Die 6500 Beschäftigten des insolventen Druckmaschinenherstellers Manroland hoffen, dass doch noch eine Firma in das Unternehmen einsteigt. Hinter den Kulissen wird bereits an einer Lösung gearbeitet. Jürgen Kerner ist eine der wichtigsten Personen, wenn es um die Zukunft des Konzerns geht. Der 42-Jährige war lange Leiter der Augsburger Verwaltungsstelle der IG Metall. Seit Oktober sitzt er im Bundesvorstand der einflussreichsten deutschen Gewerkschaft. Kerner ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei Manroland. Wir sprachen am Sonntag mit ihm über die Zukunft des Konzerns.
Wo steht die Manroland-Uhr, auf zwölf Uhr oder fünf nach zwölf?
Kerner: Wenn ein solches Traditionsunternehmen in die Insolvenz geht, ist es fünf nach zwölf. Leider kann man die Uhr nicht zurückdrehen. Aber man muss alles unternehmen, um die Uhr anzuhalten. So können wir Zeit gewinnen, um einen Investor zu finden. Wenn uns das gelingt, stecken wir wieder die Batterie in die Uhr, und für das technologisch sehr gut aufgestellte Unternehmen läuft die Uhr dann wieder normal.
Nachdem die Schweizer Beteiligungsgesellschaft Capvis abgesagt hat, gibt es derzeit keinen neuen Investor. Bis wann muss ein neuer Geldgeber präsentiert werden, damit Manroland noch eine Zukunft hat?
Kerner: Bis Weihnachten müssen wir einen Investor finden, sonst läuft uns die Zeit davon. Wir dürfen jetzt nicht darauf warten, dass ein Investor bei uns anklopft. Notfalls werden sich die Betriebsräte und die Vertreter der IG Metall alleine ins Auto setzen, um Gespräche mit potenziellen Anteilseignern zu führen. Das Zeitfenster ist eng. Das Insolvenzverfahren wird wohl Anfang Februar 2012 eröffnet.
Hat Manroland noch eine Chance?
Kerner: Ich glaube, wir finden einen Investor. Manroland hat gute Produkte und eine hoch motivierte Belegschaft. Wir brauchen eine Lösung, die für alle Standorte in Augsburg, Offenbach und Plauen gut ist.
Wer trägt die Verantwortung für die Manroland-Insolvenz?
Kerner: Zunächst einmal befindet sich die Druckindustrie im dritten Jahr in der Krise. Wir haben es mit einer Strukturkrise zu tun. Der Siegeszug des Internets bleibt nicht ohne Wirkung. Was Manroland betrifft, hatten wir zuletzt Hoffnung, dass der Investor Capvis einsteigt. Doch die Schweizer haben am Schluss Angst vor der eigenen Courage bekommen. Der eigentliche Skandal besteht aber darin, dass wir überhaupt einen Investor brauchen, wo Manroland doch mit der Allianz und MAN zwei finanzstarke Anteilseigner hat.
Beide haben nach vielen Jahren und hohen Investitionen die Geduld verloren. Die Allianz legt das Geld von Versicherten an und wollte nicht nochmals Millionen abschreiben, hat das Unternehmen doch schon wohl gut 400 Millionen in Manroland investiert.
Kerner: Das ist zu kurz gedacht von den Allianz-Leuten. Wenn Tausende Arbeitsplätze wie bei Manroland wegfielen, hat die Allianz auch weniger Kunden in ihrem Versicherungsgeschäft. Unserer Meinung nach hätten die Altgesellschafter von MAN und Allianz jetzt ein letztes Mal Geld zuschießen müssen, zumal die Belegschaft erneut Zugeständnisse gemacht hätte und ein weiterer Arbeitsplatzabbau möglich gewesen wäre.
Wie wütend sind die Mitarbeiter?
Kerner: Viele Beschäftigte sind geschockt, dass Traditionshäuser wie Allianz und MAN eine Firma wie Manroland an die Wand fahren lassen. Das ist ein Verhalten, das man sonst nur von Heuschrecken kennt. MAN und Allianz tragen die Hauptverantwortung für die Insolvenz.
Fühlen Sie sich in Ihrem Kampf für den Erhalt der Manroland-Arbeitsplätze ausreichend durch die politisch Verantwortlichen unterstützt?
Kerner: Wir hätten uns gewünscht, dass sich Politiker schon viel früher um die Sicherung der Arbeitsplätze in der Druckindustrie kümmern, schließlich kommen die drei weltweit führenden Betriebe aus Deutschland. Jetzt müssen auf Landes- und Bundesebene alle Beteiligten an einen Tisch geholt werden. Das erwarte ich von Bundeswirtschaftsminister Rösler und seinem bayerischen Kollegen Zeil. Was die Politik betrifft, ist schon viel zu viel Zeit untätig verstrichen. Wir brauchen ein Konzept für die gesamte deutsche Druckindustrie. Auch eine Zusammenlegung von Unternehmen oder Firmenteilen darf kein Tabu sein. Interview: Stefan Stahl