Man wird das Alter nicht merken, wenn er demnächst in Brasilien wieder von der Ersatzbank aus mit wehendem Haar zur Unfallstelle eilt. Er war früher Sprinter. Lief die 100 Meter in elf Sekunden. Es sind oft nur ein paar Augenblicke, die er neben einem verletzten Spieler kniet. Er legt einen Finger an, prüft die Muskelspannung, gleitet auf dem Muskel auf und ab. Was folgt, lässt Laien staunen und Kollegen zweifeln: „Ich tauche quasi in den Muskel ein, finde mich in der Anatomie zurecht und kann ertasten, ob es Unregelmäßigkeiten gibt. Ich sehe mit den Fingern“, hat er das einmal erklärt. Lothar Matthäus, oft von Müller-Wohlfahrt behandelt und zum Leidwesen des Bayern-Docs kurz mit dessen Tochter Maren verbandelt, diagnostizierte seinerseits: „Er hat Radarfinger.“
Mediziner zweifeln an Müller-Wohlfahrs "Fingerdiagnose"
Es gibt freilich auch Mediziner, die an Müller-Wohlfahrts Methoden zweifeln. Vieles sei nicht belegt. Zudem beäugen sie sein Unternehmertum auf dem Feld der Nahrungsergänzungsmittel kritisch. An Müller-Wohlfahrt prallt das ab. Der Sportarzt ist sich seiner Sache sicher. Auch wenn er eher zurückhaltend auftritt – er kann auch grantig werden. Der erneute Bänderriss des Bayern-Spielers Thiago hätte vermieden werden können, kritisierte Müller-Wohlfahrt. Angesprochen fühlen musste sich Pep Guardiola. Der Trainer habe nach Thiagos erster Verletzung zu wenig Geduld gehabt, so der Verwurf. Das Verhältnis zwischen beiden ist belastet.
WM 2014: Nationalspieler vertrauen Müller-Wohlfahrt
Die Spieler dagegen vertrauen ihrem „Doc“ auch dann noch, wenn sie schon lange nicht mehr in der Nationalelf oder beim FC Bayern engagiert sind. Wer ein Ziehen im Zehen verspürt, nimmt die nächste Maschine nach München,wo Müller-Wohlfahrt eine 1600 Quadratmeter große Praxis betreibt, die später Sohn Kilian übernehmen soll.
Das alles aber ist nicht das Leben, das für den jüngsten von drei Söhnen einer ostfriesischen Pastorenfamilie mal vorgesehen war. Hans-Wilhelm, so hatte sein Vater geplant, sollte als Theologe die Gemeinde übernehmen und das Wort Gottes predigen. Der Sohn aber hörte lieber in Muskeln und Bänder hinein.