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Bangladesch: Unternehmer: "Sklavenarbeit in Textilfabriken"

Bangladesch

Unternehmer: "Sklavenarbeit in Textilfabriken"

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    Ein Bild einer verzweifelten Mutter, deren Sohn in der eingestürzten Textilfabrik in Bangladesch gearbeitet hat und vermisst wird.
    Ein Bild einer verzweifelten Mutter, deren Sohn in der eingestürzten Textilfabrik in Bangladesch gearbeitet hat und vermisst wird. Foto: Abir Abdullah, dpa

    Mehr als 1100 Tote und fast 2500 Verletzte – das ist die Bilanz des Fabrikeinsturzes in einem Vorort von Dhaka vor vier Wochen. Das Unglück in Bangladesch gehört zu den schlimmsten Industrieunfällen der Welt. Es hat die Verbraucher aufhorchen lassen und das Land, den zweitgrößten Textilexporteur weltweit, in den Mittelpunkt gerückt.

    Rund 60 Prozent der in Bangladesch hergestellten Textilien gehen nach Europa. Aufgrund des großen öffentlichen Drucks haben führende Handelskonzerne der Bekleidungsbranche inzwischen ein Abkommen unterzeichnet, das bessere Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferbetrieben garantieren soll – darunter Aldi, Lidl, Kik, Tchibo, Esprit, H&M, C&A und Benetton.

    Doch was bedeuten bessere Arbeitsbedingungen? Wir sprachen über die harte Arbeit der Textilarbeiterinnen von Bangladesch mit dem Landsberger Unternehmer Günter Veit, der die Fabriken in Bangladesch kennt. Das Familienunternehmen stellt Bügelgeräte für die Textilindustrie her und beliefert seit zehn Jahren auch Bekleidungshersteller in Bangladesch.

    Herr Veit, wie viele Textilfabriken gibt es in Bangladesch?

    Veit: Etwa 5000. Die Hälfte davon arbeitet offiziell für westliche Firmen – und denen wird bei der derzeitigen Diskussion auch ein bisschen unrecht getan. Denn die werden von ihren direkten Auftraggebern regelmäßig überprüft. Es gibt viele sehr gute Betriebe mit hohen Standards, die ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden. Es gibt viele Organisationen, die das überwachen – und entsprechende Urkunden, Siegel oder Stempel verteilen, die dann dekorativ in den Eingangshallen hängen. Zum Teil haben diese Firmen sogar völlig übertriebene Sozialstandards – wenn zum Beispiel die amerikanische Toilettenkultur in dem asiatischen Land, das eine ganz andere Kultur hat, eingehalten werden muss.

    Und die anderen 2500 Unternehmen?

    Veit: Die sind das Problem, denn die werden von niemandem kontrolliert. Diese Fabriken sind Zulieferer für die guten Firmen, die zum Teil viel mehr Aufträge annehmen, als sie Kapazitäten haben, um mehr zu verdienen. Sie geben die Arbeit dann als Unteraufträge weiter, an „Verlängerte Werkbänke“, die mit minimalsten Mitteln und unter Ausbeutung ihrer Mitarbeiter produzieren. Die eingestürzte Fabrik gehörte zu diesen Billigunternehmen, die jetzt den gesamten Textilbereich in Bangladesch in Verruf bringen.

    Ist das die gängige Praxis?

    Veit: Ja – verursacht durch den extremen Preisdruck. Dafür tragen alle westlichen Länder die Schuld, auch Deutschland. Denken Sie einmal zurück, was Kleidung vor 20 Jahren gekostet hat. Die ist über die Jahre nicht teurer geworden. Im Gegenteil: T-Shirts kosten heute sehr viel weniger.

    Wie sind denn nun die Arbeitsbedingungen in einer Textilfabrik in Bangladesch ganz konkret?

    Die Textilindustrie in Bangladesch

    Kleidung ist Bangladeschs Hauptexportgut. 79 Prozent der Ausfuhren sind Textilien, die vor allem nach Europa und in die USA geliefert werden. «Made in Bangladesh» steht auch auf zahlreichen T-Shirts, Hemden, Blusen und Unterwäsche, die es in Deutschland zu kaufen gibt. Das südostasiatische Land war 2011 der viertgrößte Lieferant von Textilien für die Bundesrepublik.

    Obwohl Bangladesch in den vergangenen zwei Jahrzehnten Fortschritte gemacht hat, ist es noch immer ein Entwicklungsland. Fast ein Drittel der 164 Millionen Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze von 1,25 US-Dollar. Viele Menschen sind unterernährt.

    Die niedrigen Lohnkosten in Bangladesch haben dazu geführt, dass viele Unternehmen in den vergangenen Jahren das Land als Produktionsstandort für Textilien entdeckten. Derzeit gibt es mindestens 5000 Textilfabriken mit mehreren Millionen Beschäftigten, die meisten davon junge Frauen.

    Die Arbeits- und Sozialstandards werden von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) immer wieder kritisiert. So würden keine Frauen über 30 in den Fabriken beschäftigt, da sie die 13- bis 16-Stunden-Schichten nicht schafften. Gewerkschaften würden nur selten toleriert. Außerdem gebe es kaum Kontrollen, sodass der Arbeitsschutz nicht gewährleistet sei.

    Veit: Es ist ganz typisch für Bangladesch, dass die Fabriken in schmalen, hohen Häusern untergebracht sind – oft mit zehn Stockwerken oder mehr. Die Treppenaufgänge sind sehr eng, meist noch mit Kartons voller Stoffe und Materialien zugestellt. Schon die Arbeit in den guten Betrieben grenzt aus unserer Sicht an Sklavenarbeit. Es ist heiß in den Nähstuben, oft 40 Grad und mehr, dazu kommt eine extrem hohe Luftfeuchtigkeit. Klimaanlagen gibt es nicht. Wenn ich dort bin, bin ich innerhalb einer halben Stunde völlig durchgeschwitzt. Dazu kommt unglaublicher Lärm. Die Näherinnen sitzen auf einfachen Plastikschemeln oder harten Holzbänken. Es ist wirklich hart, dort zu arbeiten.

    Und die Arbeitszeiten?

    Veit: Interessanterweise möchten die Arbeiterinnen meist sehr viel mehr und länger arbeiten, um mehr Geld zu verdienen. Sie beschweren sich eher, wenn eine Fabrik zu wenig Überstunden macht. Geld verdienen ist für sie wichtiger als Freizeit.

    Was verdient eine Näherin im Monat?

    Veit: Der Mindestlohn liegt bei etwa 30 Euro im Monat. Und wem die Bedingungen nicht passen, der kann gehen. Denn es gibt immer noch genügend Arbeitskräfte in Bangladesch. Dort werden die Mitarbeiter nur als Hände gesehen und nicht, wie bei uns, auch als Menschen.

    Was können Verbraucher in Deutschland tun, um diese schlimmen Arbeitsbedingungen zu verbessern?

    Veit: Die Deutschen, das muss einmal gesagt werden, sind nicht die Schlimmsten. Denn der deutsche Verbraucher will nicht, dass Menschen ausgebeutet werden. Der hat einen anderen ethischen Anspruch als der Inder. Indische Firmen lassen im großen Stil in Bangladesch produzieren. Und die kümmern sich überhaupt nicht um soziale Standards.

    Was also tun?

    Veit: Nicht das Billigste vom Billigen kaufen. Denn Sie können davon ausgehen, dass die billigsten T-Shirts in Sklavenarbeit und unter Missachtung aller Umweltauflagen hergestellt worden sind. Und dazu bewusster konsumieren. Sprich: lieber ein T-Shirt weniger kaufen, dafür aber bessere und teurere.

    Heißt teuer gleich ethisch korrekt?

    Veit: Nein. Auch da können Sie nicht sicher sein. Denn bei den teuren Edelmarken-Herstellern zahlen Sie für die Ware und den Namen. Trotzdem geben bessere Marken grundsätzlich mehr Geld aus, um mit Betrieben zu arbeiten, die soziale Standards erfüllen. Mein Tipp: Bei einer mittleren Preisklasse renommierter Firmen liegt man ethisch richtig. Also bei deutschen Firmen, von denen man weiß, dass es nicht die allerbilligsten der billigsten sind.

    Warum organisieren Sie jetzt ein Hilfsprojekt für die betroffenen Familien des Fabrikeinsturzes in Bangladesch?

    Veit: Für unsere Firma war Bangladesch in den vergangenen vier Jahren der beste Absatzmarkt in Asien. Wir haben davon profitiert, deshalb möchten wir jetzt etwas zurückgeben. Zusammen mit Humedica wollen wir für die am schlimmsten betroffenen Familien die Krankenhausrechnungen bezahlen. Wir geben kein Bargeld oder Hilfsgüter, sondern zahlen einfach die Rechnungen, die viele nicht tragen können. Ich denke, jeder sollte sich überlegen, wie viel Geld er dadurch gespart hat, dass er billig produzierte Textilien einkaufen konnte. Dann geben wir den Menschen in Bangladesch doch nur das Geld, das ihnen eigentlich zusteht.

    Interview: Andrea Kümpfbeck

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