Für jemanden, der sich in wenigen Tagen möglicherweise eine neue Arbeitsstelle suchen muss, ist Roberto di Matteo erstaunlich gelassen. Dem 41-jährigen Italiener ist nicht anzumerken, dass er lediglich als Platzhalter fungieren sollte. Als di Matteo im März den glücklosen André Villas-Boas auf der Trainerbank des FC Chelsea ablöste, dachte kaum jemand an eine langfristige Lösung.
Der ehemalige Mittelfeldspieler der Londoner sollte eine scheinbar verlorene Saison nur noch halbwegs anständig zu Ende bringen. Mittlerweile hat di Matteo den FA-Cup gewonnen und steht mit seiner Mannschaft im Finale der Champions League. Da Chelsea im Ligabetrieb aber nicht über den sechsten Platz hinauskam, ist die Qualifikation für die Champions League von einem Sieg gegen den FC Bayern abhängig.
Kollateralschäden aus den Spielen gegen den FC Barcelona
Ohne die Teilnahmeberechtigung für die Königsklasse aber wird Klubbesitzer und Alleinentscheider Roman Abramowitsch di Matteo das Vertrauen entziehen. „Ich bin ganz auf das Spiel gegen Bayern fokussiert“, lächelt di Matteo Fragen nach seiner Zukunft einfach weg. Nicht leichter wird die Aufgabe dadurch, dass der Trainer mit John Terry und Branislav Ivanovic auf seine Stammbesetzung in der Innenverteidigung verzichten muss. Beide sind ebenso wie Ramires und Raul Meireles gesperrt. Allesamt Kollateralschäden aus dem wahnwitzigen Weiterkommen gegen den FC Barcelona.
In zwei Spielen war der FC Chelsea scheinbar gnadenlos unterlegen. Das Hinspiel gewannen die Londoner mit 1:0, ehe sie im Rückspiel trotz einstündiger Unterzahl ein 2:2 holten. Der Einzug ins Finale erinnert an den Weg der Münchner 2010 ins Endspiel. Damals strapazierte der FC Bayern das Glück gegen Florenz und Manchester United. Chelsea hangelte sich vor dem Coup gegen Barcelona durch einen Sieg nach Verlängerung gegen den SSC Neapel ins Halbfinale.
Allein mit Glück lässt sich das Erscheinen der Briten im Finale aber nicht erklären. Anders als Vorgänger Villas-Boas setzte di Matteo auf jene Spieler, die sein Vorgänger an den Rand des Kaders verbannt hatte. Er holte Frank Lampard von der Bank zurück aufs Feld und stattete Didier Drogba mit sämtlichen Freiheiten aus.
Vor allem Drogba ist es, vor dem die Bayern mehr als nur Respekt haben. „Ein sensationeller Spieler“, schwärmt Philipp Lahm von dem 34-Jährigen. Auch Trainer Jupp Heynckes ist von den Fähigkeiten „eines der Top-Stürmer der englischen Liga“ angetan. Krittelt aber auch an dessen Hang, der Schwerkraft allzu schnell nachzugeben und sich zu Boden fallen zu lassen.
Analogien zu den Bayern 2001 – die letzte Chance für Chelsea
Umso mehr verblüfft Drogbas Auftreten abseits des Spielfeldes. Der Spieler, der 2009 für vier Spiele der Champions League gesperrt wurde, weil er den Schiedsrichter allzu sehr bedrängte, wirkt, als würde er am liebsten auf Blumenwiesen Schmetterlinge bewundern.
Faltern wird der Stürmer heute garantiert nicht bewundernd hinterherblicken. „Egal, was passiert, wir wollen dieses Mal unbedingt den Pokal nach Hause holen“, so der Mann von der Elfenbeinküste. 2008 stand er schon einmal kurz davor, den wichtigsten Vereinstitel zu gewinnen. Doch erst holte er sich in der Verlängerung wegen einer Tätlichkeit eine Rote Karte ab, dann verlor Chelsea das Elfmeterschießen gegen Manchester United.
Wieder einmal Manchester. Wie bei den Bayern 1999. Die Münchner holten zwei Jahre später den Titel. Es war die letzte Chance der Mannschaft um Stefan Effenberg und Co. Das Endspiel heute ist wohl auch die ultimative Möglichkeit für Drogba, die Champions League zu gewinnen. Und für di Matteo, um seinen Job zu behalten.