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Hintergrund: Afrika mitten in Augsburg

Hintergrund

Afrika mitten in Augsburg

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    Christian Dierig ist in dieser Woche 60 Jahre alt geworden. Sein Unternehmen produziert Damaststoffe für afrikanische Männergewänder. Sie sind einfarbig, haben aber bestimmte Muster.
    Christian Dierig ist in dieser Woche 60 Jahre alt geworden. Sein Unternehmen produziert Damaststoffe für afrikanische Männergewänder. Sie sind einfarbig, haben aber bestimmte Muster. Foto: Silvio Wyszengrad

    Die Geschichte über eine besondere Beziehung zwischen Afrika und Augsburg nahm ihren Ausgang in den 70er Jahren. Während 1968 nach Zahlen des Geschichtsforschers Franz Häußler noch 17.240 Frauen und Männer in der Textilindustrie der schwäbischen Stadt arbeiteten, sollte sich der Niedergang der Branche fortan beschleunigen. Angefacht durch die Globalisierung gingen abertausende Arbeitsplätze verloren. 1994 waren es demnach nur noch 5010 Stellen.

    Doch Augsburg ist – zumindest im Kleinen – eine Textilstadt geblieben, nicht nur wegen des Staatlichen Textil- und Industriemuseums sowie der Kleidungsrevoluzzerin Sina Trinkwalder, die in der Stadt ihre Manomama-Mode herstellen lässt.

    Dass Augsburg seine große textile Vergangenheit nicht vergisst, ist vor allem einer kleinen, aber umso findigeren Aktiengesellschaft zu verdanken. Dort fanden der 2016 gestorbene Christian Gottfried Dierig und bis jetzt sein Sohn Christian Dierig immer wieder textile Nischen, um das Erbe des Unternehmens zu wahren. Heute hat die Firma noch knapp 200 Mitarbeiter. Textilien werden zwar in Augsburg längst nicht mehr von Dierig produziert, aber doch in der Stadt designt und gehandelt. Einst war der Betrieb jedoch die größte Textilfirma in Europa außerhalb Englands.

    In Westafrika tragen Männer gerne locker fallende, weite Bekleidung aus Damast

    Wie das Prinzip Dierig, also aus scheinbar aussichtslosen Situationen etwas zu machen, funktioniert, zeigt die Geschichte aus den 70er Jahren. Damals kam Damast in Europa aus der Mode. Bettwäsche aus dem Material entsprach nicht mehr dem Zeitgeschmack. Ein Geschäftspartner der Augsburger Unternehmer gab einen Hinweis, der sich als segensreich erweisen sollte. Denn in Westafrika tragen Männer gerne eine locker fallende, weite Bekleidung aus Damast. Boubous werden die Gewänder genannt. Die Augsburger nutzten ihre Chance. Dabei fügte es sich gut, dass ein Franzose Anfang der 70er Jahre als Übersetzer zu einem Maschinenbau-Unternehmen in die schwäbische Stadt gekommen war, ihn die Aufgabe dort aber unterforderte. Paul L’Alinec fand zu Dierig und baute das Geschäft mit Damasten made in Germany in Westafrika auf. Dort wird in Ländern wie Mali, dem Senegal und der Elfenbeinküste Französisch gesprochen.

    Christian Dierig, der 1997 das Amt des Vorstandssprechers übernahm, steht in seinem Augsburger Damast-Lager und packt eine rote und dann noch eine weiße Rolle des besonderen Stoffes aus. Warum aber weiß, Afrikaner tragen doch bunte Gewänder? Die wie eine Speckschwarte glänzenden Gewebe liefert Dierig deshalb überwiegend weiß in ein Land wie Mali, weil Frauen sie dort direkt am Fluss Niger – je nach dem Stand der Mode – blau, grün oder gelb färben. Die Muster der weißen Damast-Rollen werden jedoch in Augsburg designt. Gewebt werden die Stoffe unter anderem in Ostdeutschland. Immer wieder sind neue Designs notwendig, um einen Vorsprung vor kopierfreudigen Asiaten zu halten.

    Für die Frauen in Mali ist das Färben oft die einzige Möglichkeit, ausreichend Geld zu verdienen. Sie veredeln die Damaste. Die einfarbigen Kleider sind in westafrikanischen Ländern ein Status-Symbol wie hierzulande ein BMW oder Daimler. Ein derartiges Teil kostet rund 200 Euro, also vier bis fünf Monatslöhne. Entsprechend hoch sind die Anforderungen: So ein Wohlstand verkörperndes Kleidungsstück muss von oben nach unten vom Körper abstehen. Bei einer Außentemperatur von 40 bis 50, aber einer Körpertemperatur von rund 37 Grad spendet der Boubou seinem Besitzer Kühle.

    Afrikaner können rein optisch die Qualität des Damastes erkennen. Materialien mit solchen Eigenschaften zu entwickeln, ist kompliziert. Christian Dierig sagt: „Wir sind die Einzigen, die diese Stoffe reinweiß ausrüsten können.“ Immer wieder fährt er selbst nach Afrika. Der Unternehmer hat in England und Frankreich studiert. Die Verantwortlichen vor Ort sprechen gern mit dem Chef aus Deutschland.

    Dierig will sich nicht zurückziehen

    Das Geschäft mit den Boubous läuft aber längst nicht mehr so gut. Mali ist ein Krisenherd. Nach Erkenntnissen der Welthungerhilfe muss die Hälfte der Bevölkerung mit weniger als 1,25 US-Dollar am Tag auskommen und lebt damit unterhalb der Armutsgrenze. All das wirkt sich bis nach Augsburg aus – in Form einer deutlich gesunkenen Nachfrage nach Damaststoffen. Es werden aber vor allem weniger Boubous bestellt, weil der Ölpreis um mehr als die Hälfte gegenüber 2014 gefallen ist. Das setzt vor allem dem wichtigen Förderland Nigeria zu. Deshalb haben die Menschen dort weniger Geld zur Verfügung, was auf ganz Westafrika und letztlich die Boubou-Nachfrage bis nach Augsburg ausstrahlt. Die Welt ist ein globales Dorf.

    Andere Unternehmer würden sich aus einem derart problematisch gewordenen Markt zurückziehen. Dierig nicht: „Wir haben zwar unser Engagement angepasst, halten aber weiterhin an unserer Marktpräsenz fest.“ Es brodeln also nach wie vor Färbe-Eimer mit deutschem Damast am Niger. Frauen sind glücklich, dass sie sich damit eine simple Hütte und etwas zum Essen leisten können.

    Für Dierig ist das auch ein Stück Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei hätte der Kontinent aus seiner Sicht viel größeres Potenzial: „Wenn die Politik es zuließe, könnte Afrika wie Asien zum Produktionsstandort werden.“ Doch Korruption und ein nicht funktionierendes Bildungssystem verhinderten das. Am Ende ist der Unternehmer als Kenner des Kontinents desillusioniert: „Afrikaner beuten dort Afrikaner aus.“ Aber mancher Mann aus Mali, der mit dem Boubou-Handel dann doch zu etwas Wohlstand gekommen ist, besucht auch einmal den Ort, wo all die Designs für die Damast-Gewänder entstehen. Dann gehen die Afrikaner in Augsburg zu Ärzten und kaufen sich schon mal Möbel bei Segmüller in Friedberg, gerne durchaus wuchtigere Ledercouch-Garnituren. Globalisierung kann ein Geschäft auf Gegenseitigkeit sein.

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