Die Toten - eine Frau und vier Männer - wurden am Dienstag im überfluteten Heckteil des gekenterten Schiffes vor der Insel Giglio entdeckt, bestätigten ein Sprecher der Gemeinde und die Küstenwache. Wahrscheinlich gibt es auch deutsche Todesopfer. Gegen den Kapitän werden neue, schwere Vorwürfe laut. So belegt ein Gesprächsprotokoll eine völlig chaotische Evakuierung. Der Kapitän gab jedoch an, nach der Kollision noch hunderte Menschen gerettet zu haben.
Eine Bestätigung dafür, dass ein deutsches Todesopfer identifiziert sei, gab es vom Außenministerium in Berlin zunächst nicht. Jedoch sagte der italienische Zivilschutzchef Franco Gabrielli: "Mir scheint, dass das am Montag geborgene Opfer deutscher Nationalität ist." Am Montag wurde die Leiche eines Mannes entdeckt.
Unklarheit herrschte am Dienstag über die Zahl der Vermissten. Italienische Behörden sprachen von 29 Menschen, darunter 14 Deutsche, 6 Italiener, 4 Franzosen, 2 Amerikaner sowie je ein Ungar, Inder und Peruaner. Das Auswärtige Amt geht von 12 Deutschen aus, allerdings wird dort Hinweisen auf weitere Verschollene nachgegangen. Fünf Vermisste stammen demnach aus Hessen, je zwei aus Berlin, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen und eine Frau aus Bayern. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) versprach, das Schicksal der Vermissten schnell aufzuklären. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
Bei den zuletzt geborgenen Toten handelt es sich um eine Frau und vier Männer im Alter von 50 bis 60 Jahren. Nach Angaben der Küstenwache trugen sie Schwimmwesten und wurden an einem Sammelpunkt gefunden.
Der Kapitän des Unglücksschiffes, Francesco Schettino, wird unter Hausarrest gestellt. Das entschied die zuständige Richterin von Grosseto, Valeria Montesarchio, nach einer dreistündigen Anhörung des 52-jährigen Kapitäns am Dienstag, wie italienische Medien am Abend berichteten. Der Kapitän war auf Antrag der Staatsanwaltschaft am vergangenen Samstag festgenommen worden. Die Staatsanwälte hatten von Fluchtgefahr gesprochen. Schettino werden mehrfache fahrlässige Tötung, Havarie und Verlassen des Schiffes mitten in der Evakuierung vorgeworfen. Ihm drohen bei einer Verurteilung bis zu 15 Jahre Haft.
"Ich hatte das Kommando", räumte der 52-Jährige bei dem Haftprüfungstermin ein, wie die Nachrichtenagentur Ansa berichtete. Er habe das Schiff aber nicht aufgegeben, vielmehr mit dem Kurs nach der Kollision noch hunderte oder tausende Menschenleben gerettet. Die Staatsanwaltschaft forderte dennoch eine Verlängerung der Haft für den Kapitän, an den Anschuldigungen gegen ihn habe sich nichts geändert. Medien zitierten aus Ermittlerkreisen, wonach der Kapitän auch auf Drogenkonsum untersucht werden solle.
Veröffentlichte Gespräche zwischen Küstenwache und Kapitän belasten Schettino noch mehr: Sie könnten zeigen, dass er das Problem heruntergespielt, das Schiff tatsächlich verfrüht verlassen und die Passagiere sich selbst überlassen hat. Er soll sich auch mehrfach geweigert haben, an Bord zurückzukehren. In Rom meinten Parlamentarier, es müsse wegen seines bizarren Verhaltens geklärt werden, ob etwa Drogen im Spiel gewesen seien.
Der 52-Jährige soll eigenmächtig die gefährlich nahe Route gewählt haben, um seinem von der Insel stammenden Oberkellner Antonello Tievoli die Möglichkeit zu geben, Giglio zu grüßen. Medienberichten zufolge hatte dessen Schwester auf dem sozialen Netzwerk Facebook angekündigt, dass die "Costa Concordia" bald ganz nah vorbeifahren werde. Es war nicht das erste Mal, dass ein Kreuzfahrtschiff zu nahe an die Insel kam.
Der 290 Meter lange Kreuzer mit mehr als 4200 Menschen an Bord hatte am Freitagabend einen Felsen gerammt und war leckgeschlagen. Er liegt derzeit in starker Schräglage vor der Insel und droht abzurutschen und zu versinken. Naturschützer fürchten, dass Treibstoff das fragile Ökosystem weit über die toskanische Insel hinaus verschmutzt.
Zwei bis fünf Wochen werde es dauern, die knapp 2400 Tonnen Treibstoff aus den 21 vollen Tanks der "Costa Concordia" zu pumpen, erklärte Max Iguera von der beauftragten niederländischen Bergungsfirma Smit Salvage. Am Mittwoch soll das Abpumpen des Öls vorbereitet werden.
Weil der Kapitän nach der Kollision mit dem Felsen keine Order gegeben und nur telefoniert habe, hätten Teile der Besatzung praktisch "gemeutert" und allein Rettungsboote fertiggemacht, berichtete der "Corriere della Sera". "Es reicht, evakuieren wir das Schiff", zitierte die römische "La Repubblica" Besatzungsmitglieder.
Nach einer Pause über Nacht setzten die Rettungsmannschaften auch Sprengstoff ein, um durch die Außenhaut ins Innere zu gelangen und sich einen Weg durch Trümmer und Hindernisse zu bahnen, sagte ein Sprecher der Küstenwache. In dem Schiff soll auch eine 71-Jährige aus Baden-Württemberg sein, wie die Polizei in Esslingen mitteilte.
Die italienischen Behörden gehen davon aus, dass das Wetter bis Donnerstag gut bleibt. Die Rettungsarbeiten könnten auf jeden Fall solange fortgesetzt werden.
Italiens Umweltminister Corrado Clini sagte, zur Bewältigung des Unfalls werde der Notstand erklärt. Es gehe darum, die knapp 2400 Tonnen Treibstoff so schnell wie möglich aus den Tanks des Schiffes zu holen. Die Reederei Costa Crociere müsse bis Mittwoch einen Plan für das Abpumpen vorlegen und innerhalb von zehn Tagen angeben, wie sie das gekenterte Schiff abtransportieren wolle. Clini befürchtet erhebliche Umweltschäden, sollte der Treibstoff auslaufen, zumal das Wrack in die Tiefe abrutschen und auch ganz versinken könnte könnte.
Auch Naturschützer befürchten Schlimmes: "Bei einem Austritt stellt das Öl eine tödliche Gefahr für zehntausende Meerestiere dar, die in dem 1996 gegründeten Nationalpark Toskanischer Archipel leben", so der Meeresschutzexperte Kim Detloff vom Naturschutzbund Deutschland. Der Umweltschutzbund WWF warnte: "Die Unglücksstelle liegt mitten im Pelagos-Meeresschutzgebiet. Das ist das wichtigste Walschutzgebiet im Mittelmeer. Da sind acht Walarten zu Hause, von Delfinen bis Pottwale oder Finnwale", sagte der WWF-Experte Jochen Lamp.
Auch der materielle Schaden ist gewaltig. Möglicherweise müssen die Versicherer einen Schaden von mehr als einer halben Milliarde Euro einkalkulieren. Die Summe von 500 Millionen Euro könne leicht überschritten werden, berichtete die "Financial Times Deutschland" unter Berufung auf Versicherungskreise.
Nach dem Schiffsunglück erwägt nun die EU-Kommission strengere Regeln für die Sicherheit auf Schiffen in der EU. Eine bereits laufende Überprüfung der Gesetzgebung für Passagierschiffe soll nun schneller abgeschlossen werden, sagte die Sprecherin von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas in Brüssel. (dpa)