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Interview: Theo Waigel - der Korruptions-Kontrolleur tritt ab

Interview

Theo Waigel - der Korruptions-Kontrolleur tritt ab

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    Dr. Theo Waigel im Gespräch über Korruption und seine Tätigkeit bei Siemens.
    Dr. Theo Waigel im Gespräch über Korruption und seine Tätigkeit bei Siemens. Foto: Ulrich Wagner

    Es gibt ein Leben nach der Politiker-Karriere: Theo Waigel war neuneinhalb Jahre Bundesfinanzminister und gut zehn Jahre CSU-Chef. Bis heute arbeitet der 73-Jährige als Jurist. Für Siemens war Waigel vier Jahre ein besonders wichtiger Mitarbeiter, hat er dem Konzern doch geholfen, die Korruptionsaffäre zu überwinden. Diese Tätigkeit ist nun vorbei. In einem Gespräch zieht er Bilanz.

    Herr Waigel, Sie haben als Compliance Monitor für Siemens gearbeitet. Wie lässt sich der Begriff eindeutschen? Waren Sie eine Art Korruptions-Sheriff, Oberaufpasser oder Bewährungshelfer für den Konzern?

    Waigel:Damit sind alleVersuche aufgezählt, den Begriff den Menschen verständlich zu machen. Letztlich entspringt der Begriff dem amerikanischen Recht. Danach beobachtet ein Monitor, ob Compliance, also die Einhaltung der Gesetze gegen Korruption und Bestechung, funktioniert. Als Monitor habe ich Siemens Empfehlungen gegeben und mit meinem Team überprüft, ob der Konzern sich daran hält. Dabei habe ich mir genau angehört, ob der „Tone from the Top“ stimmt.

    Auf gut Deutsch: Sie haben darauf geachtet, welchen Tonfall Siemens-Chef Löscher wählt, wenn er über das Thema „Korruption“ spricht und wie diese Botschaften im Konzern von anderen Führungskräften aufgegriffen werden.

    Waigel: Meine Aufgabe war es, zu überprüfen, ob diese gegen Korruption gerichteten Botschaften zum einen Ohr rein- und zum anderen Ohr rausgehen oder ein wirklicher Kulturwandel stattgefunden hat. Löscher hat diesen Kulturwandel mit seinem ganz starken Satz: „Only clean business is Siemens business – everywhere“ vorgelebt.

    Die Parole des Siemens-Chefs lautet also: Nur saubere Geschäfte sind Siemens-Geschäfte. Ist die Botschaft auch angekommen?

    Waigel: Unlängst war ich in Sankt Petersburg und habe mit jungen russischen Siemens-Mitarbeitern diskutiert. Da sagte eine junge Frau zu mir, sie finde es großartig, bei Siemens zu arbeiten. In einem schwierigen Land mit reichlich Korruption sei Siemens ein safe haven.

    Ein Zufluchtsort in einem Land, das auf der Liste der korruptesten Staaten der Organisation Transparency International sehr schlecht abschneidet.

    Waigel: In Sankt Petersburg wusste ich, dass sich unsere Arbeit gelohnt hat, eben, dass sich die Kultur bei Siemens fundamental geändert hat. Die junge Frau sage Kunden offen, bei Siemens gebe es keine Korruption – und zwar nicht nur, weil sie das ablehne, sondern die ganze Firma dagegen sei. Generell habe ich beobachtet, dass die Compliance Officer von Siemens, also die Korruptionsbekämpfer, selbstbewusster geworden sind und wissen, dass dieser Beruf keine Endstation ist, sondern sie weiter Karriere machen können. Früher hat man schon mal Leute zum Compliance Officer ernannt, die man anderweitig nicht mehr brauchen konnte.

    Doch die neue Siemens-Moralwelt bekommt immer wieder Risse. Konzern-Manager haben 2011 in Kuwait versucht, mit 1,25 Millionen Euro aus schwarzen Kassen die Motivation des Energieministers zu erhöhen, Siemens einen Auftrag zu geben. So sauber ist die Konzern-Welt dann doch nicht.

    Waigel: Die Vorgänge dort haben mich geärgert. Das Beispiel zeigt aber eindrucksvoll, wie gut die Korruptionsbekämpfung bei Siemens funktioniert. Als Siemens Kenntnis über das Vorgehen der Manager in Kuwait erlangte, wurden die Männer sofort entlassen und die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Ich wurde unverzüglich benachrichtigt. Es floss kein Geld. Siemens verzichtete auf eine Verlängerung des Angebots mit einem Volumen von rund 174 Millionen Euro und schied aus dem Vergabeverfahren aus. Zur Zahlung des Schmiergeldes an den Minister kam es nicht.

    Wie kam dieser Vorfall in den USA an? Siemens steht hier unter besonders hohem Druck, weil das Unternehmen auch dort an der Börse notiert ist und den extrem strengen Korruptionsrichtlinien der Börsenaufsicht unterliegt.

    Waigel: Nach Bekanntwerden des Kuwait-Falls bin ich in die USA gereist. Die Verantwortlichen waren nicht überrascht, dass in einem Konzern mit rund 400000 Mitarbeitern eine solche Verfehlung vorkommt. Repräsentanten der US-Börsenaufsicht lobten das konsequente Vorgehen der Siemens-Spitze in dem Fall. Das Korruptions-Kontrollsystem funktioniert. Unsere Arbeit war erfolgreich. Dabei musste Siemens für mich als Monitor nur vergleichbar bescheidene Beträge aufwenden. Ich sag es mal ironisch: Das bin ich wirklich wert.

    Manche Siemens-Kunden haben das Gefühl, dass ihnen der Konzern nicht mehr die gleiche Wertschätzung wie früher zukommen lässt...

    Waigel: Da gab es einen Fall von rund 80 Angehörigen eines weit entfernten Landes, die am Flughafen in Nürnberg standen und auf Siemenskosten noch zwei Tage in das Disneyland nach Paris fliegen wollten. Siemens hat das Ansinnen zurückgewiesen und den Auftrag in dem fernen Land dennoch bekommen.

    Welches Land war das?

    Waigel: Das sage ich nicht. Aber eines will ich betonen: Überall dort, wo Siemens sich der Korruption verweigert hat, ist das Unternehmen nicht aus dem Markt geworfen worden. Aus einigen Regionen der Welt, die ich nicht näher nennen will, hat sich der Konzern jedoch zurückgezogen, weil die Mitarbeiter nicht in solchen aus Korruptionsgesichtspunkten gefahrgeneigten Gebieten arbeiten sollen. 2010 und 2011 waren sehr gute Jahre für das Unternehmen. Siemens hatte den US-Konkurrenten General Electric abgehängt. Man kann auch ohne Korruption gutes Geld verdienen.

    Das sieht der mittelständische Rohrleitungsbauer Eginhard Vietz anders. Dem Handelsblatt vertraute er an, mehr als einmal Schmiergeld bezahlt zu haben. In Ländern wie Algerien, Ägypten, Nigeria oder Russland komme man ohne solche Zahlungen nicht durch. Der Kampf gegen Korruption sei für ihn Heuchelei. Können sich nur Riesen wie Siemens den Verzicht auf Bestechung leisten?

    Waigel: Diese Äußerungen haben mich sehr geärgert, zumal ich erfahren habe, dass dieser Herr im Schlepptau deutscher Regierungsdelegationen ins Ausland gereist ist. Ich habe der Kanzlerin daraufhin einen Brief geschrieben und meine Empörung zum Ausdruck gebracht. Das hat Wirkung gezeigt. Auch Mittelständler können sich gegen Korruption wehren.

    Mit 73 könnten Sie sich nach der Auseinandersetzung mit diffizilen Themen wie Haushaltspolitik, CSU, Euro und Korruption in den Ruhestand zurückziehen. Lassen Sie es ruhiger angehen?

    Waigel: Etwas schon. Ich bleibe aber Anwalt und habe eine neue spannende Aufgabe aus der Wirtschaft übertragen bekommen. Es geht um das Reizthema Banker-Boni, also Extra-Vergütungen. Mich haben die Chefs der Deutschen Bank in eine Kommission berufen, die ein neues Vergütungssystem für das Management erarbeiten soll. Ich scheine eine Vorliebe für heikle Themen zu haben.

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