Der Rücktritt von Philipp Lahm aus der Nationalmannschaft kommt überraschend. War es vielleicht eine Kurzschlussreaktion des 30-Jährigen?
Nein. Lahm sagt, der Entschluss sei bei ihm in der vergangenen Saison gereift. Der Rücktritt kam also nicht spontan.
Aber warum tritt er denn überhaupt zurück?
Philipp Lahm ist 30 Jahre alt. Er spielt seit zehn Jahren Fußball auf allerhöchsten Niveau und war dabei nur äußerst selten verletzt. Es ist anzunehmen, dass er sich eingehend Gedanken über seinen Körper gemacht hat. Wahrscheinlich ist er zu dem Schluss gekommen, dass 60 Spiele und mehr in der Saison auf allerhöchstem Niveau auch für ihn nur noch ganz schwer zu realisieren sind. Außerdem ist er verheiratet und Vater eines fast zweijährigen Buben. Anstatt die Sommerpausen in Brasilien oder Frankreich (EM 2016) zu verbringen, kann er sich nun um die Familie kümmern.
Neuer könnte Kapitän werden
Wer wird jetzt Kapitän der deutschen Nationalmannschaft?
Normalerweise erhält derjenige die Binde, der am längsten mit dabei ist. Das ist Miroslav Klose. Allerdings wird der 36-Jährige wohl ebenfalls aus der Mannschaft zurücktreten. Am meisten Länderspiele nach Klose hat Lukas Podolski. Der kommt allerdings nicht in Fraghe, weil er keinen Stammplatz hat. Es folgen Bastian Schweinsteiger (108) und Per Mertesacker (104). Doch Schweinsteiger ist verletzungsanfällig und hat in den vergangenen Jahren einen Großteil der Freundschaftsspiele verpasst. Mertesacker hingegen zählt auch nicht zwingend zum Stammpersonal. Gesucht wird aber ein Spieler, der auf und neben dem Platz Autorität ausstrahlt. Es läuft darauf hinaus, dass in den kommenden Jahren Manuel Neuer die Kapitänsbinde übernimmt. Zwar haben unter anderem Mesut Özil (62) und Thomas Müller (56) bisher mehr Länderspiele absolviert, aber Neuer (52) ist jetzt schon Führungsspieler und bleibt auch in den kommenden Jahren eine Autorität.
Dreierkette als mögliche Option
Was bedeutet der Rücktritt für die Nationalmannschaft?
Lahm ist der einzige Spieler, für den es keinen adäquaten Ersatz gibt. Das trifft nicht zwingend für das Mittelfeld zu. Hier kommenden die Bender-Zwillinge und Ilkay Gündogan zurück. Auf der Position des Rechtsverteidigers gibt es allerdings keinen natürlichen Nachfolger. Darum haben bei der WM auch zuerst Verlegenheitslösungen wie Jerome Boateng oder Shkodran Mustafi dort gespielt. Für den Ballbesitz orientierten Fußball der deutschen Nationalmannschaft ist das aber nicht optimal. Das gute an Lahms Rücktritt zum jetzigen Zeitpunkt: Bundestrainer Joachim Löw hatm zwei Jahre Zeit bis zur EM, um eine gute Lösung zu finden. Möglicherweise wird Lahm auch gar nicht 1:1 ersetzt. Denkbar ist auch, dass die Nationalmannschaft künftig mit einer Dreierkette spielt.
Wer kann von dem Rücktritt Lahms profitieren?
Am ehesten der FC Bayern. In München hat man nun nach Länderspielen einen ausgeruhten Kapitän zur Verfügung. Das dürfte Pep Guardiola freuen. In der Nationalmannschaft werden Spieler zum Einsatz kommen, die zuletzt nicht oft zum Einsatz gekommen sind. So darf sich beispielsweise Kevin Großkreutz Hoffnungen machen, in der Nationalmannschaft hinten rechts eingesetzt zu werden. (AZ)