Debakel, Demontage, Demütigung - selbst dem honorigen Vicente del Bosque fehlten die Worte, das Erlebte beim 1:5 (1:1) gegen die Niederlande adäquat zu beschreiben. Die zweithöchste Niederlage in der spanischen WM-Geschichte hinterließ beim vor dem Turnierstart so zuversichtlichen Erfolgstrainer Spuren. "Es ist kein glücklicher Moment, ich fühle mich sehr schlecht, bin enttäuscht", gab del Bosque zu. Der 63-Jährige wirkte mitgenommen, hütete sich aber davor, sich zur Kritik an einzelnen Akteuren hinreißen zu lassen. "Das tue ich nie. Ich werde jetzt nicht mit dem Finger auf einzelne Spieler zeigen. Wir haben alle versagt und uns blamiert."
Bisher hatte Spanien nur 1950 beim 1:6 gegen Brasilien mehr Tore kassiert als am Freitagabend gegen die in der zweiten Spielhälfte wie im Rausch auftrumpfenden Holländer. "1:5 - eine Katastrophe von historischem Ausmaß. Spanien kassiert in einem Spiel mehr Gegentreffer als bei der WM 2010 und der EM 2012 zusammen", rechnete die Sportzeitung "Marca" am Samstag vor. Selbst die seriöse "El País" sparte nicht mir harscher Kritik: "Die spanische Elf, die seit 2008 in keinem EM- oder WM-Spiel mehr als ein Gegentor kassiert hat, erlebt einen totalen Kollaps, ein Inferno. Der Weltmeister liegt am Boden." Auch "As" sprach von einem "Totalschaden" und sieht das Ende einer Ära schon gekommen: "Van Persie und Robben zerstören die spanische Abwehr. Spaniens glorreiche Fußballer-Generation zeigt Symptome der Erschöpfung."
Das ist genau die Frage, die sich nun wohl jeder stellt. Hat der einst so erfolgreiche "Tiki-Taka"-Stil der Ü-30-Generation um Andrés Iniesta, Xavi und Xabi Alonso ausgedient? Oder ist das 1:5 nur eine schmerzhafte Momentaufnahme? Del Bosque sieht "kein Fitnessproblem", wirkte aber dennoch ratlos: "Ich finde keine Worte, die Gegentore zu erklären."
"Entweder wir gewinnen, oder wie sterben mit Stil"
Unübersehbar war, dass die Spanier nach der glücklichen Führung von Xabi Alonso (27./Foulelfmeter) und dem Ausgleich durch Robin van Persie (44.) in der zweiten Spielhälfte nichts mehr zusetzen hatten. Oranje dagegen drehte mächtig auf und kam durch den überragenden Arjen Robben (53./80.) sowie Stefan de Vrij (64.) und abermals van Persie (72.) zu weiteren Treffern. Die sonst so stabile Abwehr um Champions-League-Sieger Sergio Ramos und Gerard Piqué glich einem Torso, Torhüter Iker Casillas strahlte auch keine Sicherheit aus und hatte vor dem 1:4 durch van Persie einen Blackout.
Barcelonas Mittelfeldstar Xavi hatte noch einen Tag vor dem Duell betont, man werde den seit vielen Jahren erfolgreichen Spielstil mit viel Ballbesitz- und Kontrolle nicht verändern. "Entweder wir gewinnen, oder wir sterben mit dem Stil." Nun es gibt nicht wenige, die bereits den Beerdigungstermin kommen sehen.
Der niederländische Trainer Louis van Gaal hatte das Problem der Spanier erkannt und seine gesamte Taktik danach ausgerichtet. Seine Mannschaft stand kompakt, verteidigte mit sieben Mann und nutzte mit ihren überfallartigen Kontern über die schnellen Robben und van Persie die Schwächen der alternden Weltmeister gnadenlos aus. Als van Gaal nach seiner Meinung zum körperlichen Zustand der Spanier gefragt wurde, wand er sich wie ein Aal, um dem Gegner nicht zu nahe zu treten. "Man hat jedenfalls gesehen, dass meine Mannschaft extrem fit ist. Bei diesen klimatischen Verhältnissen kannst du nicht 90 Minuten nach vorne spielen."
Dabei ließen die Spanier den Ball zunächst gut kreiseln, verbrauchten aber auch viel Energie und versäumten es, das zweite Tor nachzulegen. 70 Prozent Ballbesitz hatten sie vor der Pause, am Ende relativierte sich die Quote auf 57:43 Prozent. "Wir waren der Sache heute nicht gewachsen", räumte der nach gut einer Stunde für Diego Costa eingewechselte Fernando Torres ein. "Wir haben kein Rezept gefunden und den Holländern zu viel Raum gelassen. So konnten sie unsere Abwehr ohne große Schwierigkeiten überwinden. Sie waren einfach besser." Sergio Ramos fand, nach dem 1:2-Rückstand habe sich "negative Energie" in der Mannschaft breitgemacht. "In unseren Köpfen liefen Dinge ab, die dort nicht ablaufen sollten."
Bis zum wegweisenden Spiel am Mittwoch in Rio de Janeiro gegen Chile, das 3:1 gegen Australien gewann, müssen die Köpfe wieder frei sein. "Wir haben uns schon darüber unterhalten", sagte Torres: "Wir müssen einen kühlen Kopf bewahren. Wir wissen, dass wir immer noch dasselbe Team und in der Lage sind, jeden Gegner zu schlagen. Mit dieser Einstellung müssen wir in das Spiel gegen Chile gehen." dpa
Der Fahrplan zur WM 2014
Dienstag, 13. Mai: Freundschaftsspiel Deutschland - Polen in Hamburg Ergebnis: 0:0
Im Anschluss hat Löw jene 27 Spieler benannt, mit denen er ins Trainingslager in Südtirol gehen will. Theoretisch müsste Löw an diesem Tag auch endgültig den maximal 30-Mann großen vorläufigen WM-Kader benennen.
Mittwoch, 21. Mai bis Samstag, 31. Mai: Trainingslager in Passeiertal (Südtirol)
Sonntag, 1. Juni: Freundschaftsspiel Deutschland - Kamerun in Mönchenglabdach, 20.30 Uhr
Montag, 2. Juni: Nominierung des endgültigen 23 Mann großem WM-Kaders
Freitag, 6. Juni: Freundschaftsspiel Deutschland - Armenien in Mainz, 20.45 Uhr
Samstag, 7. Juni: Abflug ins WM-Quartier nach Porto Seguro/Brasilien
Montag, 16. Juni: Erstes WM-Gruppenspiel Deutschland - Portugal in Salvador 18 Uhr MESZ
Samstag, 21. Juni: Zweites WM-Gruppenspiel Deutschland - Ghana in Fortaleza, 21 Uhr MESZ
Donnerstag, 26. Juni: Drittes WM-Gruppenspiel: Deutschland - USA in Recife, 18 Uhr MESZ