Bruno H., 53, hat eigentlich alles, was ein Mann sich vom Leben erträumt. Eine schöne junge Frau an seiner Seite, eine Villa in Utting am Ammersee, auf deren Grundstück er sich gerade für 100.000 Euro ein Schwimmbad hat bauen lassen. Der frühere Abteilungsleiter bei Hertie in München hat es, seit er 1989 zu Media Markt wechselte, weit gebracht. H. ist im Management von Europas größter Elektronikmarktkette zum Regionalmanager für Süddeutschland aufgestiegen – Jahresgehalt 600.000 Euro.
Und dennoch ist der 53-Jährige an diesem 12. Juli 2011 merkwürdig nervös, als ein Polizist seinen Wagen stoppt. Er ist beobachtet worden, wie er mit dem Handy telefoniert. Ahnt er, dass es so nicht mehr lange weitergeht? Nur einen Tag später werden 160 Polizisten bundesweit Privathäuser, Wohnungen sowie Geschäftsräume von Media Märkten durchsuchen. Auch die Konzernzentrale in Ingolstadt.
40.000 Euro Schmiergeld hinter dem Fahrersitz versteckt
Nach dem unfreiwilligen Zwischenstopp berichtet Bruno H. aufgeregt seiner Frau am Telefon, was ihm gerade widerfahren ist. Er sei mit den „Unterlagen“ gerade auf dem Weg zu Michael Rook gewesen – zu dem Zeitpunkt noch Deutschlandchef des Konzerns. Und als seine Frau nicht sofort begreift, wiederholt ihr Mann: „Du weißt, was ich mein’ mit Unterlagen.“ Tatsächlich hat der 53-Jährige, wie er drei Monate später nach seiner Verhaftung gesteht, hinter dem Fahrersitz 40.000 Euro versteckt gehabt. Schmiergeld. Die Vorsicht, die er bei dem Telefonat walten ließ, war angebracht. Über eine Fangschaltung hörte die Polizei mit.
Geldübergabe auf dem stillen Örtchen
Manches, was vor dem Augsburger Landgericht seit dem 6. Juni zur Sprache kommt, erinnert an einen schlechten Ganovenfilm. Einer der sechs Angeklagten schildert höchst anschaulich, wie er als Geldbote, begleitet von einem Firmenmanager, am Münchner Flughafen verzweifelt nach einem ruhigen Ort gesucht hat. Am Ende ist es ein Pissoir, in dem er diskret den Geldumschlag übergibt. Inhalt: 80 000 Euro. Eine andere Geldübergabe soll in einem Berliner Freiluftcafé stattgefunden haben. Empfänger und Geldkurier hatten sich in Decken eingehüllt – nicht nur, weil es kalt war. Als der Angeklagte dies beschreibt, können sich der Vorsitzende Richter Wolfgang Natale und die beiden jungen Richterinnen neben ihm ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Das sind Media Markt und Saturn
1961 eröffnet das Unternehmerpaar Friedrich Wilhelm und Anni Waffenschmidt die Saturn Electro-Handels GmbH & Co. KGin Köln.
Ab 1972 konzentriert sich Saturn neben dem Verkauf von Elektrogeräten vor allem auf den Handel mit Schallplatten. Bis zu 60.000 LPs und Singles werden pro Tag verkauft.
Das Unternehmen Media Markt wird 1979 von Leopold Stiefel, Erich und Helga Kellerhals sowie Walter Gunz gegründet.
Der erste Media Markt öffnet damals in München.
Zum Jahresende 1987 gibt es in Deutschland zehn Media Märkte mit einem Netto-Gesamtumsatz von umgerechnet 91 Millionen Euro.
Ein Jahr später, 1988, beteiligte sich Kaufhof mehrheitlich an der Holding der Media Märkte.
1990 und 1993 erwirbt die spätere Media-Saturn-Holding GmbH die Saturn-Häuser. Man beschließt, die Marken Media Markt und Saturn parallel und im Wettbewerb zu betreiben.
Im Jahr 2002 startet Saturn die Kampagne „Geiz ist geil!“ - was in den Folgejahren zum geflügelten Wort wird.
2008 eröffnet Saturn in Frankreich den weltweit 200. Markt.
Heute sind Media Markt und Saturn an über 850 Standorten in 16 Ländern Europas und Asiens vertreten und haben 2010 rund 20,8 Milliarden Euro Umsatz erzielt.
Die Unternehmensgruppe beschäftigt derzeit mehr als 70.000 Mitarbeiter - davon mehr als 2.000 an ihrem Hauptsitz in Ingolstadt.
2011 erschüttert ein Korruptionsskandal das Unternehmen. Es geht um Schmiergeld im Zusammenhang mit Auftragsvergaben.
Im März 2012 erhebt die Augsburger Staatsanwaltschaft gegen einen Media-Markt-Vorstand und acht weitere Personen Anklage wegen Korruption. Der 47-jährige Deutschland-Vertriebschef des Unterhaltungselektronikunternehmens soll zusammen mit einem Regionalmanager fünf Millionen Euro Schmiergeld kassiert haben. Dafür habe er drei Firmen Aufträge über 65 Millionen Euro zugeschanzt, obwohl deren Konkurrenz bessere Angebote vorgelegt habe, teilt die Staatsanwaltschaft mit.
Bruno H. ist einer von sechs Angeklagten. Der 53-Jährige hat sein vor der Polizei abgelegtes Geständnis im Prozess wiederholt. Er und Michael Rook hätten mehrere Millionen Euro Schmiergeld bekommen. Zwei anonyme Briefe, erst an die Konzernzentrale in Ingolstadt gerichtet, dann noch einmal im Februar 2011 an die Augsburger Staatsanwaltschaft, haben den Korruptionsskandal bei Media Markt losgetreten. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt die sechs Männer der „gewerbs- und bandenmäßig begangenen“ Bestechung oder der Bestechlichkeit.
Der Bestechungslohn steckte in einem Hochglanzmagazin
Gegen weitere 14 Tatbeteiligte laufen entweder noch Ermittlungen oder sie sind in verschiedenen Verfahren bereits angeklagt. So auch die Ehefrau von Bruno H. Sie wird der Beihilfe beschuldigt. Als Zeugin geladen gestand Alexandra H., 37, von der Bestechung ihres Mannes gewusst zu haben. So schilderte sie, wie sie und ihr Mann sich in einem Münchner Hotel, nahe des Hauptbahnhofs, mit einem aus Hamburg angereisten Mitangeklagten getroffen hatten. Die Staatsanwaltschaft ermittelte bereits. Der Bestechungslohn lag versteckt zwischen den Seiten eines Hochglanzmagazins – 9000 Euro. Allein nach Hause zurückgekehrt habe sie das Geld ihrem Mann auf den Schreibtisch gelegt.
Der Wetzlarer Unternehmer Peter N. hat sich im Prozess detailliert über seine Schmiergeldzahlungen an zwei hochrangige Media-Markt- Manager geäußert. Bruno H. und er lernten sich in einem Familienurlaub kennen. Von Juli 2005 bis Oktober 2011 sind demnach über ein Netz von Strohleuten beide Media- Markt-Manager mit fünf Millionen Euro geschmiert worden. Wofür? Als Gegenleistung machte Media Markt den Wetzlarer Unternehmer zu seinem exklusiven Geschäftspartner. Mitarbeiter seiner fünf Werbeagenturen, alle mit schicken englischen Namen, durften fortan mit eigenen Ständen in Media Märkten Verträge von Netzbetreibern verkaufen, die ein schnelles Internet anboten. Kam es zu Vertragsabschlüssen, zahlten die Deutsche Telekom und andere Anbieter eine Provision. Die Kosten für den Personaleinsatz teilten sich Agentur und die einzelnen Media Märkte.
Media Markt: Chronologie einer Schmiergeld-Affäre
August 2010: In der Ingolstädter Media-Markt-Konzernzentrale geht ein erstes anonymes Schreiben ein. Darin werden Korruptionsvorwürfe gegen zwei Geschäftsführer und eine der Ehefrauen erhoben. Namen werden nicht genannt.
18. Januar 2011: Vom Konzern eingeschaltete Wirtschaftsprüfer der KPMG stellen fest: es gibt keine Korruptionszahlungen.
Februar 2011: In der Konzernzentrale und bei der Augsburger Staatsanwaltschaft gehen gleichzeitig anonyme Schreiben ein. Erstmals werden sechs Namen genannt, auch der des Deutschlandchefs Michael Rook. Der Konzern selbst erstattet Anzeige.
13. Juli 2011: Bundesweite Razzia in Privathäusern und Media Märkten, gegen 20 Personen wird ermittelt. Februar 2012 Anklage der Staatsanwaltschaft Augsburg gegen neun Personen wegen gewerbs- und bandenmäßig begangener Bestechung oder Bestechlichkeit.
6. Juni 2012: Prozessbeginn
Für Aufsehen sorgte im Prozess die Aussage eines früher in der Ingolstädter Konzernzentrale tätigen Mitarbeiters. Dieser wusste zu berichten, dass nie Angebote von Konkurrenzfirmen eingeholt worden sind, obwohl es damals Hinweise gegeben hat, dass andere Agenturen preislich deutlich günstiger waren. Zudem beschwerten sich Geschäftsführer etlicher Media Märkte, weil sie einen Teil der Kosten übernehmen sollten.
Verwunderlich auch das: Peter N., 57, hat dieses Geschäft immerhin 50 Millionen Euro eingebracht. Dennoch hat es mit Media Markt nie einen schriftlichen Vertrag gegeben. Der Konzern, der weltweit in 16 Ländern am Markt ist, beschäftigt mehr als 70 000 Mitarbeiter und hat zuletzt einen Jahresumsatz von 20,8 Milliarden Euro erwirtschaftet. Nach monatelangem Schweigen hat sich im September Michael Rook, der wie alle Angeklagte in Untersuchungshaft sitzt, erstmals zu den Tatvorwürfen geäußert. Der 48-Jährige bestritt, auch nur einen Cent an Schmiergeld angenommen zu haben. Der Vater dreier Kinder kann bis zu seiner fristlosen Kündigung infolge seiner Festnahme auf eine traumhafte Karriere zurückblicken. Im Januar 2011 war er sogar ins Topmanagement der Media-Saturn-Holding aufgerückt.
Schon vorher war er Vorgesetzter von Bruno H. gewesen und befreundet mit jenem Mann, der ihn jetzt schwer belastet. Demnach soll er von Bruno H. die Hälfte der Bestechungsgelder bekommen haben, wenn sie in bar übergeben wurden. Stets sollen es mehrere 10.000 Euro gewesen sein. Bargeld, das den Vorteil hat, kaum Spuren zu hinterlassen. Wirtschaftsprüfer der KPMG waren auf nichts Belastendes gestoßen, als sie ersten Korruptionshinweisen nachgingen. Rook soll auch Familienmitglieder dafür gewonnen haben, größere Summen Bargeld nach Mallorca zu bringen, wo er eine Villa gekauft hat.
Prominente Anwälte zur Verteidigung der Manager
Für den Prozess haben sich beide Media-Markt-Manager prominenten Rechtsbeistand geholt. Prof. Franz Salditt, einer von drei Verteidigern Rooks, zählt zu den renommiertesten deutschen Anwälten, wenn es um Steuern und Betrug geht. Bruno H. hat den Hamburger Strafverteidiger Johann Schwenn an seiner Seite. Der Anwalt hat 2011 in einem aufsehenerregenden Prozess den TV-Moderator Jörg Kachelmann gegen den Vorwurf der Vergewaltigung verteidigt. Am Ende wurde dieser vor dem Landgericht Mannheim freigesprochen. Wer gut verdient – Rook bezog zuletzt ein Jahresgehalt von 1,25 Millionen Euro –, kann sich teure Anwälte leisten. Das Tageshonorar eines der Verteidiger im Prozess liegt dem Vernehmen nach bei 15.000 Euro. Ab dem morgigen Dienstag wird in Augsburg wieder verhandelt.