Trainer, Spieler und Fans werden sich noch lange an das 4:4 gegen Schweden erinnern. Vor allem an die groteske Genese dieses Ergebnisses. Es war ja keine Fußballspiel gewordene Achterbahnfahrt, die die Akteure auf den Rasen des Berliner Olympiastadions brachten. Es war ein gewaltiges Auf mit einem ebenso tiefen Ab. Ein Fußballspiel gewordener Hau-den-Lukas.
Man wolle jetzt Lehren aus dem Spiel ziehen, den Finger in die Wunde legen, sagen Joachim Löw und Oliver Bierhoff. Nett gesagt. Und wohl der ersten unvermeidlichen Schockstarre nach dem Schauspiel geschuldet. Was für Lehren sollen aus einer derartigen Partie gezogen werden? Einem Spiel, das keinem roten Faden folgte. Das sich an keine Regel hielt und auch deswegen so schaurig aufregend war. Wieso den Finger in die Wunde legen? Als wären Hohn und Spott nicht schon schmerzhaft genug. Als wüssten die Spieler nicht, dass sie Protagonisten einer einzigartigen 4:4-Niederlage waren. DFB-Elf verspielt Vier-Tore-Vorsprung
Es gibt keine Lehren zu ziehen. Spiele wie jenes gegen Schweden lassen sich kaum erklären. Spiele wie dieses gibt es einfach mal. Selten. Aber es gibt sie.
Das Remis gegen Schweden ist allerdings ein weiterer Anhaltspunkt, dass es dem DFB-Team an einem notwendigen Schutzmechanismus fehlt. Das ist schwerwiegender als manch unerklärlicher Fehler. Wann immer die DFB-Auswahl in den vergangenen Monaten auf einen Gegner gestoßen ist, der auf unerwartete Weise Widerstand leistete, hatte die Nationalmannschaft nur unzureichende Antworten parat. Wenn sich die deutsche Mannschaft wider Erwarten erbitterter Gegenwehr gegenübersteht, tut sie sich schwer. Spielerisch ist die Mannschaft den meisten anderen Mannschaften - auch den meisten anderen Weltklasseteams - überlegen. Das ist ein großer Verdienst des Bundestrainers. Kein Fan wünscht sich den schäbigen Fußball der frühen Nullerjahre zurück.
Niederlagen trotz Überlegenheit
Gerät das furiose Kombinationsspiel aber einmal ins Stocken, reagiert Hilflosigkeit. Das war im Halbfinale der EM der Fall, als man kein geeignetes Mittel gegen die Zwei-Stürmer-Strategie der Italiener fand. Das war gegen Österreich vor wenigen Wochen der Fall, als die Mannschaft kein Mittel fand, einen euphorisch anrennenden Gegner kalt in die Schranken zu weisen.
Eine Variation davon war das Champions-League-Finale des FC Bayern München gegen den FC Chelsea. Die Nationalmannschaft speist sich größtenteils aus den Münchnern. Im Finale jedenfalls war der FC Bayern drückend überlegen. Die Münchner machten ein tolles Spiel. Aber sie schafften es nicht, diese überlegen geführte Partie einem positiven Ausgang entgegenzuführen.
Für all diese Auftritte lassen sich auch alternative Begründungen finden. Die gegen Italien gewählte Aufstellung und Taktik Löws wirkte unausgereift. Gegen Österreich waren die deutschen Spieler noch nicht im Rhythmus. Gegen Chelsea hatten die Bayern gleich mehrmals die Chance, das Spiel zu entscheiden. Stimmt alles. Und trotzdem: Immer, wenn es in den vergangenen Monaten eng wurde, schaffte es die Mannschaft nicht, die Aufgabe überzeugend zu lösen. Es gab keinen Schutzmechanismus, der dem deutschen Spiel Sicherheit in kritischen Phasen verlieh. Löw und Lahm ratlos: "Unglaublich schwach"
Natürlich keimen nun wieder Führungsspielerdebatten auf. Die mangelnde Siegermentalität wird beklagt werden. Es gibt nun mal kein Alphatier wie Ballack. Es braucht ihn nicht zwingend (siehe die spanische Nationalmannschaft). Und man kann ihn sich nicht backen. Kleiner Nebenaspekt: Ballack wurde lange Zeit für seine mangelnde Fähigkeit kritisiert, eine Mannschaft führen zu können.
Woher soll einer Siegermentalität in der derzeitigen Mannschaft kommen? Von den Spielern des FC Bayern?
So lange die jetzige Mannschaft aber nicht dauerhaft zeigt, in schwierigen Situationen die richtigen Entscheidungen zu treffen, wird die Kritik anhalten. Und möglicherweise befindet sich doch ein Fünkchen Wahrheit in ihr. Nur die Nationalmannschaft kann das Gegenteil beweisen.