Nachdem bekannt wurde, dass die Krankenkassen im Jahr 2011 eine Rekordsumme von beinahe 20 Milliarden Euro erwirtschaftet haben, wird die Forderung nach einer Abschaffung der Praxisgebühr lauter.
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) drängte die Kassen zwar offiziell zur Prüfung einer Prämienausschüttung, die Versicherungen lehnten jedoch prompt ab.
Auch Linke und Teile der FDP wollen Patienten durch eine Abschaffung der Praxisgebühr entlasten. In der Bundesregierung ist nach Angaben aus Koalitionskreisen umstritten, ob der Bund 2013 weniger an die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) überweisen soll als geplant.
Die Gesamtreserven sind auf mehrere Kassen verteilt
Die einzelnen Kassen erzielten 2011 einen Überschuss von rund 4 Milliarden Euro, wie die vorläufigen Ergebnisse zeigen, die das Bundesgesundheitsministerium am Mittwoch in Berlin mitteilte. Das ist deutlich mehr als bei den jüngsten Angaben vom Dezember angenommen.
Die Gesamtreserven der GKV sind verteilt auf die Kassen und den Gesundheitsfonds, über den die Beitrags- und Steuermilliarden gesammelt und verteilt werden. Das Finanzpolster bei den Kassen gibt das Ministerium mit rund 10 Milliarden Euro Ende 2011 an. Der Fonds habe eine Liquiditätsreserve von rund 9,5 Milliarden Euro.
Bahr mahnt Prüfung einer Prämienausschüttung
Insgesamt gaben die Kassen 2011 rund 180 Milliarden Euro aus, davon 61 für Kliniken, 34 für Ärzte und 31 für Arzneimittel. Vor allem die schwarz-gelbe Arzneireform führte zu einem nur mäßigen Ausgabenplus von 2,6 Prozent. Die AOK und Ersatzkassen verbuchten mit 1,3 und 1,8 Milliarden Euro die höchsten Überschüsse.
Etliche Kassen verfügen laut Ministerium jetzt über Mittel, die in dieser Höhe nicht zur Absicherung gegen Risiken gebraucht würden. "Diese Krankenkassen sind gefordert, intensiv zu prüfen, ob vorhandene Prämienpotenziale an ihre Mitglieder weiterzugeben sind", mahnt das Bahr-Ressort in seiner Mitteilung.
Aber den Anteil im Gesundheitsfonds, der verfügbar sei, hält das Bahr-Ressort für einen sinnvollen Puffer. Denn es gebe Konjunktur-Risiken. Es handelt sich um 4,4 Milliarden Euro aus dem Fonds, die nicht unter anderem als Pflichtreserve gebunden sind.
Krankenkassen wollen die Reserven für schlechte Zeiten nutzen
Der GKV-Spitzenverband wies Bahrs Forderung zurück. "Jetzt, wo die finanzielle Situation stabil ist, müssen die Rücklagen für schlechte Zeiten aufgebaut und gesichert werden", sagte Vizechef Johann-Magnus von Stackelberg. Der Vier-Milliarden-Überschuss entspreche den Ausgaben von nur acht Tagen. "Wir warnen dringend davor, nun eine Kürzungsdebatte vom Zaun zu brechen."
Die besonders gut dastehende Techniker Krankenkasse will trotz eines Überschusses von fast einer Milliarde Euro und Rücklagen von weiteren 1,7 Milliarden ihren Mitgliedern laut "Frankfurter Allgemeiner Zeitung" nichts zurückzahlen. Für die Barmer GEK sagte deren Chef Christoph Straub den "Ruhr Nachrichten": "Was hilft es uns und den Versicherten, heute eine verhältnismäßig geringe Prämie auszuschütten und morgen wieder mehr Geld einzufordern, weil die Leistungsausgaben steigen?"
Künast: Gesundheitsfonds darf nicht zur Wahlkampfkasse der FDP mutieren
Hinter den Kulissen ringen laut Koalitionskreisen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Gesundheitsminister Bahr über die Steuerzuschüsse des Bundes an den Fonds, die 2013 erneut 14 Milliarden Euro betragen sollen. Bahr sagte der Nachrichtenagentur dpa, das Gesundheitswesen solle solide finanziert bleiben. Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) sagte der dpa: "Wir brauchen das Geld."
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast unterstützte die Position von Unions-Haushaltspolitiker. "Der Gesundheitsfonds darf nicht zur Wahlkampfkasse der FDP mutieren, daher ist eine einmalige Reduktion des Steuerzuschusses denkbar", sagte sie der dpa. Davor warnte die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Ulrike Mascher: Dann drohten Zusatzbeiträge, sagte sie.
Krankenkassen sollen Versicherte entlasten
Dies könnte passieren, wenn die GKV-Einnahmen wieder unten die Ausgaben sinken. Bayerns Gesundheitsminister Marcel Huber (CSU) sagte der dpa, dies drohe 2013. "Ab 2014 sind auch alle Puffer aufgebraucht." Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) und der Linke-Chef Klaus Ernst forderten angesichts der aktuell guten Zahlen dennoch, die Versicherten jetzt zu entlasten - per sofortiger Abschaffung der 10-Euro-Praxisgebühr beim Arzt.
Auch in der FDP wird die Forderung angeblich laut
FDP-Chef Philipp Rösler und Generalsekretär Patrick Döring hätten sich in einer Sitzung des Präsidiums offen für den Vorschlag gezeigt, die Praxisgebühr abzuschaffen, berichtet die Rheinische Post inzwischen unter Berufung auf Teilnehmerkreise. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) habe auf Vorbehalte in der Union verwiesen, aber das Ansinnen nicht grundsätzlich abgelehnt.
Tatsächlich hatte der Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Johannes Singhammer (CSU), eine Abschaffung der Praxisgebühr trotz Milliardenüberschüssen in der gesetzlichen Krankenversicherung abgelehnt. "Wir halten an der Praxisgebühr fest", sagte Singhammer.
Langfristig seien die Krankenkassen auf die Einnahmen aus der Praxisgebühr in Höhe von jährlich insgesamt zwei Milliarden Euro angewiesen, so Singhammer. Möglich sei allenfalls, die Erhebung der Gebühr von zehn Euro pro Quartal zu vereinfachen, wofür es bislang aber keine Ideen gebe.
Praxisgebühr abschaffen oder aussetzen
Die Fachpolitiker der FDP-Bundestagsfraktion wollen das Thema trotzdem vorantreiben. "Wir schlagen vor, dass man diese Gelegenheit nutzt, um die Praxisgebühr abzuschaffen oder zumindest auszusetzen", sagte der FDP-Gesundheitspolitiker Heinz Lanfermann der Zeitung. Die FDP sollte den Wegfall der Praxisgebühr beim nächsten Koalitionsausschuss mit der Union beraten. Ähnlich äußerte sich der FDP-Bundestagsabgeordnete Jens Ackermann. "Die Praxisgebühr ist bürokratisch und sie hat keine Lenkungswirkung. Deshalb sollten wir eine Abschaffung prüfen". AZ, dpa, afp