Eigentlich sehen sie ganz gut aus, die Äpfel, die gleich am Eingang des Supermarkts angeboten werden. Große Früchte, Sorte Boskop. Nur wer genau hinschaut, erkennt ein paar gräuliche Stellen an der Schale. Oder kleine Dellen, die von einem Hagelschauer stammen könnten. Auch die Karotten, die in Ein-Kilo-Säcken angeboten werden, weisen kleine Schönheitsfehler auf. Ein paar sind krumm, andere abgebrochen.
Normalerweise würden solche Produkte gar nicht im Netto-Markt landen, sagt Christina Stylianou, Sprecherin des Lebensmittel-Discounters. Weil der Handel nur Ware akzeptiert, die der vorgegebenen Norm entspricht. Und weil der Kunde makelloses Obst und Gemüse erwartet.
Obst und Gemüse mit optischen Mängeln ist deutlich billiger
In diesen Tagen aber macht Netto eine Ausnahme. Aus Testzwecken. In 500 süddeutschen Märkten bietet das Unternehmen derzeit Äpfel und Karotten mit optischen Mängeln an. Wer diese in Kauf nimmt, kann ordentlich sparen. 2,19 Euro kostet der Zwei-Kilo-Sack Äpfel – fast so viel, wie für ein Kilo der Sorte Gala fällig wird. Die Bruchkarotten sind ein Viertel günstiger als herkömmliche Ware. Qualitativ und geschmacklich, betont man bei Netto, gibt es ohnehin keinen Unterschied zu den Standard-Produkten.
"Geschmack probieren statt aussortieren"
Auch deshalb steht der Slogan „Geschmack probieren statt aussortieren“ auf den Produkten. Allein steht Netto damit nicht. Auch der Mutterkonzern Edeka hat in diesen Tagen das Thema Nachhaltigkeit für sich entdeckt – und wirbt mit dem Spruch „Keiner ist perfekt“ für krumme Gurken, unförmige Kartoffeln und dreibeinige Karotten. In Augsburg, Ingolstadt und Kelheim testet die Supermarktkette derzeit, ob diese Ware wie Blei in den Regalen liegt – oder sich tatsächlich verkaufen lässt. Parallel dazu werden Kunden befragt. Auch die Handelskette Rewe wagt sich in Österreich an den Verkauf von „Wunderlingen“: Obst und Gemüse, das zwar in Geschmack und Qualität einwandfrei ist, aber anders aussieht als gewohnt.
Kunden greifer eher zum schöneren Apfel
Verbraucherschützer loben die Aktionen der Handelskonzerne, mit denen sie nebenbei auch ihr Image aufpolieren. Glaubt man aktuellen Umfragen, müsste das Konzept auch bei Kunden ankommen. Wie das Meinungsforschungsinstitut YouGov ermittelt hat, können sich 84 Prozent der Deutschen vorstellen, zu solcher B-Ware zu greifen. Die Supermarktketten halten sich derweil mit Zahlen zurück.
Edeka-Sprecher Alexander Hippach sagt: „Letztlich entscheidet der Verbraucher darüber, ob solche Produkte mit Schönheitsfehlern in die Läden kommen.“ In der Regel wähle er aber die Ware, die am schönsten aussieht. „99 Prozent nehmen den schöneren Apfel“, sagt Hippach. „Das haben wir so gelernt.“
Etwa 20 bis 40 Prozent der Obst- und Gemüseernte schaffen es europaweit nicht in den Handel – weil die Ware nicht den Ansprüchen der Verbraucher genügt. Knubbeliges Gemüse bleibt dann auf den Feldern liegen, fleckige Äpfel müssen zu Saft verarbeitet werden. Andere Erzeugnisse, die nicht der Norm entsprechen, werden industriell verarbeitet und verfüttert. Und vieles wird einfach weggeworfen.