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WM 2014: Cacau: "Nur die Wut scheint zu bleiben"

WM 2014

Cacau: "Nur die Wut scheint zu bleiben"

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    Cacau war bei der vergangenen Weltmeisterschaft in Südafrika noch Mitglied der deutschen Nationalmannschaft.
    Cacau war bei der vergangenen Weltmeisterschaft in Südafrika noch Mitglied der deutschen Nationalmannschaft. Foto: Marcus Brandt

    Herr Cacau, vor vier Jahren standen Sie selbst im Kader für die WM. Haben Sie Löws Nominierung für die Weltmeisterschaft in Ihrem Heimatland Brasilien nun mit Wehmut verfolgt?

    Cacau: Nein, nicht wirklich. Dazu hat sich zu viel verändert. Diese Zeit damals war der Höhepunkt meiner Karriere. Die jetzige Entwicklung hat sich abgezeichnet, nachdem ich bei der EM 2012 nicht dabei war. Dazu wurde ich immer wieder durch Verletzungen zurückgeworfen. Ich konnte das also absehen und im Kopf verarbeiten.

    Gab es ein Gespräch mit Joachim Löw?

    Cacau: Nein, nicht wirklich. Das letzte längere Gespräch war vor zwei Jahren, als er mir gesagt hat, dass ich nicht bei der EM 2012 dabei sein werde.

    Damals wie heute: Können Sie Löws Entscheidung nachvollziehen oder haben Sie mit ihr gehadert?

    Cacau: 2012 war ich froh, als er mich in den erweiterten Kader holte. Das hatten nicht viele erwartet. Damals hatte ich im Verein ein Problem mit dem Trainer. Ich hatte die realistische Chance auf eine EM-Teilnahme und er hat mir zugesichert, mir helfen zu wollen. Aber aufgestellt hat er mich kaum. Dass mir der Bundestrainer trotzdem vertraut hat, hat mich sehr stolz gemacht. Letztlich hat Löw meine Nichtberücksichtigung damit begründet, dass er einen Defensivmann mehr mitnehmen wollte. Natürlich war das eine Enttäuschung für mich, aber mit welcher Menschlichkeit mich Löw behandelt hat, hat meinen Respekt für ihn noch gesteigert. Das lief alles sehr fair ab.

    Seit über vier Jahren sind Sie jetzt auch deutscher Staatsbürger. Wie fällt Ihre Bilanz als Deutscher aus?

    Cacau: Deutschland ist ein Land, das vielen eine Chance gibt – wenn man das denn will. Natürlich ist Integration auch ein Prozess. Wer hierherkommt, muss sich auf das Land einlassen, er muss die Sprache lernen. Er muss auch kämpfen, um sich durchzusetzen. Ich kann aus Deutschland kein Brasilien machen. Was ich damit sagen will: Ich kann nicht die Leute verändern, sondern ich muss mich ändern. Ich muss mich anpassen. Das ist wichtig. Wer dazu bereit ist, dem stehen in Deutschland alle Türen offen.

    Wenn Sie jetzt auf Ihr Geburtsland blicken: Was könnte die Fußball-WM für Brasilien bewirken?

    Cacau: Das ist eine sehr schwierige Frage. Die WM hat eine riesengroße Chance geboten. Beispielsweise hätte die Verkehrsinfrastruktur in vielen Bereichen nachhaltig verbessert oder es hätte etwas für Krankenhäuser, Schulen oder Universitäten getan werden können. Aber das ist nicht geschehen. Man war nicht gewillt, das Beste für das Land zu tun, sondern viele haben versucht, das Beste für sich rauszuholen. Dazu wurden Versprechungen beim Stadienbau nicht eingehalten. Die Politik sagte, dass kein Real (brasilianische Währung) an Steuergeldern dafür verwendet werden würde – und jetzt stehen wir bei einer Beteiligung der öffentlichen Hand von bis zu 80 Prozent. Im Moment scheint es so, dass nur die Wut auf die Regierung nachhaltig bleibt. Aber auch das könnte positiv sein, wenn man seine Unzufriedenheit zum Guten nutzt: Wir haben in diesem Jahr noch Präsidentschaftswahlen. Da sollten sich die Menschen einbringen.

    Wird vom Ausland zu viel von Brasilien als Ausrichter erwartet?

    Cacau: Brasilien hatte sieben Jahre Zeit, um die Stadien zu bauen. Es spricht gegen uns, dass das Stadion für das Eröffnungsspiel in São Paulo erst kurz vor knapp eröffnet wurde und man jetzt noch nicht weiß, ob alles fertig wird. Das geht nicht. Das hat mit Organisation zu tun. Ich denke, Brasilien hat den Druck aus Europa gebraucht, um überhaupt voranzukommen. Dass dies aber keine Weltmeisterschaft wie 2006 in Deutschland werden wird, ist auch klar. Diese Perfektion kann man von Brasilien nicht erwarten.

    In Brasilien ist noch keinerlei WM-Stimmung zu spüren. Woran liegt das?

    Cacau: Das ist der Frust, der überwiegt. Die Menschen haben das Gefühl, dass sie betrogen werden. Dass sie nicht ernst genommen werden. Das Volk hat erst jetzt kapiert, welche Macht es hat und welchen Einfluss es haben könnte. Das will es jetzt auch zeigen. Die Menschen sagen: Warum soll ich mich auf die WM freuen, wenn so viel schief läuft? Jeden Tag wird im Fernsehen gezeigt, was nicht funktioniert. Da kann keine Stimmung aufkommen. Aber das war vor dem Confed-Cup-Turnier 2013 auch nicht anders – und dann hat man gesehen, welch tolle Stimmung in den Stadien geherrscht hat.

    Werden Sie bei der WM vor Ort sein?

    Cacau: Ja, ich werde für das ZDF beim Eröffnungsspiel, beim Spiel Spanien – Niederlande und dann nochmals beim Spiel Brasilien gegen Mexiko als Interviewgast dabei sein. Nach der Vorrunde sehen wir weiter. Auf jeden Fall will ich privat so viele Spiele anschauen, wie es geht – mindestens auch ein Spiel der Deutschen.

    Vor Kurzem erschien ihr Leben als Buch „Cacau – immer den Blick nach oben“. Normalerweise blicken Spieler nach Ihrer Karriere zurück. Was war bei Ihnen der Impuls, Ihre Erinnerungen aufschreiben zu lassen?

    Cacau: Ich hatte schon immer den Wunsch, dass meine Kinder meine Geschichte nachlesen können. Denn es war ein langer Weg aus Brasilien nach Deutschland. Mir ist wichtig, dass sie nicht vergessen, wo ich herkomme und damit auch, wo sie herkommen. Meine Kinder haben heute ein viel besseres Leben, als ich es damals hatte. Man vergisst leicht, wie gut es einem geht.

    Verspüren Sie besondere Dankbarkeit, es aus ärmlichen Verhältnissen in Brasilien in ein privilegiertes Leben als Fußball-Profi geschafft zu haben?

    Cacau: Zu solch einem Weg gehört vieles: Talent, Wille, Ausdauer, Glück. In meinem Fall sage ich aber auch: Gott hat mir die Chance eröffnet. Er hatte einen Plan für mich, wie er ihn für jeden Menschen hat. Trotzdem muss man kämpfen und alles geben. Gott eröffnet die Möglichkeit, der Mensch muss sie annehmen. Ich habe viele erlebt, die ähnlich gute Spieler waren wie ich, die es aber nicht geschafft haben.

    Sie sind ein gläubiger Mensch. Beeindruckt Sie der neue Papst Franziskus?

    Cacau: Ehrlicherweise habe ich ein Problem mit der Institution Kirche. Was ich an Franziskus gut finde, ist seine Menschlichkeit. Sich den Armen, den Ausgegrenzten zuzuwenden, das hat schließlich Jesus auch getan. So muss es sein, so lehrt es uns die Bibel.

    Der VfB Stuttgart hat den Vertrag mit Ihnen nicht verlängert. Wie sieht Ihre sportliche Zukunft aus?

    Cacau: Ich bin für alles offen. Ich werde zusammen mit meinem Berater die Angebote sortieren, dann wird man sehen. Ich will mindestens noch zwei Jahre spielen, aber nach der Karriere werden wir in unser Haus in Korb bei Stuttgart zurückkommen. Das ist die neue Heimat meiner Familie.

    Interview: Achim Muth

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