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Spanien: Im Lande der Bauruinen

Spanien

Im Lande der Bauruinen

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    In Spanien ist die Arbeitslosigkeit stark gestiegen. Überall im Land finden sich nicht fertig gestellte Gebäude, wie hier in der Stadt Cádiz.
    In Spanien ist die Arbeitslosigkeit stark gestiegen. Überall im Land finden sich nicht fertig gestellte Gebäude, wie hier in der Stadt Cádiz. Foto: Foto: imago

    Madrid „Niemand hat einen Zauberstab“, sagt Mariano Rajoy, „diese Krise kann man nicht auf die Schnelle lösen.“ Rajoy (56), der vermutlich am 20. November 2011 mit großer Mehrheit Spaniens Parlamentswahl gewinnen und damit neuer Regierungschef werden wird, weiß, dass er ein schweres Erbe antritt. Der Vorsitzende der konservativen Volkspartei übernimmt vom sozialistischen Ministerpräsidenten José Luis Zapatero (51) ein wankendes Land: mit horrenden Schulden, wankender Wirtschaft und Massenarbeitslosigkeit von 22 Prozent.

    Ein Grund für Spaniens Krise liegt etwa zwei Autostunden südlich von der Hauptstadt Madrid entfernt: Der Flughafen der Provinzstadt Ciudad Real. Für mehr als 500 Millionen Euro hat sich die Stadt und die umliegende Region Castilla-La Mancha einen internationalen Großflughafen gegönnt. Drei Jahre nach der Eröffnung steht der Mega-Airport, der mit privaten Geldern und öffentlicher Förderung gebaut wurde, vor der Schließung – und vor dem Bankrott.

    „Unsere Träume heben ab“, tönten die Politiker im Rathaus von Ciudad Real und in der Regionalregierung zur Eröffnung vor drei Jahren: Der Aeropuerto Don Quijote sollte zum Drehkreuz Zentralspaniens werden. Geplant in Zeiten, als in Spanien noch Goldgräberstimmung herrschte. Als Immobilienhaie, Bauunternehmer, Spekulanten und Politiker aller Parteien dachten, man könne mit Beton und Ziegelsteinen schnelles Geld verdienen. Nur nach Bedarf, Chancen und Rentabilität fragte keiner.

    Nun wartet in Kastilien-La Mancha, wo Spaniens berühmteste Romanfigur, der durchgedrehte Ritter Don Quijote, zu Hause ist, eine 4000 Meter lange Lande- und Startbahn vergeblich auf Flugzeuge. Das Riesenterminal, durch das fünf Millionen Passagiere pro Jahr geschleust werden könnten, ist verwaist. Auf Parkflächen, so groß wie Fußballplätze, wächst Unkraut. Ein Geisterflughafen, der so verlassen ist, dass die internationale Drogenmafia ihre nächtlichen Kokain-Lufttransporte über dieses einsame Flugfeld leiten wollte – wenn die Polizei dies nicht vereitelt hätte.

    Die eng mit der Provinzpolitik verwobene Sparkasse Caja Castilla-La Mancha musste inzwischen vom Staat vor dem Bankrott gerettet werden. Ob der hochverschuldete Flughafen noch zu retten ist, entscheidet der Konkursrichter.

    Olympiastadien ohne Athleten

    Öffentliche und private Investitionsruinen sieht man allerorten in Spanien: Halbfertige Industriegebiete, im Rohbau verharrende Wohnsiedlungen, ungenutzte Bürohäuser und Einkaufszentren, menschenleere Autobahnen, Olympiastadien ohne Athleten. Spanien ist Europameister in milliardenschweren Fehlplanungen. Viel Geld wurde in den Sand gesetzt statt in Zukunftsindustrie zu investieren. Es müsse Schluss sein mit dieser „Verschwendung“, sagt Rosa Diez (59), Chefin der neuen, in der politischen Mitte angesiedelten Protestpartei „Union, Fortschritt und Demokratie“.

    Als der gigantische Immobilienboom platzte, begann der tiefe Absturz der spanischen Volkswirtschaft. Nun stehen lange Schlangen vor den Türen der Arbeitsbehörden, etwa im Madrider Arbeitervorort Parla. Dort hat sich auch José Manuel, ein 45-jähriger Zahntechniker und Vater von zwei Kindern, eingereiht. Er beantragt Arbeitslosengeld, will nach Jobs fragen. Viel Hoffnung hat er nicht. „Keiner will im Moment neue Leute einstellen.“ Insgesamt 22,6 Prozent der aktiven Bevölkerung oder fünf Millionen Menschen in Spanien stehen auf der Straße, bei den unter 25-Jährigen sogar 48 Prozent – Tendenz steigend. „Eine verlorene Generation“, warnen die Soziologen.

    Mit der Massenarbeitslosigkeit wächst auch die Not. Mehr als 20 Prozent der 46 Millionen Spanier rutschten laut der staatlichen Statistik unter die Armutsschwelle. Vor den Suppenküchen der kirchlichen und privaten Organisationen drängeln sich immer mehr Bedürftige. „Die Krise schafft eine neue Klasse der Armen“, sagt ein Caritas-Sprecher, „und es werden immer mehr.“

    Die wachsende Frustration im Volk nährt jene Bewegung, die Spaniens Politikern regelmäßig mit wütenden Protestmärschen Dampf macht: Die „indignados“, die Empörten, welche sich in vielen Städten zusammengeschlossen und über Facebook organisiert haben. Die sich gegen „Straflosigkeit“ und „Korruption“ jener Politiker und Wirtschaftsbosse wenden, die sie für Spaniens Krise verantwortlich machen: „Wir, die Arbeitslosen, die schlecht Bezahlten, die in Unsicherheit lebenden, die Jungen“, erklären sie in ihrem Manifest, „wir wollen eine würdige Zukunft.“

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