Deutschland ist wieder einmal der Musterschüler. Während sich die Bundesbürger an den Zapfsäulen über das seltsame Gemisch namens E10 ärgern, herrscht im übrigen Europa die übliche Gelassenheit. Dabei sollten eigentlich alle 27 Mitgliedstaaten schon Ende vergangenen Jahres an ihren Tankstellen Bio-Sprit verkaufen. Doch davon ist weit und breit nichts zu sehen.
Gereizte Atmosphäre zwischen Brüssel und den EU-Ländern
Außer Frankreich hat kein anderes EU-Land den Ethanol-Anteil am Benzin auf zehn Prozent erhöht. Ein offener Vertragsbruch, gibt man in Brüssel nur hinter vorgehaltener Hand zu, um die ohnehin gereizte Atmosphäre, die zwischen den Regierungshauptstädten und der Gemeinschaftszentrale herrscht, nicht noch zusätzlich zu belasten.
Dass den Autofahrern aus der Bundesrepublik in spätestens vier Wochen auf der Fahrt in den Osterurlaub die nächste Verwirrung bevorsteht, ahnt man bei der Kommission. Denn selbst zwischen deutschem und französischem E10-Kraftstoff scheint es technische Unterschiede zu geben. Anders sind die zurückhaltenden Herstellerangaben nicht zu verstehen: Wer in der Bundesrepublik das neue Gemisch tanken kann, sollte das im EU-Ausland tunlichst unterlassen, rät auch der ADAC.
So langsam kocht die Wut hoch und manch einer fragt sich, wie diese Sache eigentlich zustande kam. Die Idee stammt aus der Kommission. Am 31. Januar 2007 legte sie ein umfangreiches Klimaschutzpaket vor, in dem die Idee erstmals vorgeschlagen wurde. Deutschland hatte gerade die Ratspräsidentschaft übernommen und Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte das traditionelle Frühjahrstreffen der Staats- und Regierungschefs zu einem Meilenstein im Kampf gegen die Klimakatastrophe machen. Das gelang: Man einigte sich auf ehrgeizige Ziele, darunter auch die Reduzierung der CO2-Emissionen um 20 Prozent. Zu den wenigen konkreten Ergebnissen gehörten schon damals das Verbot der Glühbirne und die Erhöhung des Ethanol-Anteils im Benzin von fünf auf zehn Prozent.
Im allgemeinen Jubelchor über die Weltführerschaft der EU in Sachen Schutz der Atmosphäre gingen die umstrittenen Details unter. Dabei hielt die Kommission in ihrem kurz darauf vorgelegten Papier fest, dass die allgemeinen Ziele auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können und daher besser auf der Gemeinschaftsebene realisiert werden sollten. Mit anderen Worten: Brüssel konnte diktieren, wer was im Tank hat. Das Gesetzespaket durchlief dann die üblichen parlamentarischen Verfahren. Am 23. April 2009 wurde die Richtlinie 2009/30/EG in Kraft gesetzt.
Zwei Jahre lang hoben also die Vertreter Deutschlands in den zuständigen Ministerräten und im Europäischen Parlament die Hand für jene Leitlinien, die nun den Autofahrern Ärger bereiten. Dabei musste Brüssel schon auf dem Weg zu E10 erste Korrekturen vornehmen.
Schnell tauchte die Frage auf, ob es moralisch vertretbar ist, dass Europa in aller Welt Lebensmittel und Anbauflächen aufkauft, um Auto fahren zu können. Zumal sich auch heimische Landwirte zügig umstellten, um statt geringer Erträge für ihre bisherige Produktion lieber Biosprit-Pflanzen anzubauen, die höher gefördert wurden. Wie lange sich die Kommission den Krach seines Musterschülers Deutschland um den E10-Sprit noch ansieht, ist offen.