Rüdiger Klessmann wundert sich. Jahrelang war es für den Senior völlig selbstverständlich, alte Medikamente in der Apotheke seiner Wahl abzugeben. Nach einem Todesfall in seiner Familie wollte er in der vergangenen Woche wie gewohnt eine größere Menge teils starker Arzneimittel zur nächsten Apotheke bringen. Zu seiner Überraschung wurden die mitgebrachten Medikamente dort abgewiesen. „Man sagte mir, ich soll alles einfach in den Hausmüll werfen“, erinnert sich der Augsburger. Dies konnte Klessmann zunächst nicht glauben, doch auch der Apotheker bestätigte die Aussage seiner Mitarbeiterin.
Vor einigen Jahren holte das Recycling-Unternehmen Vfw alte Arzneimittel kostenlos bei den Apotheken ab. Durch eine neue Verpackungsverordnung änderte sich dies allerdings. Seit 2009 sind Apotheken nicht mehr dazu verpflichtet, Medikament-Verpackungen und deren Inhalt zurückzunehmen, denn sie müssten die Entsorgung aus eigener Tasche bezahlen. Das Bundesministerium für Gesundheit erklärt auf seiner Internet-Seite, alte Arzneimittel gehören zum sogenannten Siedlungsabfall – wie auch der normale Hausmüll. Da seit 2005 jeglicher Müll dieser Art verbrannt oder mechanisch-biologisch behandelt wird, macht eine gesonderte Entsorgung der Medikamente keinen Sinn mehr.
In den Köpfen vieler Bürger schwirrt allerdings immer noch die Befürchtung, dass die Wirkstoffe von Tabletten, Säften oder Salben, die einfach in den Müll geworfen werden, ins Grundwasser gelangen und es verunreinigen könnten. Das Bundesministerium für Gesundheit gibt da Entwarnung. Auf dessen Website heißt es zum Thema Arzneimittel-Entsorgung: „Die [...] Medikamentenreste stellen bei der Deponierung keine Gefahr für das Grundwasser dar. Aufwendige Deponieabdichtungssysteme und Sickerwassererfassungen sorgen dafür, dass Schadstoffe aufgehalten werden und nicht ins Grundwasser gelangen.“
Das Umweltbundesamt weist darauf hin, Medikamente nicht in der Toilette zu entsorgen. Hierbei könnten tatsächlich Wirkstoffe ins Wasser gelangen, da es in den Kläranlagen nicht möglich sei, alle Substanzen zu filtern.
Wer ein schlechtes Gefühl dabei hat, alte Medikamente in den Hausmüll zu geben, kann sie aber auch weiterhin bei den meisten Apotheken abgeben, sagt Thomas Metz vom Bayerischen Apothekerverband: „Laut unserer jüngsten Umfrage unter unseren Mitgliedern nehmen 75 Prozent noch immer alte Medikamente zur Entsorgung an.“ Für die Apotheken sei dies mit einem gewissen Aufwand verbunden. „Da können Müllsäcke voll anfallen“, betont Metz.
Was in der Mülltonne landet, fasst danach niemand mehr an
Sogar Spritzen dürfen in den normalen Abfall. Dieter Braun von der Augsburger Abfallverwertung rät dazu, Spritzen zum eigenen Schutz in einem stichfesten Behälter wegzuwerfen, auf jeden Fall aber die Plastikschutzkappe wieder auf die Nadel zu stecken. Man könne sie auch in Zeitungspapier gewickelt „tarnen“. Dadurch sinke die Gefahr, dass spielende Kinder die Spritzen aus den Mülltonnen ziehen. Auf jeden Fall sollten die Beutel zugeknotet werden.
Diese Vorsichtsmaßnahmen dienen zum Schutz des Bürgers, der mit dem Beutel hantiert, und zum Schutz von Kindern und Tieren, die möglicherweise an den Müll gelangen, betont Braun. „Alles, was in den Hausmüll gelangt, fasst ab dem Zeitpunkt der Abholung niemand mehr an.“ Der Unrat werde danach nur noch maschinell angefasst, etwa mit einem großen Metallgreifer.
Selbst Medikamente, die noch haltbar wären, dürfen gemäß Arzneimittelrecht nicht zurückgenommen werden, sagt Apotheker-Sprecher Metz. Das passiere nur zum Schutz des Verbrauchers. „Man weiß ja nie, was damit beim Bürger passiert ist, ob eine Packung Tabletten zum Beispiel tagelang bei Hitze im Handschuhfach eines Autos lag oder einmal in den Schmutz fiel“, erklärt Metz. Solche Arzneimittel wolle dann gewiss niemand mehr haben.
Klessmann kann der neuen Regelung dennoch nichts Positives abgewinnen. „Für die Grundeinstellung des Menschen ist das schlecht, diese werden dadurch nur schneller dazu verleitet, sich rücksichtslos zu verhalten.“