Heute vor 100 Jahren ging die erste elektrische Ampel in den USA in Cleveland in Betrieb. Der Amerikaner Garrett Morgan gilt als Erfinder der Technologie. Der Tüftler hat übrigens auch die Gasmaske und ein Haarglättungsmittel entwickelt. Der weltweit führende Hersteller von Ampelanlagen ist heute der deutsche Siemens-Konzern.
Das Unternehmen fertigt Ampeln nach wie vor in Augsburg. Dort sind 120 Mitarbeiter in diesem Geschäftsfeld tätig. Im Gespräch erklärt Wilke Reints, Entwicklungs-Chef für diesen Siemens-Bereich, wie er die Zukunft der Technik sieht. Der 40-Jährige gilt weltweit als einer der führenden Ampelexperten.
Warum sind Ampeln so oft rot?
Damit werde ich als Ampelexperte oft konfrontiert. Das ist aber ein rein subjektives Gefühl.
Wie sieht es objektiv aus?
Autofahrer warten im Laufe ihres Lebens im Durchschnitt etwa zwei Wochen an roten Ampeln, haben Forscher ermittelt.
Einen ganzen Urlaub lang also. Das ist objektiv nicht gerade wenig Zeit.
So viel ist es das objektiv gesehen nicht. Ich stelle Ihnen die Gegenfrage: Wie viele Wochen würden wir stehend an Kreuzungen ausharren, wenn das System in Deutschland nicht so gut funktionieren würde? In Bangkok etwa wird der Verkehr von Polizisten geregelt. Ich habe es selbst erlebt: Da braucht man für ein bis zwei Kilometer schon einmal eine ganze Stunde. Ganz klar: Die Technik ist besser als der Mensch.
Warum gibt es in Deutschland nicht viel mehr grüne Wellen?
Wenn man eine Strecke bevorzugt und die Ampeln nacheinander auf Grün schaltet, kann das in einer Stadt wie Augsburg insgesamt zu einem Verkehrsinfarkt führen, weil andere Strecken benachteiligt werden und hier rote Wellen vorherrschen. Das Ziel ist es vielmehr, den Verkehr in einer ganzen Stadt derart durch Ampeln zu regeln, dass er insgesamt so flüssig wie möglich läuft. Und grüne Wellen müssen aufgrund höherer Ziele unterbrochen werden.
Höhere Ziele? Wie lässt sich das Autofahrern vermitteln, die gegen rote Ampeln allergisch sind wie der Teufel gegen das Weihwasser?
Höhere Ziele sind etwa der Umweltschutz. Busse, die viele Menschen befördern, sind meist ökologischer als Autos. Für sie wird eine grüne Welle für Autofahrer unterbrochen, damit die Busse schneller vorankommen. Auch wenn es viele Autofahrer bezweifeln: Hinter dem Netzwerk Hunderter von Ampeln in einer Stadt steckt eine höhere Intelligenz.
Lüften Sie das Geheimnis?
Mache ich, aber es wird etwas kompliziert, schließlich geht es darum, all die Ampeln zu synchronisieren und zu verhindern, dass es zu Unfällen kommt. Wir müssen uns das ganze System wie ein Gehirn vorstellen, das über eine lokale und zentrale Intelligenz verfügt. Die lokale Intelligenz besteht aus den einzelnen Ampeln.
Ampeln sind intelligent? Entweder sie stehen auf Grün, Gelb oder Rot. Das scheint eher simpel zu sein.
Irrtum! Denn mittels Radar, Infrarot oder Laser können sie den Verkehr lesen. Die Ampeln bemerken also dank intelligenter Technik, wie viele Autos auf sie zufahren, also wie stark der Verkehr ist. So sind sie von sich aus in der Lage, etwa eine Rot- oder Grünphase zu verkürzen oder zu verlängern. Heute sind Ampeln kleine Rechenwunder, die unendlich viele Signale dank der Mikroprozessoren-Technologie in Echtzeit auswerten. Die Ampel ist ein iPhone im Gehäuse eines altertümlichen C-64-Computers. Sie ist der Chef der Kreuzung.
Das mutet basisdemokratisch an. Wo bleibt da die zentrale Intelligenz?
Ohne die geht es natürlich nicht. Der zentrale Verkehrsrechner gleicht die einzelnen Ampeln untereinander ab und steuert sie. So ist es der Verkehrsrechner, der den einzelnen Ampeln sozusagen grünes Licht für eine grüne Welle gibt.
Kann es da nicht zu Konflikten zwischen zentraler und lokaler Intelligenz kommen?
Theoretisch ja, praktisch nein. Der zentrale Rechner hat immer das letzte Wort. Hier werden die von den Ampeln einlaufenden und die an sie geschickten Daten abgestimmt. Vieles passiert eben automatisch, also dank der von Menschen ersonnenen Programme. Am Ende kann aber natürlich immer der Mensch in den Verkehrszentralen eingreifen.
Ganz ohne diese komplizierte Technik funktionieren Kreisverkehre. Dank Ihnen kommt man schneller voran als mit lästigen Ampeln.
Das stimmt nur, wenn der Verkehr nicht zu dicht ist. In den Hauptverkehrszeiten kommt man mit Ampelanlagen schneller voran als mit einem Kreisverkehrsystem wie in Frankreich.
Dass Sie dies als Entwicklungs-Chef der Siemens-Ampelsparte sagen, ist verständlich. Aber dank Kreisverkehren flutscht der Verkehr doch viel reibungsloser.
Hier sind wir wieder bei dem subjektiven Empfinden und den objektiven Fakten. Auf dem Land, wo nicht so viel Verkehr ist, kommt man mit Kreisverkehren schneller voran als mit Ampeln. Das räume ich ein. Aber in Städten kann der Verkehr, wenn der Kreisverkehr überstaut ist, in allen Richtungen zum Erliegen kommen. Schon hat man das perfekte Verkehrschaos. Da wünscht man sich dann Ampeln herbei.
Ist die Ampel langfristig gesehen ein Auslaufmodell? Es gibt Zukunftsszenarien, in denen Autos in einigen Jahrzehnten autonom fahren, sich also untereinander abstimmen. Der Fahrer muss nur im Notfall eingreifen.
Hier existieren zwei Szenarien: Nach dem ersten gibt es irgendwann nur noch autonome Fahrzeuge. Die Ampel wird sozusagen virtualisiert. Der Fahrer sieht also keine Lichtzeichen mehr. Dabei bräuchte man aber immer noch ein Signal für Radfahrer, Motorradfahrer und Fußgänger.
Kommt das wirklich?
Ich halte das nicht für wahrscheinlich. Meines Erachtens wird es in 20 Jahren sowohl autonome wie rein von Fahrern gesteuerte Fahrzeuge geben. Das heißt aber: Wir brauchen weiter Ampeln.
Wie sieht dann die Ampel der Zukunft aus? Was erwartet die Autofahrer?
Ich glaube, dass Smartphones uns mitteilen könnten, wie schnell wir für eine grüne Welle unterwegs sein müssen oder sie könnten gar grünes Licht bei Ampeln anfordern. Ampeln könnten wiederum einzelne Verkehrsteilnehmer vor Gefahrensituationen warnen und zum Partner des Autofahrers werden. Stellen Sie sich eine sympathische Stimme vor, die Ihnen sagt: Machen Sie sich bereit, Grünphase folgt. Das Timing ist perfekt. Es bleibt gerade noch Zeit, um den Gang einzulegen und die Kupplung kommen zu lassen.
Wie sind Sie Ampelexperte geworden?
Ich bin ehrlich: Als ich zu Siemens kam, wollte ich, wie es damals hieß, zu den Telefonern. Mein Mentor bei dem Unternehmen sagte mir aber: Geh doch zur Straßenverkehrstechnik. Ampeln, meinte er, kommunizierten ja auch mit Verkehrsteilnehmern. Das Argument fand ich damals schwach. Ich wusste nicht, was in dem Ampelgehäuse an Hochtechnologie steckt. Im Nachhinein muss ich sagen: Mein Mentor hatte recht. Das Gebiet ist extrem spannend.