Christian Karembeu war in den 90er Jahren einer der besten defensiven Mittelfeldspieler der Welt. Der Franzose mit den Rastalocken war 1998 Weltmeister und zwei Jahre später Europameister. Bei der EM in Polen und der Ukraine gehört er zu jener Kommission, die nach jedem Spiel den „Man of the Match“ kürt. Karembeu hat sich nach dem deutschen 4:2-Sieg im Viertelfinale für Mesut Özil entschieden. „Es war eine leichte Entscheidung. Alles, was Özil gemacht hat, hat gepasst“, begründete der Franzose die Wahl.
Özil kam nur langsam auf Touren
Nun haben die Experten in den zurückliegenden 28 EM-Partien manch seltsame Wahl getroffen. Özils erste Auszeichnung nach dem deutschen 1:0-Sieg war derart fragwürdig, dass sie der Erwählte selbst in Zweifel stellte. Der 24-Jährige ist bei dieser EM nur langsam auf Touren gekommen. Er ist viel gelaufen, mehr als früher, aber die glanzvollen Abschlüsse, die ihn auszeichnen, haben gefehlt. Das musste zwischendurch auch der Bundestrainer einräumen. „Was ihm bisher gefehlt hat, waren gute Anspiele. Aber er geht viele Wege. Die große Özil-Explosion kommt noch“, hatte Löw nach dem 2:1-Sieg gegen Dänemark prophezeit. Was folgte war Özils bislang stärkster Auftritt bei dieser EM, auch wenn es noch immer nicht jene „Explosion“ war, die sich auch der Trainer wünscht. Immerhin hat ihn Karembeu gegen Griechenland zu Recht zum „Spieler des Tages“ gekürt.
Manchmal genügt es, auch ein Freund des leichten Spiels, der eleganten Ballführung und der zirkusreifen Dribblings zu sein, um für Özils Spiel zu schwärmen. Es ist kein Zufall, dass der 24-Jährige bei Real Madrid jene Nummer zehn auf dem Rücken trägt, die schon immer den großen Regisseuren vorbehalten war.
Özil weitgehend von Abwehr-Aufgaben befreit
Es gibt nicht mehr viele davon, weil das Spiel in seiner Beschleunigung der Kunst weder Raum noch Zeit lässt. Andrea Pirlo, der 33-jährige Italiener ist einer der letzten seiner Zunft, der noch nicht aufgerieben ist von Doppel-Sechsern und weitgehend befreit bleibt von Abwehraufgaben. Bei den Spaniern teilen sich die beiden Kurzpass-Strategen Iniesta und Xavi diese Rolle. Bei den Deutschen spielt sie Özil allein, weil nur er sie beherrscht. Pirlo, Iniesta und Özil sind die Einzigen bei der EM, die bislang zweimal mit dem Carlsberg-Preis, einer besonders hässlichen Trophäe, ausgezeichnet wurden. Ganz offensichtlich steht der aussterbende Gestalter bei den Juroren besonders hoch im Kurs. Möglich auch, dass die letzten Exemplare der Gattung allein schon wegen ihrer Einzigartigkeit besonderer Aufmerksamkeit bedürften.
Mesut Özil sind solche Gedanken fremd, und wenn er sie dann hat, dann behält er sie für sich. Özil sagt Sätze wie „Unser Ziel ist jetzt, den EM-Titel nach Deutschland zu holen. Dafür sind wir hier“.
Etwas in der Art hatte man geahnt, zumal die deutsche EM-Expedition genau mit diesem Ziel nach Polen gekommen war. Dass Deutschland bei einem großen Turnier noch nie gegen den vierfachen Weltmeister Italien gewonnen hat, perlt an Özil ab. Der 24-Jährige lebt mit allem, was er hat, in der Gegenwart. Über Vergangenheit und Zukunft sollen sich andere die Köpfe zerbrechen. „Was in der Vergangenheit war, zählt für uns nicht“, sagt er.
Özil, damit müssen sich seine Bewunderer abfinden, ist ein Spieler, der das Außergewöhnliche schafft, es aber nicht erklären kann. Besser so, als anders herum.