Mindestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts sei bei den Buben das Alter ihrer Geschlechtsreife um etwa 2,5 Monate pro Jahrzehnt gefallen. "Ein heute 18-Jähriger ist körperlich so weit entwickelt wie ein 22-Jähriger um 1800", sagt Joshua Goldstein, Direktor des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock (MPIDR). Er hatte diesen bisher schwer belegbaren Trend nun mittels Sterblichkeitsdaten nachgewiesen.
Medizinische Aufzeichnungen belegten zwar für Mädchen schon lange, dass die erste Menstruation immer eher stattfindet. Für Jungen existieren vergleichbare Daten aber nicht. Goldstein behob den Mangel mit demografischen Zahlen: Genau dann, wenn Jungen in der Pubertät am meisten Hormone produzieren, steigt auch ihre Wahrscheinlichkeit zu sterben sprunghaft an. Dieser so genannte Accident Hump ist ein Phänomen, das es in fast allen Gesellschaften gibt und das statistisch gut erfasst ist.
Goldstein fand heraus, dass sich der Maximalwert des Accident Humps seit Mitte des 18. Jahrhunderts um etwa 2,5 Monate pro Jahrzehnt in Richtung jüngeren Alters verschoben hat - und damit auch die Geschlechtsreife der Jungen.
Die Veränderungen in der Geschlechtsreife lassen sich zwar nur indirekt über Sterblichkeitsdaten nachweisen. Dennoch betont Joshua Goldstein, wie wichtig ihre biologische Bedeutung ist: Erstmals können Forscher nachvollziehen, wie Frauen und Männer auf dieselbe Weise auf Veränderungen in der Umwelt reagieren.
Körperlich schon erwachsen, sozial noch lange nicht
Biologische und soziale Lebensphasen junger Menschen driften damit immer stärker auseinander, sagt Joshua Goldstein. Während Jugendliche immer früher biologisch erwachsen werden, erreichen sie den sozialen Status des Erwachsenseins immer später. Das zeigt die Lebenslaufforschung: Seit gut einem halben Jahrhundert steigt das Alter, in dem junge Menschen heiraten, Kinder kriegen, ihre Karriere beginnen und finanziell unabhängig von den Eltern werden.
Damit verlängere sich nicht nur die Phase körperlichen Erwachsenseins, innerhalb derer junge Leute noch keine Kinder bekämen, sagt Joshua Goldstein. Wichtige Entscheidungen im Lebenslauf werden mit immer größerem Abstand zur Sorglosigkeit der Jugend gefällt. AZ