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Europäische Zentralbank: Was will Mario Draghi eigentlich?

Europäische Zentralbank

Was will Mario Draghi eigentlich?

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    Was macht Draghi? Der Zentralbank-Chef steht derzeit unter genauer Beobachtung.
    Was macht Draghi? Der Zentralbank-Chef steht derzeit unter genauer Beobachtung. Foto: Arne Dedert, dpa

    Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank, erzeugt derzeit Irritationen. Höhepunkt dürfte gewesen sein, dass kürzlich Kanzlerin Angela Merkel zum Telefon griff und Draghi anrief. Sie wollte wissen, ob Europas oberster Notenbanker den Sparkurs im Euro-Raum noch mitträgt. Draghi hatte Ende August in einer Rede in Jackson Hole, USA, ein großes öffentliches Investitionsprogramm in Europa gefordert. Was also will Draghi? Mit Spannung wird die heutige Sitzung der Europäischen Zentralbank erwartet.

    An den Börsen setzen Händler darauf, dass Draghi die Geldschleusen weiter öffnet und Näheres zu einem Kaufprogramm für Anleihen sagt. Doch Experten haben Zweifel an der Wirksamkeit. Die wichtigsten Punkte im Überblick:

    Warum ist Draghi so aktiv? Was treibt ihn um?

    Die Wirtschaftskrise in Südeuropa ist nicht überwunden. Die Arbeitslosigkeit dort ist nach wie vor hoch. Draghi warnte in Jackson Hole davor, dass sich die konjunkturelle Arbeitslosigkeit in der Euro-Zone auf Dauer verfestigen könnte. Das würde Stillstand auf Jahre bedeuten.

    Ist zu erwarten, dass Draghi heute ein breit angelegtes Anleihekauf-Programm bekannt gibt und noch mehr Geld in den Markt pumpt?

    Der Volkswirt Jan Holthusen, Leiter des Bereichs Anleiheanalyse bei der DZ-Bank in Frankfurt, erwartet, dass sich Draghi zumindest zu einem Kaufprogramm für bestimmte Wertpapiere (asset backed securities; ABS) äußert. Dies sind keine Staatsanleihen, sondern private Papiere, die beispielsweise durch Hypotheken oder Forderungen aus Konsumentenkrediten abgesichert sind. Das Programm könnte ein Volumen von 60 bis 100 Milliarden Euro haben – das sei viel für diesen speziellen Wertpapiermarkt, nicht aber für die Bilanzsumme der Zentralbank, sagt Holthusen. Draghi hatte bereits in Jackson Hole angekündigt, dass die Vorbereitungen der EZB für den Kauf dieser Papiere „schnell voranschreiten“. Die Pläne liegen also in der Schublade. Ob Draghi diese heute schon aufmacht, ist offen. „Das Programm ist nichts Neues, Draghi könnte nun aber deutlich machen, wie es ausgestaltet wird – und was die Details sind“, sagt Holthusen. Dass Draghi eine Entscheidung zu noch größeren, breit angelegten Anleihekäufen bekannt gibt, glaubt der Experte nicht.

    Wie sicher sind diese Anleihen, um die es hier geht? Würde sich die EZB nicht faule Eier ins Haus holen?

    Papiere dieser Art sind durch die Lehman-Krise 2008 bekannt geworden, sagt Holthusen. Es gibt sie in unterschiedlicher Bonität und Komplexität. Die Zentralbank würde wohl nur sichere, einfache und transparente Papiere kaufen – und nicht Papiere, wie man sie aus der Lehman-Pleite kenne.

    Was wäre der Sinn eines Kaufprogramms für Anleihen?

    Das Problem sei, dass in Südeuropa die Kreditvergabe der Banken im Keller angelangt sei, erklärt Holthusen. Das schade der Konjunktur dort. „Die EZB versucht deshalb, Spielraum für eine neue Kreditvergabe bei den Banken zu schaffen.“ Würde die EZB den Instituten bestehende Papiere abkaufen, hätten diese, so das Kalkül, Raum für die Vergabe neuer Kredite.

    Hätte solch ein Anleihekaufprogramm eine Aussicht auf Erfolg?

    Holthusen ist skeptisch. „Die Frage ist, ob die Banken dann wirklich neue Kredite vergeben.“ Derzeit seien die Banken in Südeuropa geneigt, sich keine neuen Risiken an Bord zu holen. Die Banken-Stresstests der EU setzen sie schon unter Druck. Den Banken fehle es an Eigenkapital, nicht aber an Liquidität.

    Könnte das diskutierte Anleihe-Programm der Einstieg zum Kauf von Staatsanleihen durch die EZB in großem Maßstab sein? Also eine Einladung zum Schuldenmachen?

    Diese Möglichkeit besteht, sagt Holthusen. Er geht aber davon aus, dass die EZB dann aber nicht gezielt Anleihen der Krisenstaaten kaufen würde, sondern Anleihen aller Euro-Länder nach einem bestimmten Schlüssel – auch Bundesanleihen. Das Ziel wäre, die Geldschleusen noch weiter zu öffnen und den Zins in der Euro-Zone noch weiter zu drücken. „Ich bin aber sehr, sehr skeptisch, dass die EZB damit erreichen könnte, was sie will, nämlich die Kreditvergabe in Südeuropa anzukurbeln“, sagt Holthusen. Für ihn sind die Spielräume der EZB, mit ihrer Geldpolitik Einfluss zu nehmen, fast ausgeschöpft.

    Wenn die Bank neues Geld in den Markt pumpt, steigt damit nicht die Inflationsgefahr?

    Der Volkswirt erwartet nicht, dass die geplanten Programme unter den derzeitigen Umständen die Inflation in die Höhe treiben. Allenfalls könnte ein groß angelegtes Programm im Volumen „von einer Billion Euro oder einem hohen dreistelligen Milliardenbetrag“ die Erwartungen dämpfen, dass die Inflation noch weiter sinkt, meint Holthusen. Ein drohender Preisverfall – eine Deflation – sei nämlich ein Thema, das der EZB Sorgen mache.

    Was braucht Europa, damit die Wirtschaft im Süden wieder in Schwung kommt?

    Holthusen fordert vor allem eines: Geduld. „Man muss die Strukturreformen in den Ländern wirken lassen.“ Hier geht es um den Arbeitsmarkt, die Bekämpfung der Korruption, den Abbau der Bürokratie. Irland oder Spanien versuchen bereits erfolgreich, ihre Wirtschaft auf Vordermann zu bringen. „In Spanien geht es langsam aufwärts“, sagt Holthusen. In Frankreich und Italien liege aber noch vieles im Argen. „Wenn der Weg nicht in einer Transferunion enden soll, führt an Reformen kein Weg vorbei.“

    Was könnte Deutschland für die Konjunktur in Europa tun?

    Die Europäische Zentralbank

    Die Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt ist die Notenbank für die gemeinsame europäische Währung, den Euro.

    Sie soll vor allem Preisstabilität im gemeinsamen Währungsgebiet der 17 Eurostaaten wahren.

    Zudem soll sie auch die Wirtschaftspolitik unterstützen, soweit das Ziel der Preisstabilität nicht beeinträchtigt wird.

    Um die Inflation im Zaum zu halten, legt die EZB Leitzinsen fest. Über die Zinsen entscheidet der Zentralbankrat.

    Ihm gehören neben den sechs Direktoriumsmitgliedern der EZB auch die Präsidenten der 17 nationalen Zentralbanken an.

    EZB-Präsident ist seit November 2011 der Italiener Mario Draghi. dpa

    Starke Länder wie Deutschland könnten durch öffentliche Investitionen die Konjunktur ankurbeln, meint Finanzexperte Holthusen. „In Deutschland gibt es einen Rückstau bei öffentlichen Investitionen, beispielsweise bei Autobahnen oder dem Breitband-Ausbau.“ Dies müsste aber ohne neue Schulden geschehen: „Ich warne davor, die Lehren aus der Finanzkrise in Frage zu stellen.“ Holthusen kann sich zwar vorstellen, dass EZB-Chef Draghi bereit ist, eine höhere Verschuldung der Staaten in Kauf zu nehmen, um Zeit für Reformen zu schaffen. „Das ist aber gefährlich, man macht dann gerne das eine, vergisst aber das andere: man lässt höhere Schulden zu, vergisst aber die Reformen.“

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