Gießener Wissenschaftler sind einer schwierigen Frage auf der Spur: Warum können manche Männer keine Kinder bekommen?
Männer und Unfruchtbarkeit - das war lange Zeit ein Tabu. Bei Männern werde eine eingeschränkte Fruchtbarkeit oft mit geringer Potenz in Verbindung gebracht, was nicht stimme, sagt die Familientherapeutin und Autorin Petra Thorn. Die wissenschaftliche Erforschung der weiblichen Infertilität sei "viel weiter vorangetrieben" worden.
In ihrer Praxis im hessischen Mörfelden berät Thorn Paare mit Kinderwunsch. "Männer tun sich schwer damit, ihre Fertilität überprüfen zu lassen." Die Diagnose Unfruchtbarkeit sei für die meisten ein Schock.
Dann folgt die Suche nach den Ursachen - und die ist oft schwierig, wie Hans-Christian Schuppe erklärt. Er ist Androloge, Experte für die männliche Fortpflanzung. Mögliche Ursachen seien: Krankheiten, Medikamente, Hodenschädigungen, Chemikalien oder sogenannte "Life-Style-Faktoren", die mit dem Lebensstil zusammenhängen, zum Beispiel Rauchen, Alkohol, Übergewicht, Anabolika, Marihuana und andere Drogen. Oder genetische Störungen.
An ihnen forscht Undraga Schagdarsurengin, die zum Biologiestudium aus der Mongolei nach Deutschland kam. Sie nimmt einen Kugelschreiber und ein Blatt Papier. "Unser Ziel ist es, die molekularen Mechanismen zu verstehen, die zu männlicher Unfruchtbarkeit führen können." Die Wissenschaftlerin zeichnet blaue Kreise, um die sich ein Faden windet: Histon-Proteine - das sind im Grunde Spulen - um die sich unsere Erbsubstanz wickelt, die DNA. "In jedem Zellkern findet man diese Strukturen." Man bezeichnet sie als Nukleosome.
Chemische Veränderungen der DNA und der Histon-Proteine regulieren die Aktivität einzelner Gene. "Wir nennen das epigenetische Veränderungen." Schagdarsurengin untersucht in einem Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wird, epigenetische Ursachen der männlichen Unfruchtbarkeit.
Ihre These: Die Spermien-Nukleosome spielen kurz nach der Befruchtung der Eizelle eine besondere Rolle. "Wir denken, dass die ersten Zellteilungen kritisch sind. Liegen epigenetische Fehler in Spermien-Nukleosomen vor, könnten schon die ersten Zellteilungen scheitern, so dass kein Baby heranwachsen kann." Die Forscher stehen auf der Suche nach molekularen Ursachen der Unfruchtbarkeit noch am Anfang, an Therapien ist noch nicht zu denken.
In etwa einem Jahr rechnet Schagdarsurengin mit den ersten publizierbaren Ergebnissen. "Wir versuchen erstmal, das System so vollständig wie möglich zu verstehen." Es sei ein langer Weg, bis man Männern bestimmte Vorschläge machen könne. Vieles deute aber darauf hin, dass sich durch eine Veränderung des Lebensstils - Ernährung, Sport, Auslassen bestimmter Giftstoffe - die Spermienqualität verbessern lasse.
Ein paar Häuser weiter in der Gießener Uniklinik arbeitet ihr Kollege Hans-Christian Schuppe. "Zehn Prozent der Paare im reproduktionsfähigen Alter haben in den westlichen Ländern Probleme mit der Fruchtbarkeit", sagt er. In der Hälfte der Fälle liege die Ursache beim Mann. Das bewege sich von der Zahl her im Rahmen von Volkskrankheiten.
Unfruchtbarkeit: "Es gibt Störungen, die wir sehr wohl behandeln können"
Generell sei eine Diagnostik des Mannes wichtig, erklärt er. "Denn es gibt Störungen, die wir sehr wohl behandeln können". Hormone könnten von außen ersetzt, Infektionen mit Medikamenten behandelt werden.
Für viele Männer, die Probleme mit der Fruchtbarkeit haben, bleibt aber nur noch der Weg der künstlichen Befruchtung. "Es gibt in der Gesellschaft die Vorstellung, dass man bei Problemen eine Kinderwunschbehandlung macht und dann ein Kind bekommt", sagt die Therapeutin Thorn. Sie erlebt einen großen Druck auf die Paare, dass eine solche Behandlung auch erfolgreich verlaufen müsse. Tatsächlich sind aber nur etwa ein Viertel der künstlichen Befruchtungen erfolgreich.
In den westlichen Ländern entscheiden sich Paare immer später für ein Kind. "Am meisten Kummer macht uns das Alter der Paare, die zu uns zur Behandlung kommen", berichtet der Androloge Schuppe. Das Alter des Mannes spiele eine wichtige Rolle; mit zunehmendem Alter nähmen auch genetische Störungen zu. "Man kann es nicht laut genug sagen, und das sagen wir auch unseren Studenten: Denkt früh genug an die Familienplanung!" (epd)