Oliver Schmidt kam nicht ein „Wir“ über die Lippen. Der Fußball-Kommentator des ZDF wahrte beim Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die USA professionelle Distanz, sprach von der „deutschen Mannschaft“, die ihre Räume gefunden habe oder von den „Deutschen, die immer wieder versuchen, über die Flügel zu kommen“. Als die Partie vor sich hin plätscherte, redete er eine halbe Minute lang kein Wort, wenig später rang er sich sogar zu einer Kritik durch: Die deutsche Elf habe Probleme beim Umschalten, das sei schon gegen Ghana aufgefallen.
"Ranschmeiß-Journalismus"
Man kann davon ausgehen, dass Schmidt die Debatte mitbekommen hat, die sich in dieser Woche an der WM-Berichterstattung von ARD und ZDF entzündete. Der Berliner Tagesspiegel sprach von „Hofberichterstattung aus Brasilien“ und „Ranschmeiß-Journalismus“ der Öffentlich-Rechtlichen, der Stern unterstellte „größtmögliche Nähe bei höchster Anbiederungsstufe“.
Vor allem Katrin Müller-Hohenstein war die Zielscheibe der Kritik: Die ZDF-Moderatorin war während der EM 2012 noch die Frontfrau des Senders gewesen und wurde vor der WM zu Vor-Ort-Berichterstatterin im deutschen Mannschaftsquartier degradiert. Dort lobte sie seitdem Co-Trainer Hansi Flick für seine Gesichtsbräune und fragte, welche Musik er in seinem Bungalow hört. Sie interviewte Lukas Podolski am Pool und ließ dabei die Füße ins Wasser baumeln. Zu Joachim Löw stellte sie die wenig investigative Frage in die Kamera: „Wie cool ist dieser Mann eigentlich?“ Kritik an Müller-Hohenstein: Schluss mit dem elitären Genöle
ARD-Sportkoordinator verteidigt Berichterstattung
Die seichte Fragerei kam bei vielen nicht gut an. Müller-Hohenstein musste über sich lesen, sie verhalte sich wie ein Groupie. Auch ARD-Kommentator Gerd Gottlob, der im Eröffnungsspiel von „wir“ und „uns“ gesprochen und dabei die DFB-Elf gemeint hatte, musste sich Häme gefallen lassen. ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky verteidigte die Berichterstatter daraufhin und sagte, angesichts der Heftigkeit der Kritik stelle sich die Frage, ob sich die Wertigkeiten nicht sehr verschoben hätten. Für ihn sei das Meiste schlicht Geschmackssache.
Ganz neu ist vor allem die Kritik an den Kommentatoren nicht. Michael Schaffrath, Professor für Sport, Medien und Kommunikation an der TU München, bezeichnet sie als „Evergreen“. So ist ZDF-Mann Béla Réthy unter Fußballfans seit Jahren umstritten, die Facebook-Gruppe „Béla Réthy gefällt mir nicht“ hat mittlerweile mehr als 7000 Unterstützer. Medienexperte Schaffrath findet, dass man die WM-Berichterstattung differenziert betrachten müsse. „Gerd Gottlob hat es im ersten Spiel übertrieben und zu oft von wir oder uns gesprochen“, sagt Schaffrath. Dafür hätten die anderen Kommentatoren bislang darauf verzichtet. Die Kritik an Müller-Hohenstein teilt Schaffrath nicht. Ihre Aufgabe sei es, hinter die Kulissen der Nationalmannschaft zu blicken und Facetten aufzugreifen, für die sich auch Menschen interessierten, die nur bei einer WM oder EM zuschauen.
Kommentatoren: Neutralität trotz Emotionssport Fußball
Der Medienexperte hält die Aufgabe der Kommentatoren und Moderatoren bei der WM grundsätzlich für nicht ganz einfach. Sie müssten als Journalisten ein gewisses Maß an Neutralität und Distanz einhalten. „Aber Fußball lebt auch von Emotionen. Hier muss man eine vernünftige Balance finden.“ Das Spiel Deutschland gegen USA hatte 27 Millionen Zuschauer. Allen würde man es nie recht machen können, sagt Schaffrath. Ohnehin sei Kommentierung auch eine Frage des Zeitgeistes. „Wenn man sich anschaut, wie nüchtern Ernst Huberty das Jahrtausend-Spiel zwischen Deutschland und Italien bei der WM 1970 in Mexiko kommentiert hat – das würde heute kaum noch ein Zuschauer akzeptieren.“