leitet das Freiburger Institut für Musikermedizin.
    Professor Claudia Spahn leitet das Freiburger Institut für Musikermedizin.

    Sei es eine Rede, ein Konzert oder eine Präsentation: Vor einem Auftritt ist fast jeder nervös. Schlägt die Aufregung in massive Angst um, drohen Blockaden und "Blackouts". Professor Claudia Spahn vermittelt professionellen Musikern, wie sie optimal mit Lampenfieber umgehen können und hilft Menschen, die an Auftrittsangst leiden. Spahn leitet das Freiburger Institut für Musikermedizin, eine gemeinsame Einrichtung der Hochschule für Musik und des Universitätsklinikums

    Warum hat man Lampenfieber?

    Spahn: Die Wurzeln liegen weit zurück. Evolutionsbiologisch sind die Symptome Anpassungsreaktionen an eine lebensbedrohliche Situation. Angst löst Reaktionen aus, die den Körper auf Kampf oder Flucht vorbereiten: Herzschlag und Atmung werden schneller, die Hände werden kalt, die Wachsamkeit steigt. Das soll kräftige Bewegungen und Ausdauer ermöglichen. Heute sind es soziale Situationen, die zu solchen Reaktionen führen, nämlich die Angst davor, sich zur Schau zu stellen, dem eigenen Anspruch nicht zu entsprechen oder sich zu blamieren.

    Ist die Gesellschaft mitschuld, wenn Lampenfieber zum Problem wird? Nervosität gilt ja als extrem "uncool".

    Spahn: Dem versuche ich entgegenzuwirken. Es ist schade, dass Lampenfieber oft problematisiert wird, anstatt es als besondere Fähigkeit des Menschen anzuerkennen. Optimal ausgeprägt, sorgt es nämlich dafür, dass man bei einem Auftritt konzentrierter und ausdrucksstärker ist. Das finden viele toll. Ohne Lampenfieber würde man schlapp wirken und wäre emotional nicht so präsent. Es gehört zum Bühnenerlebnis dazu und hat etwas sehr Anziehendes. Das erklärt zum Teil auch, dass Musiker oft Comebacks versuchen, weil sie diesen besonderen Kick vermissen.

    Wenn aber ein Pianist zittert, kann sich das auch negativ auswirken?

    Spahn: Ja, angespannte Muskeln und Zittern können stören. Wenn die Anspannung in Angst umschlägt, besteht die Gefahr, dass dadurch die Leistung beeinträchtigt wird. Es gibt verschiedene Grade von Lampenfieber, nämlich eine leistungsfördernde, eine leistungsbeeinträchtigende und eine leistungsverhindernde Ausprägung. Bei der letzten sprechen wir auch von Auftrittsangst. Sie führt oft zu völligen Blockaden. Manchmal werden Auftritte dann sogar abgesagt.

    Man sollte meinen, dass Musiker so viel Bühnenerfahrung haben, dass ihnen das Auftreten wenig ausmacht. Kommen trotzdem Profis zu Ihnen?

    Spahn: Ja, sogar viele. Routine hilft nur dann, wenn sie auf positiven Erfahrungen aufbaut. Wenn sich dadurch negative Erfahrungen aber immer wieder bestätigen, braucht man einen Impuls von außen. Musiker wurden lange Zeit kaum auf Auftritte vorbereitet. Bei der Ausbildung gibt es da großen Nachholbedarf. Deshalb bieten wir an der Freiburger Musikhochschule spezielle Auftrittsseminare an. Früher haben Instrumentalisten nur fleißig in ihrem Kämmerchen geübt und gemeint, dass es dann auch mit dem Vortragen klappen muss. Ein Auftritt ist aber eine besondere Situation, für die man trainieren kann - zum Beispiel indem man sich die Situation immer wieder vorstellt. Besonders gut vorbereiten sollte man sich auf die Anfangssequenz. Für den Auftritt sind nämlich oft die ersten beiden Minuten entscheidend.

    Wie helfen Sie Patienten, die bereits an Auftrittsangst leiden?

    Spahn: Wir verfolgen zunächst die Biografie und schauen, wann die Angst zuerst aufgetreten ist. Meistens gibt es zwei, drei Knoten, also negative Erlebnisse, die die Künstler weiter mit sich herumschleppen. Außerdem spielen die Patienten mir kritische Passagen auf ihrem Instrument vor und wir überlegen, welche Techniken helfen können, um das Lampenfieber zu optimieren. Manchmal trainieren wir auch ganz konkret auf der Bühne und bereiten uns zum Beispiel durch die richtige Körperhaltung auf das Konzert vor. Hilfreich kann auch ein Video-Feedback sein, bei dem der Musiker seinen Auftritt selbst ansehen kann.
    Warum?

    Spahn: Die Aufregung, die man selbst spürt, ist darauf meistens nicht zu erkennen. Das ist beruhigend. Selbst- und Fremdwahrnehmung unterscheiden sich nämlich gewaltig. Das zeigt auch folgende Geschichte: Zwei Musikerinnen kamen beide wegen Auftrittsangst zu mir in die musikermedizinische Sprechstunde, ohne voneinander zu wissen. Die Behandlung unterliegt natürlich immer der ärztlichen Schweigepflicht. Eine der beiden erzählte mir, dass die andere schon immer ihr Vorbild gewesen sei, weil die so souverän auf der Bühne wirke und solche Ängste wie sie selbst sicher nicht kenne. Für die Betroffenen ist es tröstlich zu wissen, wenn sie merken, dass sie mit ihren Problemen nicht allein dastehen. Ich glaube auch, dass durch die Etablierung unseres Fachgebiets eine Enttabuisierung stattgefunden hat.

    Trotzdem hört man, dass nicht wenige Profis vor Auftritten Azrneien, wie Beta-Blocker, nehmen. Stimmt das?

    Spahn: Ja, das ist ein Problem. Verlässliche Zahlen gibt es aber nicht, weil es bei Umfragen dazu nur wenige Rückmeldungen gibt. Aber das zeigt, dass dieses Thema tabu ist.

    Gibt es Fälle, in denen Sie die Einnahme solcher Mittel für gerechtfertigt halten?
    Spahn: Wenn jemand über Jahre hinweg massive Probleme mit dem Auftreten hat, können sie helfen, um aus dem Teufelskreis herauszukommen. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten, sich zu helfen - allerdings sind sie weniger bequem.

    Ist die Aufregung vor einem Auftritt groß, helfen oft simple Tricks - Tricks, die helfen

    • Den Auftritt üben: Am leichtesten fällt es, wenn man sich allmählich steigert: erst alleine üben, dann vor einem Freund auftreten, dann vor einer Gruppe von Bekannten.
    • Ruhig atmen: Durch die Nase einatmen und die Luft langsam durch den Mund ausströmen lassen trägt dazu bei, Atmung und Kreislauf zu beruhigen.
    • Bewegung: Wer angespannt ist, kann sich durch Spazieren, Walken oder Radeln abreagieren. Manchmal hilft auch Kaugummi-Kauen.
    • Leichte Snacks: Eine kleine Mahlzeit vor dem Auftritt beruhigt die Nerven. Gut sind etwa Bananen. Sie halten den Blutzuckerspiegel relativ lange konstant. Das fördert die Konzentrationsfähigkeit.
    • Positives Denken: Mit einfachen Sätzen kann man sich Mut machen, etwa: „Ich werde das gut machen!“ Außerdem hilft es, sich an frühere gute Auftritts-Erfahrungen zu erinnern.
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