Im Augsburger Süden, gegenüber der Arena des örtlichen Bundesliga-Vereins, spielen sich erstaunliche Szenen ab. Denn dort wird eine ohnehin mit 315 Metern sehr lange Industriehalle an beiden Enden noch mal um ein ordentliches Stück vergrößert. Auf der Nordseite kommen 45 und auf der Südseite 75 Meter hinzu. Das Spielfeld der WWK-Arena erscheint da mit seinen 105 mal 68 Metern kompakt.
Auch außerhalb des gewaltigen Unternehmens-Komplexes wird gebaut. Dort entsteht ein Logistik-Gebäude. Dass die bayerische Wirtschaft derzeit boomt, lässt sich im Augsburger Süden wie in vielen Teilen der Region erleben.
Premium Aerotec: Im Innern des Werks wartet Welt des Flugzeugbaus
Doch was spielt sich innerhalb des riesigen Schiffes mit der Aufschrift „Premium Aerotec“ ab, mag sich mancher Fußball-Fan denken, der das wachsende Objekt von den Parkplätzen aus beobachtet? Wer in das Innere des Werkes vorgelassen wird, tritt eine Reise in die Welt des Flugzeugbaus und der Hochtechnologie made in Augsburg an. Denn dort nehmen bis zu 17 Meter lange und knapp 5,5 Meter breite Seitenschalen des Airbus-Langstrecken-Flugzeuges A350 Gestalt an. Die Baugruppen werden später in Hamburg in den hinteren Rumpf des schlanken und langen Fliegers eingebaut.
In Augsburg entstehen damit die in Europa größten, aus leichten und dennoch steifen Kohlefaserverbundwerkstoffen gefertigten Flugzeugbauteile. Und weil sich der A350 im Gegensatz zum noch größeren und viel dickeren Super-Airbus A380 als Kassenschlager entpuppt, wird die Augsburger Flugzeughalle immer länger. Hier lässt sich Marktwirtschaft plastisch erleben: Nachfrage bemisst sich in Metern. So geht ein Anbau der Halle auf die neue, verlängerte Version des A350 zurück. Denn um das Flugzeug noch leichter und damit wirtschaftlicher, weil spritsparender, zu machen, besteht die Struktur der Türrahmen erstmals bei einem zivilen Airbus-Flugzeug aus Kohlenstoff-Faserverbundwerkstoffen, bekannt auch unter der Abkürzung CFK. Auf dem gewichtseindampfenden Gebiet verfügen die Augsburger Facharbeiter und Ingenieure über besondere Fähigkeiten. Sie spielen hier nicht in der Bundesliga, sondern in der Champions League vorne mit. Der Spitzenplatz wurde durch ein ausgeklügeltes Hightech-Teamspiel der besonderen Augsburger Art möglich. Denn das in Rollen fertig angelieferte CFK-Material wird – im Fachjargon ist von Bändern die Rede – nicht von Menschen Schicht für Schicht aufgelegt, bis irgendwann ein Türrahmen entsteht. Das wäre unwirtschaftlich. Die Schichten mit dem dünnen, schwarzen Material werden vielmehr automatisch aufgebracht.
Dabei kommt Robotertechnik des Augsburger Herstellers Kuka zum Einsatz. Die Hightech-Unternehmen vor Ort spielen sich die Bälle zu. Unterstützt werden sie dabei von nicht weit vom Werk entfernt arbeitenden Fraunhofer-Forschern. Weil der Bedarf nach solchen Gewicht einsparenden Türrahmen groß ist, baut Premium an und schafft damit weitere automatisierte Fertigungsinseln. Der Produktionsprozess mit den sich schnell bewegenden Robotern vollzieht sich hinter einem Zaun.
Allein in Augsburg beschäftigt Premium Aerotec knapp 4000 Frauen und Männer
Die Beschäftigten tragen in dem Reinraum mit hohen Anforderungen an Sauberkeit weiße Kittel und überwachen die Computer. Wer schon einmal wissen wollte, was unter dem immer wieder auftauchenden Begriff „Industrie 4.0“ zu verstehen ist, kann die revolutionäre technologische Entwicklung in der Halle gegenüber der WWK-Arena bei Premium Aerotec studieren. Das Zusammenspiel von intelligenter Computersteuerung, Sensorik, Elektronik, einem ausgefeilten Daten-Management und Hightech-Materialien wie CFK lässt Unternehmen wie Premium Aerotec auch an einem Hochlohnstandort wie Deutschland wettbewerbsfähig sein und weiter kräftig investieren.
Allein in Augsburg beschäftigt der Luftfahrtzulieferer knapp 4000 Frauen und Männer. Dabei gerät in der A350-Halle, in der die leichten, harzgetränkten CFK-Bauteile in riesigen Öfen gebacken werden, beinahe die große Krise des Unternehmens in Vergessenheit. Häufig wechselte das Spitzen-Management. 2013 wurde zum Katastrophen-jahr, stand doch ein Verlust vor Steuern und Zinsen von rund 620 Millionen Euro in den Büchern – und das bei einem Umsatz von etwa 1,6 Milliarden Euro.
Immer wieder wurden Baugruppen zu spät fertig. Die Qualität passte nicht, es musste nachgebessert werden, selbst bei den kleinen Airbus-Flugzeugen, für die Teile an einem anderen Teil des Augsburger Standorts gefertigt werden. Premium Aerotec konnte mit dem unglaublichen Auftragsboom in der Luftfahrtindustrie nicht Schritt halten. Doch die Dinge wenden sich immer mehr zum Guten.
Thomas Ehm ist seit 2015 Premium Aerotec-Chef. Der 50-Jährige war zuvor Mitglied der Geschäftsführung von Airbus Deutschland. Unserer Zeitung sagt der Manager: „Wir schaffen dieses Jahr schwarze Zahlen. Wir haben den besten Sommer seit vielen Jahren hinter uns.“ Der gebürtige Baden-Badener fliegt selbst. Er hat eine Privat-Pilotenlizenz. Zuvor war er schon im Aufsichtsrat von Premium Aerotec, konnte also ein Gespür dafür entwickeln, wo die Probleme des stark geforderten Unternehmens liegen. Dabei ist es kein Geheimnis, dass es in der Zusammenarbeit zwischen dem Hauptauftraggeber Airbus und seiner Tochtergesellschaft Premium Aerotec vernehmbar knirschte. Beide Seiten haben inzwischen viel dazugelernt. Airbus-Experten unterstützen Premium Aerotec. So berichtet Ehm von weniger Fehlteilen, gestiegener Qualität und effizienteren Arbeitsprozessen. Inzwischen gibt es nur noch ein auf der Software SAP basierendes Produktionssteuerungssystem. Früher waren das allein in Augsburg mehr als 20. In dem Unternehmen mit insgesamt über 9000 Mitarbeitern ist der Zusammenhalt zwischen dem Augsburger und den norddeutschen Standorten in Varel, Nordenham und Bremen besser geworden. Das Unternehmen wächst zusammen.
In der A350-Halle werden die riesigen Rumpfschalen gefertigt
In der A350-Halle werden die riesigen Rumpfschalen in immer höherem Tempo gefertigt. Für ihre Größe fallen sie mit rund 1000 Kilo leicht aus. Sind die Bauteile fertig, werden sie zwei Mal pro Woche per Lkw von Augsburg über die Bundesstraße 300 nach Manching zum Flugplatz des dortigen oberbayerischen Airbus-Werkes geschafft.
Dann geht die Fracht in die Luft. Der geräumige Airbus-Transporter Beluga bringt die großen Schalen nach Hamburg. Sie werden in den Rumpf des A350 eingebaut. Auch die Fußbodenstruktur stammt aus Augsburger Produktion. Beim Bau des Jets sind weitere schwäbische Luftfahrt-Standorte wie Donauwörth und Lindenberg im Allgäu mit von der Partie. In dem Flieger steckt also jede Menge Bayern.