Manche Dinge ändern sich nie. So schreibt der Fußball-Weltverband Fifa seit 1913 zentimetergenau vor, wie weit entfernt die Mauer bei Freistößen zu stehen hat. „Alle Gegenspieler sind mindestens 9,15 Meter vom Ball entfernt“, heißt es im Regelwerk. Damit die Spieler diese Distanz auch wirklich einhalten, mussten Schiedsrichter bislang auf ihre Autorität vertrauen. Immerhin hatten sie Orientierungshilfe: 9,15 Meter oder zehn englische Yards – das ist zugleich der Radius des Mittelkreises auf dem Spielfeld und des Halbkreises vor dem Strafraum.
Meistens positionieren die Unparteiischen die Mauer sehr genau, auch wenn es vorkommt, dass Spieler heimlich nach vorne schleichen, sobald der Schiedsrichter sich wegdreht. Aus 9,15 Metern Abstand werden dann schnell mal acht Meter oder gar sieben. Bei der WM in Brasilien ist es mit der Schummelei vorbei: Dort tragen die Schiedsrichter eine Dose mit 147 Millilitern Inhalt am Hosenbund mit sich und machen bei Freistößen von ihr Gebrauch: Mit einem Spray markieren sie den Abstand auf dem Spielfeld und ziehen zudem eine Linie vor dem Ball, damit sich die Schützen keinen Vorteil verschaffen. Die weiße Substanz erinnert optisch an Rasierschaum.
Freistoß-Spray soll für mehr Tore sorgen
Die Idee dazu hatte einst der argentinische Amateurfußballer Pablo Silva – angeblich, weil Gegenspieler bei einem Freistoß von ihm bis auf fünf Meter herantippelten und sich Silva darüber ärgerte. Das Produkt trägt den Namen „915 Fair Play Limit“ und ist laut Website eine „Flüssiggas-Substanz, biologisch abbaubar und harmlos für den Rasen“. Die Fifa erhofft sich von dieser harmlosen Substanz viel: Sie soll nicht nur für mehr Fairness sorgen, sondern auch für mehr Tore. Der Fußball-Weltverband hat das Freistoß-Spray im vergangenen Jahr bei der U-20-WM und bei der Klub-WM eingesetzt und zuvor in argentinischen und mexikanischen Profiligen getestet. Zumindest dort erhöhte sich die Anzahl der Treffer pro Spiel tatsächlich.
Nicht jeder ist allerdings von der Neuerung begeistert. Zum Beispiel Franz Beckenbauer. „Das Dingsda ist wohl eher als Ausführungsverhinderung gedacht“, ätzte er, nachdem der FC Bayern München das Halbfinale der Klub-WM gegen Guangzhou Evergrande aus China gewonnen hatte. Manuel Neuer sah es ähnlich. „Wir hätten gerne schnell gespielt“, erklärte der Torwart. „Aber der Schiedsrichter musste ja Farbe aufs Feld malen.“ Nach Deutschland wird der Schaum vorerst nicht kommen. Der Vorsitzende des DFB-Schiedsrichterausschusses Herbert Fandel erklärte, er finde das Spray überflüssig. Der DFB setze darauf, dass die Unparteiischen mit ihrer Autorität dafür sorgen, dass die Abstände korrekt eingehalten werden.
Ein ehemaliger Top-Schiedsrichter Deutschlands lobt hingegen das Spray. Markus Merk, der als Experte für das türkische Fernsehen wöchentlich Spiele der brasilianischen Liga analysiert, hält den Vorwurf, dass es das Spiel verzögere, für nicht haltbar. Stattdessen diszipliniere es die Spieler. ARD-Moderator Reinhold Beckmann löste beim WM-Spiel der Elfenbeinküste gegen Japan zumindest eine andere Frage um den Schaum auf. „Schmeckt nach nix“, stellte er fest.