Die Italiener haben ein eigenes Substantiv für seine Kindereien und sinnbefreiten Äußerungen geschaffen: Balotellata. Für die letzte Balotellata sorgte Mario Balotelli, als er behauptete, er habe seinen "Hintern nicht in Nutella". EURO 2012: Balotelli – irre gefährlich Dass es eine derartige Redewendung ebensowenig im Italienischen wie in jeder anderen bis dato bekannten Sprache nicht gibt, stört Balotelli nicht. Wenn ein Mario Balotelli spricht, ist das Wort Gesetz. Denkt Balotelli. Der Mann ist die Hybris gewordene Kreuzung von Lothar Matthäus, Wolfram Wuttke und Mario Basler. Hätte er nicht das kumulierte Talent der drei, würde er höchstwahrscheinlich die kommenden Jahre in einem italienischen Gefängnis verbringen.
Balotelli fast zwei Jahre im Krankenhaus
Was Balotelli mit seinem eben nicht in Nutella getunkten verlängerten Rücken wohl sagen wollte, ist, dass er keinen Puderzucker in in sein Hinterteil geblasen bekommen habe. Balotelli ist Sohn ghanaischer Einwanderer. Nach seiner Geburt in Italien verbrachte er einen Großteil seiner ersten beiden Lebensjahre wegen einer Erkrankung im Krankenhaus. Als er entlassen wurde, waren seine Eltern nicht mehr da. Weil sie gezwungen wurden, ihn einer Pflegefamilie zu übergeben, sagen seine leiblichen Eltern. Weil sie sich nicht um ihn kümmern wollten, sagt Balotelli.
Das Talent von Balotelli war ebenso schnell sichtbar, wie sein Hang, es zu verschleudern. Mit 17 Jahren debütierte er für Inter Mailand in der Serie A. Ein Jahr später wird Jose Mourinho Trainer von Inter. Der Portuguiese streicht Balotelli mehrmals wegen mangelnden Einsatzes aus dem Kader. Begnadigt ihn aber immer wieder. Selbst Mourinho kann sich des Zaubers dieses Hochveranlagten nicht entziehen.
Doch 2010 sind es die Italiener leid. Zu selten hat dieser laufende Gewissensbiss das ihn ihm schlummernde Versprechen eingelöst. Sein früherer Inter-Trainer Roberto Mancini holt Balotelli zu Manchester City. Zwei Monate später bricht er mit seinem Bruder in ein Frauengefängnis ein. Begründung: Sie wollten mal nachschauen, wie es da so ausschaut. Er zerlegt seinen Luxuswagen. Im Inneren des Autos finden Polizisten 5000 Pfunde. Simple Begründung für das mitgeführte Geld. "Weil ich reich bin." EURO 2012: Pirlo – Italiens Regie-Genie
Auf dem Feld ist er ein wahnsinniges Genie, abseits davon neigt er zur pathologischen Persönlichkeitsstörung. Bewirft Jugendspieler mit Dartpfeilen und sammelt fleißig Strafzettel. Bisher sind es 27 - in zwei Jahren. Im Derby gegen United zeigt er sein maßloses Talent, markiert die ersten beiden Treffer beim legendären 6:1-Erfolg. Kurz zuvor sorgt er für einen Feuerwehreinsatz, als er mit Freunden Böller aus dem Fenster wirft. Einer landet im Handtuch. Feuer im Badezimmer.
Prandelli nennt ihn "Goldjunge". Der will ihn beschimpfen
Selbst Mancini hatte die Geduld mit Balotelli schon verloren. Im Saisonendspurt holt er sich gegen Arsenal eine dämliche Gelbrote Karte ab. Mancini suspendiert ihn. Holt ihn erst im letzten Spiel der Saison wieder zurück. City muss gegen die Queens Park Rangers gewinnen, um den ersten Meistertitel seit 44 Jahren zu gewinnen. Eine Viertelstunde vor Schluss liegt Manchester 1:2 hinten. Balotelli wird eingewechselt. Das 2:2 fällt in der zweiten Minute der Nachspielzeit. Zwei Minuten später schießt Agüero den Siegtreffer. Balotelli hatte ihn vorbereitet. EURO 2012: "Wir brauchen Schweinsteiger"
Bei der EM hat Balotelli bisher mit einem sehenswerten Tor auf sich aufmerksam gemacht. Anschließend wollte er Trainer Cesare Prandelli beschimpfen. Der hatte es gewagt, ihn gegen Irland lediglich einzuwechseln. Leonardo Bonucci hielt Balotelli den Mund zu und verhinderte Schlimmeres. Prandelli ging über den Vorfall hinweg. Er hat ein Faible für den Außergewöhnlichen. Bezeichnet ihn als "Goldjungen".
Morgen wird sich mal wieder zeigen, wohin die öffentliche Wahrnehmung tendiert. Dann will Italien gegen Deutschland das Finale der EM erreichen. Es gibt keine Grautöne für Balotelli. Balotellata oder Goldjunge.