Wenn in der Vergangenheit über Götz Werner berichtet wurde, dann oft in einem leicht schwärmerischen Ton. Es ging um seinen Aufstieg vom Drogisten-Lehrling zum Gründer von Deutschlands größter Drogeriemarktkette dm. Vor allem aber ging es um Werner selbst – einen Unternehmer, der Auszubildende in Theaterworkshops schickt und der Mitarbeiter mitentscheiden lässt, wenn in ihrer Filiale neue Kollegen eingestellt werden. Als dm nach dem Untergang von Schlecker zur Nummer eins unter den Drogerie-Ketten aufrückt, titelt die Frankfurter Allgemeine: „Das Gute gewinnt.“
In den vergangenen Monaten hat sich allerdings ein neues Vokabular in die Berichterstattung geschlichen. Von „Rosenkrieg“ ist da plötzlich die Rede, von „Streit“ und von „Enttäuschung“. Hintergrund ist eine Auseinandersetzung zwischen dem 72 Jahre alten Werner und dem sechs Jahre jüngeren Götz Rehn, dem Gründer und Geschäftsführer von Alnatura. Die Bio-Marke wird seit über 30 Jahren in den Filialen von dm verkauft – mit großem Erfolg. 2014 wurde sie in einer Forsa-Befragung zur beliebtesten Marke des Landes gewählt, das hessische Unternehmen hat 106 eigene Läden und rund 2600 Mitarbeiter.
Allerdings hat die Kooperation mit der Drogerie-Kette ein Ablaufdatum: Bis Jahresende will dm nahezu das komplette Alnatura-Sortiment auslisten, also aus den Regalen nehmen. An die Stelle von Hirse, Reis oder Aufstrich aus dem Haus Alnatura sollen die Produkte der Bio-Eigenmarke von dm treten.
Alnatura bald bei Drogerie Müller sowie Rossmann
Nachdem dm diesen Schritt im Jahr 2014 bekannt gab, kündigte Alnatura-Chef Rehn den Kooperationsvertrag – und suchte sich neue Handelspartner. Seit Oktober 2015 stehen viele Alnatura-Produkte deshalb auch bei Edeka. Vergangene Woche verkündete Alnatura dann eine neue Kooperation, ausgerechnet mit den zwei größten Konkurrenten von dm: Ab Oktober sollen 750 verschiedene Alnatura-Artikel in allen Filialen der Drogerie Müller erhältlich sein. Darüber hinaus will Rossmann rund 60 Artikel aus dem Baby-Sortiment listen.
Für Werner und Rehn ist es nicht nur das Ende einer drei Jahrzehnte andauernden Geschäftspartnerschaft – sondern auch das Ende einer Freundschaft. Werner war es, der Rehn von Anfang an in seinem Vorhaben bestärkte, Bio-Lebensmittel zu vertreiben. „Niemand glaubte, dass man mit nachhaltigen Produkten Erfolg haben könnte“, erzählte der Alnatura-Gründer vor Jahren dem Handelsblatt. Nachdem sich die beiden Mitte der 80er Jahre erstmals begegnet waren, ermutigte der dm-Chef den Bio-Pionier, sich mit Alnatura selbstständig zu machen.
Die beiden Männer verbindet viel: Beide sehen sich als Anthroposophen, sind Anhänger der Lehren Rudolf Steiners, der Anfang des vergangenen Jahrhunderts die Waldorfpädagogik begründete. Beide sprechen ungern von Konzernen oder Firmen, ihr Unternehmen nennen sie „Arbeitsgemeinschaft“. Auszubildende sind bei ihnen „Lernende“ oder „Lernlinge“. Dazu kommt: Auch familiär sind sie eng verbunden – Werners zweite Ehefrau ist die Schwester von Rehn.
Der Streit, der die beiden Männer entzweit hat, wurzelt im Jahr 1985. Dem Jahr also, in dem Alnatura aus der Taufe gehoben wurde. Nach Informationen des Branchenblatts Lebensmittel Zeitung haben Werner und Rehn damals gemeinsam mit Wolfgang Gutberlet die anthroposophische Arbeitsgruppe Trifolio gegründet. Gutberlet ist der ehemalige Inhaber der Supermarkt-Kette Tegut und ebenfalls überzeugter Anhänger der Lehren von Rudolf Steiner. Aus dieser Gemeinschaft heraus soll der Grundstein für Alnatura gelegt worden sein. Werner und Gutberlet erheben daher als „Bruchteilsberechtigte“ einen Anspruch auf die Alnatura-Marken, schreibt die Fachzeitung. Rehn hat allerdings alle Markenrechte im Jahr 2008 auf sein Unternehmen übertragen lassen.
Mit einer ersten Klage vor dem Landgericht in Frankfurt am Main sind sie allerdings gescheitert. Sowohl Werner als auch Gutberlet sind in Berufung gegangen. Der Fall soll nun im Februar vor dem Oberlandesgericht Frankfurt weiterverhandelt werden, wie eine Gerichtssprecherin bestätigte. Auch vor dem Landgericht Darmstadt streiten sich Alnatura und dm, Ende September geht der Prozess in die nächste Runde. Dabei geht es darum, ob dm mitentscheiden kann, an welche Händler Alnatura seine Ware liefern darf.
Eigene Bio-Marke: Dann eskalierte der Streit endgültig
In der Beziehung zwischen den einst so freundschaftlich verbundenen Unternehmen hat es offenbar schon länger gekriselt. Das lässt zumindest die Urteilsbegründung des Frankfurter Gerichts vermuten, aus dem die Lebensmittel Zeitung zitiert. Demnach soll dm in den vergangenen Jahren immer günstigere Konditionen gefordert und Rechnungen in Höhe von zwei Millionen Euro nicht bezahlt haben. Als die Drogeriekette dann ankündigte, die eigene Bio-Marke einzuführen, sei der Streit endgültig eskaliert.
Beide Unternehmen kommentieren den Rosenkrieg nicht. Christoph Werner, Sohn von Götz Werner, lässt ausrichten, dass dm lediglich „den Bereich gesunde Ernährung neu aufgestellt“ habe. Wie in allen anderen Bereichen wolle der Konzern „auch hier Vielfalt bieten“. Götz Werner selbst ist schon seit einigen Jahren nicht mehr im operativen Geschäft. Bei Alnatura bittet man um Verständnis, dass man sich „zu laufenden Gerichtsverfahren nicht äußern“ wolle. Auch Alnatura-Chef Rehn hält sich mit konkreten Vorwürfen zurück. Wird er auf den Zwist angesprochen, wählt er lieber einen Vergleich. „Stellen Sie sich vor, Ihre Frau will sich scheiden lassen“, sagte er kürzlich dem Mannheimer Morgen. „Da sind Sie auch überrascht, wenn Sie nicht damit gerechnet haben.“