Der 1. März ist in Bosnien-Herzegowina Unabhängigkeitstag. Aber nicht alle in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik feiern mit. In der Republika Srpska, in der die serbische Volksgruppe lebt, ignorieren sie das Datum einfach. Und nicht einmal der Fußball, von allen Ethnien gleichermaßen geliebt, kann die Menschen versöhnen.
Der einzig wahre bosnische Nationalfeiertag fand nämlich am 15. Oktober 2013 statt. An diesem nasskalten Abend erlebte die Fußball-Nationalmannschaft und damit die gesamte Sportnation ihre bislang größte Sternstunde. Vedat Ibisevic vom VfB Stuttgart schoss die „Zlatni Ljiljani“, die „Goldenen Lilien“, in Kaunas im letzten WM-Qualifikationsspiel zum 1:0-Sieg über Gastgeber Litauen und damit erstmals zu einer Weltmeisterschaft.
Die Welle der Begeisterung erfasste das halbe Land. Mehrere zehntausend Fans feierten in den Straßen der Hauptstadt Sarajevo. Als die Mannschaft um 1.30 Uhr wieder in der Heimat gelandet war, wurde sie noch mitten in der Nacht in einem offenen Bus vom Flughafen ins Stadtzentrum gefahren. „Was für ein großartiger Abend“, sagte Trainer Safet Susic.
Aber eben nicht für alle. In der Stunde des bislang größten sportlichen Erfolgs zeigte sich einmal mehr, wie zerrissen dieses kleine gebeutelte Balkan-Land immer noch ist. 18 Jahre nach dem Ende des Bosnien-Krieges, in dem zwischen 1992 und 1995 über 100 000 Menschen ihr Leben verloren.
Während sie in Sarajevo, dem Schauplatz der Olympischen Winterspiele 1984, und anderswo durch die Straßen tanzten, soll die Reaktion in der Republika Srpska, die 49 Prozent der Fläche des Landes ausmacht, „kälter als kühl“, so Beobachter, gewesen sein. Dort träumen sie ohnehin von einer eigenen Nationalmannschaft. Nicht mal der geliebte Fußball kann die Gräben zuschütten, die verbitterten Menschen für einen Augenblick versöhnen.
Kapitän Emir Spahic war das aber im Moment der Glückseligkeit egal. „Danke an alle in Bosnien-Herzegowina und auch danke an all jene, die gegen uns waren“, sagte der Verteidiger von Bayer Leverkusen mit einer Mischung aus Ironie und Bitterkeit.
Der sportliche Erfolg der wirtschaftlich und politisch weiter vor sich hin vegetierenden jungen Nation, die kaum größer als Niedersachsen ist und mit knapp vier Millionen etwa so viele Einwohner wie Rheinland-Pfalz hat, kommt nicht von ungefähr. Mit Vedad Ibisevic (VfB Stuttgart), Sejad Salihovic (1899 Hoffenheim), Emir Spahic (Bayer Leverkusen), Sead Kolasinac (Schalke 04), Ermin Bicakcic (Eintracht Braunschweig) und Mensur Mujdza (SC Freiburg) sowie Torwart Jasmin Fejzic vom Zweitligisten VfR Aalen stehen sieben Bundesliga-Legionäre im WM-Aufgebot. So viel wie in keinem anderen Team in Brasilien außer der Elf von Joachim Löw. Und mit dem in München geborenen Zvjezdan Misimovic, der unter anderem bei den Bayern, dem VfL Bochum, dem 1. FC Nürnberg sowie dem VfL Wolfsburg kickte und heute bei Guizhou Renhe in China sein Geld verdient, dem Ex-Wolfsburger Klassestürmer Edin Dzeko (Manchester City) sowie Miralem Pjanic (AS Rom) hat der WM-Debütant weitere internationale Stars in seinen Reihen.
Gut möglich also, dass sie in diesem Sommer in Bosnien-Herzegowina noch öfter ausgelassen feiern werden. Wenn auch nicht alle.
Unser Tipp Die „Goldenen Lilien“ verabschieden sich nach der Vorrunde.
WM-Aufgebot
Torhüter Begovic (Stoke City), Avdukic (Borac Banja Luka), Fejzic (VfR Aalen)
Abwehr Spahic (Bayer Leverkusen), Sunjic (Zorya Lugansk/Ukraine), Kolasinac (FC Schalke 04), Vranjes (Elazigspor/Türkei), Zukanovic (KAA Gent), Bicakcic (Eintracht Braunschweig), Besic (Ferencvaros Budapest)
Mittelfeld Pjanic (AS Rom), Hajrovic (Galatasaray), Mujdza (SC Freiburg), Medunjanin (Gaziantepspor), Lulic (Lazio Rom), Hadzic (Sturm Graz), Susic (Hajduk Split), Salihovic (1899 Hoffenheim), Misimovic (Guizhou Renhe/China), Ibricic (Kayseri Erciyesspor/Türkei), Vrsaljevic (Hajduk Split)
Angriff Ibisevic (VfB Stuttgart), Dzeko (Manchester City), Visca (Istanbul BB)
WM-Teilnahmen 0
Anzahl registrierter Fußballer 69 040
Größtes Stadion Asim Ferhatovic Hase in Sarajewo (35 000 Zuschauer)